Ingeborg Reckling aus Ammersbek ist 19 Jahre im Amt. Für unsere Kommunalpolitik-Serie erklärt sie ihre Aufgaben

Unbemerkt durch den Supermarkt huschen, das kann Ingeborg Reckling in Ammersbek selten. Die 69-Jährige mit den kurzen Locken und dem freundlichen Gesicht ist in der rund 9000 Einwohner zählenden Gemeinde so bekannt wie ein bunter Hund. Und eines ist damit sicher: Noch bevor sie ihren Einkauf auf das Warenband gelegt hat, hat sie das eine oder andere Gespräch geführt – etwa über die Baustelle an der Straße XY. Darüber, wann das geplante Bauprojekt startet. Oder wie lange es wohl noch dauern wird, bis der beantragte Personalausweis fertig ist. „Die meisten Bürger halten mich für eine Mitarbeiterin der Verwaltung“, sagt Reckling und lächelt das geduldige Lächeln einer Oma, die ihrem Enkel bestätigt, das „dada Wauwau“ ein Hund ist.

Das Amt des Bürgervorstehers gibt es nur in zwei Bundesländern

In der Tat aber können die Ammersbeker Ingeborg Reckling im Rathaus ein und aus gehen sehen. Doch was sie dort macht, dass es nichts mit „Verwaltungskram“ zu tun hat, das wissen die wenigsten. Da bringt die meisten Ammersbeker auch das Wissen um die Amtsbezeichnung nicht weiter: Ingeborg Reckling ist Bürgervorsteherin. Und das – mit Ausnahme der Amtsperiode von 2003 bis 2008 – schon seit 1990. Damit ist die pensionierte Hochbauingenieurin die dienstälteste Bürgervorsteherin des Kreises. Es ist ein Amt, das es nur in Städten und Gemeinden in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern gibt. Und auch nur in denen, die einen hauptamtlichen Bürgermeister haben. „Bei meiner ersten Amtsperiode war ich genauso alt wie der Bürgermeister. Der amtierende Verwaltungschef könnte mein Sohn sein“, sagt sie. Mit vier Bürgermeistern hat sie insgesamt zusammengearbeitet.

Die Bürgervorsteher üben ihre Aufgaben ehrenamtlich aus

Bei der Frage nach ihren Aufgaben entweicht Ingeborg Reckling dennoch erst mal ein „Puh“. Dann kräuselt sie die Stirn und sagt: „Die Aufgaben eines Bürgervorstehers regelt die schleswig-holsteinische Gemeindeordnung.“ Besser gesagt: Neun Paragrafen widmen sich dem Ehrenamt, für das die Ammersbekerin, wie ihre Stormarner Amtskollegen, kein Gehalt, sondern lediglich eine Aufwandsentschädigung erhält. Zum Vergleich: Das Bürgermeisteramt ist in einem Paragrafen beschrieben. „Grundsätzlich“, sagt sie, „vertritt der Bürgervorsteher die Interessen der Gemeindevertreter, also der Politik gegenüber dem Bürgermeister, also dem Chef der Verwaltung.“ Außerdem, zählt Reckling weiter auf, organisiert der Bürgervorsteher die politischen Sitzungen der Gemeinde. Stimmt also zusammen mit dem Bürgermeister im Rathaus die zu behandelden Punkte auf der Tagesordnung der Sitzungen ab, lädt die Gemeindevertreter ein und leitet die Sitzung.

Und das macht Reckling, wie es bei ihrer nunmehr 19-jährigen Amtserfahrung zu erwarten ist, mit stoischer Ruhe. „Konfrontation ist sowieso nicht mein Ding“, sagt sie. Durchgreifen könne sie dennoch. Muss sie auch. Bei den Sitzungen hat der Bürgervorsteher das Hausrecht und ist für die Ordnung verantwortlich. Schießt ein Gemeindevertreter in Ammersbek über das Ziel hinaus, kann Reckling den Politiker von der Sitzung ausschließen. Passiert ist das noch nie. Bei der Sitzung dazwischenquasseln, das machen die Ammersbeker Politiker allerdings schon gelegentlich. „Dann gibt’s eine Ermahnung“, sagt Reckling. Hin und wieder überrascht Ingeborg Reckling ihre Politikerkollegen mit trockenem Humor. „Ab und zu müssen die Sitzungen aufgelockert werden“, findet sie. Ein Beispiel: Bei einer geheimen Abstimmung der Gemeindevertreter geht es auf Nachfrage der Politiker nicht nach alphabetischer Reihenfolge, sondern „nach Jürgen“. Reckling: „Dann kommen erst mal alle Jürgen an die Reihe.“ Drei davon gibt es in der Ammersbeker Gemeindevertretung.

Mit den teils bürokratischen Anforderungen, die die Verwaltung an die Politik stellt, komme Reckling gut zurecht. „Ich weiß, wie es in einer Behörde läuft“, sagt sie. Von 1964 bis zu ihrer Pensionierung 2009 hat die Ammersbekerin als Planerin für öffentliche Hochbauten (beispielsweise Schulen, Ämter oder Feuerwachen) erst beim Bezirksamt Wandsbek, später bei der Hamburger Baubehörde gearbeitet. Zuvor hatte Ingeborg Reckling technische Zeichnerin gelernt, anschließend an der Abendschule ihr Ingenieursdiplom gemacht. Die Politik, die liege ihr in den Genen. „Meine Eltern waren schon in Hamburg-Bramfeld kommunalpolitisch engagiert.“ 1966, im Alter von 21Jahren, trat Ingeborg Reckling in die SPD ein.

Ihre politische Überzeugung dürfen die Bürgervorsteher nicht einfließen lassen, während sie die Sitzung leiten. Die Gemeindeordnung verpflichtet sie zu Neutralität. Obwohl sie von den Bürgern bei der Kommunalwahl in die Gemeindevertretung und später von den übrigen Politikern zum Vorsitz gewählt worden sind. „Das ist schon mal ein Spagat“, sagt Reckling. In die Diskussion einmischen darf sie sich allerdings schon, abstimmen auch. Sie sagt: „In der Zeit, in der ich spreche, übernimmt der Stellvertreter den Vorsitz.“

Mit der politischen Arbeit hat Reckling nur die Hälfte ihre Aufgaben erledigt. „Der Bürgervorsteher repräsentiert auch die Gemeinde“, sagt sie. Das bedeutet: Feiert etwa ein Verein in Ammersbek Jubiläum, oder wird ein neues öffentliches Gebäude eingeweiht, setzt sich Reckling an ihren Schreibtisch und schreibt eine Rede. Bei ungezählten Festakten in der Gemeinde war sie bereits. Eine schöne Aufgabe, findet Reckling. „Mein Amt macht mir viel Spaß. Vor allem, weil ich viele Menschen kennenlerne.“

Im Mai 2018 endet nach fünf Jahren Recklings fünfte Amtszeit. Dann soll Schluss sein. „Ich will nicht noch irgendwann einen Bürgermeister an meiner Seite haben, der mein Enkel sein könnte“, sagt sie. Langweilig werde ihr ohne die Aufgaben aber nicht werden, meint sie: „Dann habe ich mehr Zeit für meine Hobbys.“ Etwa die Fotografie. Seit Mitte der 70er-Jahre dokumentiert Reckling mit ihrer Kamera den Wandel der Gemeinde. „Ich fotografiere zum Beispiel Gebäude, wenn sie abgerissen werden sollen.“ Auf die Frage, ob sich die politische Kultur in Ammersbek gewandelt habe, sagt sie: „Früher wurde in der Politik mehr diskutiert.“