Ahrensburg Hunderte von Euro für ein Zimmerchen von nur 20 Quadratmetern? Giancarlo Oriani lehnte dankend ab. Nicht nur, weil die Mieten in Hamburg „übertrieben“ sind, wie er mit rollendem „r“ sagt. In einer Art Käfighaltung für Künstler hält es der in Italien geborene Maler nicht aus. Er braucht Raum, er braucht Luft, vor allem für seine pittura fluida. Für seine fließenden Bilder, die entstehen, wenn Öl mit Terpentin gemischt auf der Leinwand ein Eigenleben entwickelt.
Bilder nicht zu malen, sondern sie geschehen zu lassen, das ist eines der Markenzeichen des gebürtigen Mailänders, der auf der Suche nach einem Domizil nun glücklich in Ahrensburg gelandet ist – im Beimoorweg, neben dem nicht gerade von Kunst geprägten Gewerbegebiet. Hier hat er ein kleines Idyll gefunden. Statt Käfighaltung freilaufende Hühner. Statt engem Raum Wiesen, auf denen Gänse ein natürliches malerisches Bild abgeben. Und dazu ein angrenzender Bauerngarten mit Kartoffelreihen und Dahlien, der den Blick aus dem Atelier lohnt.
Knapp 60 Quadratmeter hat der Künstler auf dem ehemaligen Hofgelände gemietet, das schon lange nicht mehr für die Landwirtschaft genutzt wird. Die Grünflächen um seinen Holzanbau herum darf er mitbenutzen. So konnten die Gäste beim Tag der offenen Tür draußen sitzen, die noch wärmende Sommersonne genießen und sich auch Bilder anschauen, die der Maler an die Außenwand seines Ateliers gehängt hatte. Open-Air-Ausstellung, das ist hier möglich. Und auch pittura fluida. Allerdings nur, wenn das Wetter es zulässt und er draußen arbeiten kann. Die ätzenden Dämpfe der Lösungsmittel müssen entweichen können. Im Winter wird das ein Problem sein. Oriani: „Da muss ich mir noch etwas ausdenken.“ Der Mann mit den Locken und der immer ein wenig gebräunten Haut liebt es zu improvisieren. Das neue Stichwort lautet: pittura piromana – Feuerbilder.
„Das ist mein Begriff. Den gibt es eigentlich gar nicht“, sagt der Künstler. Die Art zu malen aber schon. Mit einem Mini-Flammenwerfer rückt Oriani dabei der Leinwand und den Farben zu Leibe. „Das war mal eine Einkaufstüte von diesem Versandhaus Lands’ End“, sagt er und zeigt auf ein Bild, das nur noch blaue Überreste der Tüte zeigt. Zerstört, zusammengeschmurgelt, dafür mit Farben kombiniert und zu einer ästhetischen Botschaft gewandelt.
Von seiner Lust am Experimentieren und Fantasieren zeugen auch seine Plastiken. Sie sind mehr ein Spaß. Aus einem Auspuff hat er einen Trompeter geformt. Ein anderer könnte darin eine etwas eigenwillige Gans mit einem sehr langen Hals und einem viereckigen Schnabel erkennen. Daneben hängt ein Wasserrohr mit zwei Laubbesen. Ein Dinosaurier. Oder doch eher ein Storch im Sturzflug? „Das sind alles Dinge vom Schrottplatz“, sagt Oriani, den das Wühlen in dieser verrosteten Schatzkiste begeistert hat. Als Italiener wendet er sich aber auch mit Lust allem Nudeligen zu. Das künstlerische Ergebnis: eine Pasta-Uhr. Die hängt jetzt in seinem neuen Atelier über der Tür, die die Mal-Werkstatt vom Ausstellungsraum trennt. Ein Gebilde, das mit zwei dünnen Drahtzeigern und vier Canelloni-Röllchen auf den Positionen zwölf, drei, sechs und neun zeigt, wie spät es ist. „Und die geht total genau.“
Warum er Mailand verlassen hat? Giancarlo Oriani sagt nichts. Seine Augen sagen alles. Ein Lächeln erscheint auf seinem Gesicht. „Na, was wird es wohl gewesen sein, wenn ein junger Mann seine Heimat verlässt“, fragt er spitzbübisch zurück. Die Liebe führte ihn nach Hamburg. Und die Liebe zu der Stadt kam dazu. Er will nicht mehr zurück. „Hamburg ist meine Stadt“, sagt der Maler, der in Volksdorf wohnt – und nun in Ahrensburg arbeitet. Nicht, um Geld zu verdienen. Das hat er jahrelang als Kaufmann für eine Firma gemacht, die Blattgold herstellt. Jetzt, mit 75, arbeitet er nur noch zu seiner eigenen Freude und zur Freude derjenigen, die seine Bilder mögen und kaufen. Das große Geld kommt dabei nicht rein. „Das ist ein Zusatzgeschäft“, sagt Oriani, ohne zu maulen. Es ist so, wie es ist. Und es muss sein. Ohne die Kunst könnte er nicht leben.
Die ersten Versuche startete er als Grundschüler. „Wir sollten Adam und Eva malen“, sagt Oriani. Adam war ihm nicht so wichtig. Eva schon. Er malte sie, wie Gott sie geschaffen hatte. Mit einem Unterschied. „Bei mir hatte sie nur einen Busen. Einen Mono-Busen“, sagt der Maler und lacht. Seine Mutter wurde damals von der Lehrerin in die Schule zitiert. Vielleicht müsste der Junge aufgeklärt werden?
Die Anatomie-Kenntnisse haben sich mittlerweile deutlich verbessert, wie seine Akt-Malerei zeigt. Giancarlo Oriani ist angekommen. In Hamburg und auch in Ahrensburg. Hier will er bleiben und malen. Auch wenn das nicht immer einfach ist. Im Sommer ist alles gut, im Winter bekommt der Radiator reichlich zu tun. Für die Wasserrohre nützt das allerdings nichts. „Die frieren ein“, sagt Oriani. Seine Mini-Einbauküche von einem Meter mal vierzig Zentimetern besteht aus einem Schränkchen. „Aber es ist alles da“, sagt Oriani. Pulverkaffee, Wasserkocher, Becher, Löffel, Milch und Zucker. Musik kommt aus einem kleinen Radio mit CD-Player. Oriani schaut sich um. „Alles sehr einfach.“ Sein Luxus ist ein anderer: Er kann die große Tür seiner Holzhütte aufmachen, seine Staffelei an die Schwelle stellen, malen und die Hühner beobachten. Dann ist er für sich und doch in der Gemeinschaft, denn andere Künstler haben sich hier ebenfalls eingefunden, Maler und Musiker. Der alte Hof ist groß genug und der Abstand auch. Keine Käfighaltung.
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