33 Monate nach seinem Sturz aus sieben Metern Höhe vom Ahrensburger Parkhaus verlies der Hoisdorfer die Klinik nun auf eigenen Beinen.

Hoisdorf. Es sind die wohl anstrengendsten, aber auch die bedeutsamsten Schritte in seinem Leben. Mehr als zweieinhalb Jahre, nachdem Nico, 18, aus Hoisdorf bei einem tragischen Unfall schwerste Kopfverletzungen erlitten hat, verlässt er die Helios Klinik in Geesthacht auf seinen eigenen Beinen. "Ich bin so dankbar, dass Nico das geschafft hat ", sagt seine Mutter Angela Meyer, 47.

Nicos ganze Familie ist gekommen, um in diesem wichtigen Moment bei ihm zu sein. Sichtlich bewegt verfolgen Stiefvater, Oma, Vater und Bruder des Jungen, wie Nico sich, unterstützt von seiner Mutter und dem Neurologen Dr. Achim Nolte, Stück für Stück, Zentimeter für Zentimeter, über die Türschwelle der Klinik bewegt. "Für uns Gesunde ist es vielleicht nur eine kleine Strecke, für Nico bedeutet sie die Welt", sagt seine Mutter. "Mit seinen ersten Schritten ist wieder eine Barriere gefallen. Das lässt für die Zukunft hoffen", sagt Nicos Vater Peter Rademacher, 53, stolz. "Nico hat sich nie hängen lassen. Man merkt, dass er an sich glaubt." Nicos ungebrochener Wille, gesund zu werden, habe auch ihm immer wieder Mut gemacht.

Nicos Leidensweg beginnt an einem Freitag im Oktober 2008. Am Ende des letzten Schultages vor den Herbstferien trifft sich der damals 15-Jährige mit seinen Freunden auf dem obersten Deck des Parkhauses Alter Lokschuppen in Ahrensburg. Sie hören Musik, feiern ausgelassen den Ferienbeginn. Nico macht einen unbedachten Schritt und stürzt sieben Meter in die Tiefe (wir berichteten). Seine Freunde leisten Erste Hilfe, rufen den Notarzt. Nico wird in die Asklepios Klinik Nord in Hamburg-Ochsenzoll eingeliefert. Die Diagnose: Schädel-Hirn-Trauma, appalisches Syndrom, Beckenbruch und Lungenquetschung.

Mehrere Monate liegt Nico im Wachkoma, 13 Operationen folgen. "Die Prognose der Ärzte war dramatisch schlecht", sagt seine Mutter. Trotzdem habe sie immer daran geglaubt, dass Nico irgendwann wieder werde laufen können. "Das war unser Ziel, und nun sind wir dem ein ganzes Stück nähergekommen."

"Als Nico zum ersten Mal zu uns in die Helios Klinik kam, zeigte er kaum Reaktionen", sagt Nicos Arzt, der Neurologe Dr. Achim Nolte. "Arme und Beine konnte er nicht bewegen." Nicos Entwicklung sei damals nicht voraussehbar gewesen, sagt der Arzt. Er habe ohnehin gelernt, keine Prognosen abzugeben - auch keine negativen, denn in der Theorie sei alles möglich. "Bei Verletzungen dieser Art verlaufen die Genesungsprozesse individuell sehr unterschiedlich. Man braucht Geduld", sagt der Neurologe.

Wenn Patienten wie Nico lange Zeit Arme und Beine nicht benutzen könnten, so Nolte, führe das zu teilweise schmerzhaften Verkrampfungen, die der Patient nicht eigenständig wieder auflösen könne. Nico habe deshalb zum Schluss nur noch auf den Fußspitzen stehen können. Eine weitere Operation, bei der die Achillessehnen an beiden Beinen verlängert wurden, sollte sicher stellen, dass Nico wieder flach auf beiden Füßen stehen kann. "Dass er jetzt sogar gehen kann, ist wirklich das Sahnehäubchen, das hat uns überrascht", sagt Nolte.

"Ich möchte auch, dass Nicos Freunde erfahren, wie weit er gekommen ist", sagt Angela Meyer. Sie wolle ihnen sagen: "Ihr habt Nico nie vergessen und ihn immer unterstützt. Euer Einsatz hat sich gelohnt." Im Mai 2010 hatten Schüler des Emil-Behring-Gymnasiums in Großhansdorf einen Charity-Abend im Waldreitersaal organisiert. Fast 3000 Euro kamen zusammen. Mit dem Geld sollten Nico weitere Therapien ermöglicht werden.

Einen Teil von Nicos Fortschritten führt die Mutter auf das Lauftraining auf einem Gang-Roboter, dem sogenannten Lokomaten, zurück. In Deutschland gibt es nur vier dieser Geräte, die für Kinder und Jugendliche geeignet sind. "Nico hat den Roboter erst einmal ausprobieren können und schon so große Fortschritte gemacht", sagt Angela Meyer. Deshalb soll der Hoisdorfer im Herbst zu einer weiteren Reha-Maßnahme in die Geesthachter Helios Klinik zurückkehren. Bis dahin lebt er in einem Schul- und Therapiezentrum für Behinderte in Kiel. Nolte: "Wir hoffen auf eine weitere positive Entwicklung nach dem Training auf dem Lokomaten."

Und das funktioniert so: Nico wird auf einem Laufband in sogenannte Gelenkhülsen geschnallt. Der Roboter übernimmt die Bewegungsabläufe, die Nico noch nicht von sich aus leisten kann. Ziel der Therapie ist es, das Roboter-Programm Stück für Stück herunterzufahren, sodass der Junge die Bewegungsabläufe immer mehr selbst übernehmen muss. Auch die Psyche des Kranken werde dabei gestärkt, sagt Nolte. Die Patienten hätten nach langer Zeit wieder das Gefühl, laufen zu können."Wir können nicht genau sagen, ob Nico vergessen hat, wie man läuft, oder ob er es noch weiß, aber es mechanisch nicht umsetzen kann. Es ist wohl von beidem ein bisschen", sagt der Arzt. Der Lokomat helfe in beiden Bereichen. Das Gehirn speichere die Bewegungsabläufe wieder ab, und der Körper werde trainiert. Nolte: "Das ist wie im Sport: Übung macht den Meister."

So sehr Angela Meyer sich über Nicos Fortschritte freut, sie lässt keinen Zweifel daran, dass sie mehr will für ihren Sohn. Da gilt das Versprechen, dass sie Nico auf seiner eigenen Internetseite gegeben hat: "Ich werde alles dafür tun, damit Nico wieder gesund wird. Und mögen die Wege auch noch so schwer oder für andere nicht verständlich sein, ich gehe diese Wege, denn das Ziel habe ich klar vor Augen: Ich will Dich laufen sehen, sprechen hören, Du bist für mich ein Krieger des Lichts."

www.nico-krieger-des-lichts.de