Vusalja Alijev (Name geändert) flüchtete aus Aserbaidschan nach Stormarn. Dem Abendblatt schilderte die 29-Jährige ihre Erfahrungen.

Bad Oldesloe. 190 Euro im Monat - davon müssen Asylbewerber ihre Existenz sichern. "Zum Leben reicht das Geld, aber für mehr nicht", sagt Vusalja Alijev (Name geändert). Die 29-Jährige flüchtete vor elf Monaten aus Aserbaidschan, hoffte in Deutschland auf Hilfe - wie 317 weitere Asylbewerber auch. Menschen, die in ihrer Heimat politisch verfolgt werden. Oft droht ihnen Folter, Gefängnis - oder der Tod.

Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes sollen Asylbewerber ab sofort mehr Geld bekommen, um menschenwürdig leben zu können. Für den Kreis könnte das Urteil Nachzahlungen von bis zu 100 000 Euro zur Folge haben. Die Leistungen wurden seit 1993 nicht angehoben. "Das ist unfassbar. Mit keiner anderen Gruppe wäre das machbar", sagt Gerd-Günther Finck, Geschäftsführer des Vereins FIT - Für Integration und Toleranz, der Asylbewerber betreut.

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Der Vorsitzende, Josef Berk, der vor zwölf Jahren aus Kasachstan flüchtete, sagt: "Viele haben in ihrer Heimat ein Vermögen investiert, um zu flüchten." Auch Vusalja Alijev zahlte einem Schlepper 2000 US-Dollar für eine rund 1500 Kilometer lange Autofahrt, die in Berlin endete. In welchem Land sie begann, will die Aserbaidschanerin aus Sicherheitsgründen nicht verraten. In Berlin wurde sie im Büro des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf), das Asylbewerber auf die Bundesländer verteilt, zu ihrer Flucht befragt und nach Stormarn geschickt.

+++ Bleiben ist viel wichtiger als Geld +++

In Aserbaidschan schrieb die Journalistin regimekritische Artikel - und landete dafür im Gefängnis, drei Mal. "Das würde wieder passieren", sagt sie. Auf einer von Reporter ohne Grenzen herausgegeben Rangliste der Pressefreiheit steht Aserbaidschan auf Platz 162 - hinter Staaten wie Libyen und Irak. Ihren echten Namen will Vusalja Alijev nicht in der Zeitung lesen - aus Angst um ihre Familie, die sie in Aserbaidschan zurück lassen musste.

"Sitzen, sitzen, sitzen. So verbringen Asylbewerber ihre Tage", sagt Vusalja Alijev. Um wenigstens etwas zu tun zu haben, hat sich die junge Frau in der Bibliothek angemeldet und versucht, sich selbst Deutsch beizubringen. "Ein Kursus kostet 120 Euro. Das kann kein Asylbewerber bezahlen." Weil sie wenig Geld haben und nicht arbeiten dürfen, hängen viele Asylbewerber nur im Heim herum, sehen fern, trinken Alkohol - und das oft jahrelang.

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Laut Bamf dauert ein Asylverfahren im Schnitt rund 1,5 Jahre. Jedoch gelten viele Verfahren schon nach kurzer Zeit als beendet, weil die Antragsteller aus einem Mitgliedstaat der EU oder einem sogenannten sicheren Drittstaat wie Norwegen oder Griechenland eingereist sind. Nach der Dublin II-Verordnung müssen Flüchtlinge in dem ersten "sicheren" Land, das sie betreten haben, um Asyl bitten. "Dabei ist gerade Griechenland mit den Flüchtlingsströmen völlig überfordert. Die Unterkünfte ähneln Gefängnissen", sagt Finck. Bewerber, die aus "unsicheren" Ländern eingereist seien, befänden sich mitunter acht Jahre oder länger im Zustand der Duldung und warteten auf ein Urteil. Der Verein hat dabei schon "schreckliche Niederlagen" erlebt, sagt Finck. Es gebe aber auch erfreuliche Geschichten. Dazu gehört die von Vusalja Alijev.

Vor Kurzem hat die 29-Jährige eine sogenannte Niederlassungserlaubnis erhalten. Sie verfügt jetzt über einen Reiseausweis, mit dem sie in alle Länder reisen darf - außer nach Aserbaidschan. "Es ist sicherer so", sagt sie.

