Vor vier Jahren stürzte er von einem Parkhaus. Nach wochenlangem Koma macht er langsam Fortschritte. Doch er bangt um seinen Schulplatz.

Ahrensburg. Nico lacht fröhlich und ausgelassen. Auf die Frage, ob es ihm gut geht, wippt er mit dem linken Bein hoch und runter. Es ist seine Methode, zu kommunizieren und bedeutet "Ja". Für ein "Nein" bewegt er das Bein nach links und rechts. Seit Kurzem kann er das Wort auch aussprechen. "Das 'Ja' üben wir noch, das ist etwas schwieriger", sagt seine Mutter Angela Meyer und nimmt Nico in den Arm.

Vier Jahre ist es her, seit sich das Leben der Familie aus Hoisdorf von einer Sekunde auf die andere komplett veränderte. Es ist ein Freitag im Oktober 2008. Nico, der damals 15 Jahre alt ist, trifft sich mit Freunden auf dem obersten Deck des Parkhauses Alter Lokschuppen in Ahrensburg. Die Kinder hören Musik und feiern ausgelassen den Beginn der Herbstferien. Dabei macht Nico einen unbedachten Schritt und stürzt sieben Meter in die Tiefe (wir berichteten). Er erleidet ein Schädel-Hirn-Trauma, ein apallisches Syndrom, einen Beckenbruch und eine Lungenquetschung. Der Junge liegt mehrere Monate im Wachkoma, muss immer wieder operiert werden.

Inzwischen kämpft Nico nicht nur um seine Gesundheit, sondern auch um seinen Schulplatz und darum, dass seine Krankenhausaufenthalte und Hilfsmittel bezahlt werden. Was seine Gesundheit betrifft, macht Nico täglich Fortschritte. Seine Körperhaltung verbessert sich und er wird immer beweglicher. Der 19-Jährige lebt in einem Schul- und Therapiezentrum für junge Menschen mit Behinderung in Raisdorf bei Kiel. In einer Klasse mit sieben Mitschülern wird er täglich vier Stunden lang unterrichtet. Die Jugendlichen kochen und malen zusammen und befassen sich mit Themen wie Wohnen und dem menschlichen Körper. Auch Klassenfahrten und Ausflüge stehen auf dem Programm.

"Das Schul- und Therapiezentrum ist das Beste, was uns passieren konnte", sagt Nicos Mutter. "Er hat einen unglaublichen Willen, zu lernen und sich weiterzuentwickeln." Das belegt auch sein Zeugnis. Dort steht zum Beispiel: "Nico kommt meistens fröhlich und motiviert zur Schule. Durch seine offene und aufmerksame Art wird er von seinen Mitschülern akzeptiert und häufig angesprochen." Am meisten Spaß machen ihm die Schwimmstunden. Dabei blüht er jedes Mal auf.

Neben dem Unterricht gibt es ein umfangreiches Therapieangebot, bei dem Nico täglich seinen Körper trainiert. Gestützt von zwei Menschen kann er inzwischen 20 Meter laufen, mit einer Lauflernhilfe schafft er auch einige Schritte allein. Seit einem halben Jahr arbeitet Nico zudem mit einem Kommunikationsgerät, das sich mit den Augen steuern lässt. "Wenn er es beherrscht, kann er damit zum Beispiel E-Mails schreiben, die Fernbedienung drücken und Licht ausmachen", sagt Meyer. "Das wird ihm dabei helfen, selbstständiger zu werden."

Alle 14 Tage besucht er am Wochenende seine Mutter und seinen Hund Oskar zu Hause. Auch jetzt, in den Ferien, verbringt er einige Tage bei ihnen. Für Angela Meyer bedeutet das neben einer großen Freude über das Wiedersehen aber auch eine enorme Belastung. Sie muss sich dann rund um die Uhr um ihren Sohn kümmern, darf ihn kaum aus den Augen lassen. Denn Nico leidet unter lebensbedrohlichen epileptischen Anfällen. Immer wieder wird er davon überrascht und muss dann sofort ins Krankenhaus gebracht werden. "Die Lebensgefahr ist ständig da", sagt Angela Meyer. "Ich kann nicht mal sagen, Nicos Lage ist stabil. Es kann jederzeit ganz plötzlich eine neue Operation nötig sein." Es sei auch nicht möglich, etwas zu planen, wenn Nico zu Besuch ist. Meyer: "Wir müssen jeden Tag neu gucken, wie es ihm geht."