Rund 50 Asylbewerber leben in der Oldesloer Gemeinschaftsunterkunft

Drei Jahre kann Vusalja Alijev vorerst in Deutschland bleiben, danach wird geprüft, ob sich die Situation in ihrem Heimatland "grundlegend geändert" hat. Sollte das der Fall sein, könnte sie abgeschoben werden. So ist es etwa vor einigen Jahren mit Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien passiert.

Auch wenn ihr Verfahren abgeschlossen ist, wohnt Vusalja Alijev noch immer mit rund 50 weiteren Asylbewerbern in der einzigen Gemeinschaftsunterkunft Stormarns an der Kampstraße in Bad Oldesloe. Die Heimleitung teilt den Bewohnern jeden Monat ihre Schecks zu. Finck hält die Zustände in der Unterkunft für "nicht menschenwürdig". "Gerade Familien mit Kindern müssen dringend aus dem Heim herausgeholt werden", sagt er.

Die Behörden jedoch ließen Asylbewerber nur ungern aus der Unterkunft ausziehen, denn: "Dort haben sie besseren Zugriff, wenn es zur Abschiebung kommt", sagt Finck. Passiert das, kommen die Menschen zunächst in eine Sammelunterkunft in Rendsburg, von dort geht es mit dem nächsten Flieger zurück in den Heimatstaat.

Auch Vusalja Alijev lebt nicht gern in den beengten Zimmern, die sich mehrere Bewohner teilen. "Es ist schmutzig und oft muss ich bis nach Mitternacht warten, bis ich kochen kann, weil wir uns die Herde teilen", sagt die ausgebildete Journalistin. Viele der Mitbewohner seien traumatisiert, bräuchten psychologische Behandlung. Dennoch ist die Aserbaidschanerin froh, nun in Bad Oldesloe zu leben. Nach ihrer Ankunft wohnte die 29-Jährige zunächst in einer Unterkunft in Mönkhagen. Sie hat keine guten Erinnerungen an diese Zeit. "Wir waren isoliert, es gab weder Bus noch Supermarkt. In den Zimmern waren die Fensterscheiben kaputt." Nachts konnte sie nicht schlafen. Schließlich bat sie eine Diakonin um Hilfe - und kam nach Bad Oldesloe. Vusalja Alijev blickt zu Boden. "Ich verstehe, dass das alles viel kostet, aber wir wollen gar nicht mehr Geld haben." Was sie denn wolle? Jetzt blickt die zierliche Frau hoch. "Arbeit."

Andere Bewerber haben auf dem Arbeitsmarkt Vorrang

Doch zu arbeiten ist Asylbewerbern im ersten Jahr strikt verboten. Später gäbe es theoretisch die Möglichkeit - vorausgesetzt, der Asylbewerber selbst weist einen Arbeitgeber vor, der ihm eine Stelle anbietet. Doch sobald eine solche freie Stelle gemeldet wird, wird sie zunächst an deutsche Arbeitssuchende vergeben. Erst wenn diese ablehnen - zum Beispiel, weil der Job nicht gut genug bezahlt wird - hat der Asylbewerber eine Chance.

Der FIT-Vorsitzende Berk hofft langfristig auf eine Lockerung des Verbots. Die könnte möglicherweise nun tatsächlich kommen. Eine neue EU-Regelung sieht vor, das Arbeitsverbot auf neun Monate zu verkürzen, um so die Asylpolitik in den EU-Ländern mehr aufeinander abzustimmen. Im Herbst soll das Gesetz beschlossen werden, in Kraft treten würde es jedoch wohl nicht vor 2014. Und: Andere Arbeitssuchende hätten weiterhin Vorrecht. "Dahinter steckt die Angst, dass mit einem Job zu viel Integration einhergeht", vermutet Finck. "Denn wird der Asylbewerber doch abgeschoben, könnten Arbeitgeber, die mit dessen Leistung zufrieden waren, auf die Barrikaden gehen."

Vusalja Alijev könnte mit ihrer Niederlassungserlaubnis nun arbeiten. Zunächst aber macht sie einen Deutschkursus. Den bezahlt jetzt das Jobcenter für die 29-Jährige. Unlängst hat die Aserbaidschanerin eine weitere gute Nachricht erhalten: Zum 1. August kann sie eine eigene Wohnung beziehen.

Für Vusalja Alijev scheint sich das Blatt zu wenden. Doch was der ehemaligen Asylbewerberin in Deutschland am besten gefällt, hat nichts mit Geld zu tun. Sie mag besonders eines an ihrer neuen Heimat: "Die Demokratie."