Doch die beiden kämpfen, auch gegen die zahlreichen Widerstände. So läuft Nicos Schulzeit im Sommer kommenden Jahres aus. Dabei würde der 19-Jährige gern noch länger in dem Schul- und Therapiezentrum bleiben. Denn er schafft es erst seit etwa acht Monaten, regelmäßig den Unterricht zu besuchen. "Davor hat er ständig gefehlt, weil er im Krankhaus war und operiert werden musste", sagt Angela Meyer. "Zudem ging es ihm lange Zeit körperlich sehr schlecht."

Die Schule hat bei der zuständigen Behörde einen Antrag eingereicht, damit Nico noch ein weiteres Jahr dort bleiben darf. Aber die Chancen, dass er genehmigt wird, stehen sehr schlecht. Wie es weitergeht, wenn der 19-Jährige die Einrichtung verlassen muss, ist für die Familie noch völlig unklar. "Das wäre für uns eine Katastrophe", sagt Nicos Mutter. Denn ihn dauerhaft nach Hause zu holen, sei nicht möglich. "Das würde meine Kraft übersteigen", sagt Meyer. "Der Druck und die Verantwortung wären zu groß. Außerdem braucht Nico Kontakte zu anderen Menschen und eine gute Förderung."

Angela Meyer ist es wichtig, dass ihr Sohn ein eigenständiges Leben führen kann. Deshalb hofft sie auch, dass er irgendwann in einer Behindertenwerkstatt arbeiten kann. "Noch ist es dafür zu früh", sagt sie. "Aber vielleicht würde es gehen, wenn er noch ein weiteres Jahr zur Schule gehen könnte."

Auch mit der Versicherung gibt es Probleme. "Sie weigert sich, Nicos jüngsten Aufenthalt in der Helios Klinik in Geesthacht zu bezahlen", sagt Angela Meyer. Von Mitte Dezember 2011 bis März 2012 bekam der Junge dort eine neurologische Komplexbehandlung und eine Behandlung im Hinblick auf Epilepsie. Zudem wurde er nach einer Operation im Krankenhaus in Hamburg-Altona zur Überwachung dorthin überwiesen. "Das waren keine Reha-Maßnahmen", sagt Meyer. "Aber die Krankenkasse glaubt uns das nicht."

8000 Euro stehen noch aus. Angela Meyer hat überlegt, mit einem Anwalt dagegen vorzugehen, den Gedanken aber verworfen. Sie sagt: "Für einen Rechtsstreit habe ich nicht die Kraft. Er würde sich über Jahre hinziehen."

Schwierig sei es auch, Geräte wie etwa eine Lernlaufhilfe bewilligt zu bekommen. "Es ist ein großer Aufwand", sagt Angela Meyer. "Wir müssen erst einen Kostenvoranschlag einholen und ihn an die Krankenkasse weiterleiten. Und letztendlich lehnt sie das Hilfsmittel dann häufig doch ab."

Es sei eine große Belastung, ständig um irgendetwas kämpfen zu müssen. Meyer: "Ich bin hilflos und fühle mich allein gelassen. Immer wieder werden uns Steine in den Weg gelegt." In solchen Momenten mache Nico ihr Mut. Wenn er fröhlich und gut gelaunt sei, habe sie das Gefühl, nicht durchhängen zu dürfen. "Wir werden niemals die Hoffnung aufgeben. Das ist das Wichtigste", sagt sie und fasst entschlossen nach Nicos Hand. "Wir werden immer weiterkämpfen. Ich bin überzeugt, dass noch viel möglich ist. Wir sind noch lange nicht am Ende angelangt."