Verein Pryvit holt 16 Tschernobyl-Kinder für eine Kur nach Großhansdorf. Zuerst steht eine Untersuchung in der Park-Klinik an.

Großhansdorf. Der elf Jahre alte Oleg wundert sich darüber, dass es in Deutschland so viele Seen gibt, außerdem Tische, an denen die Menschen draußen frühstücken können. Das ist er aus seiner ukrainischen Heimat nicht gewohnt. Außerdem scheint es ihm, dass fast jeder Deutsche einen Hund hat - eine Sache, die ihm gefällt, denn er mag Hunde gern. Svetlana, ebenfalls elf Jahre alt, ist bisher ein schöner Spielplatz in Großhansdorf besonders aufgefallen. Sie ist zum ersten Mal im Ausland und neugierig, was sie noch alles erleben wird. Inna hingegen freut sich darauf, den Hamburger Michel wiederzusehen. Die Zwölfjährige ist schon zum zweiten Mal in Deutschland.

Oleg, Inna und Svetlana sind drei von 16 Kindern aus der Ukraine, die zurzeit einen dreiwöchigen Kuraufenthalt im Schullandheim Erlenried in Großhansdorf verbringen. Gestern stand erst einmal eine ärztliche Untersuchung in der Park-Klinik Manhagen an. Denn die Kinder stammen aus Dörfern, die im Umkreis von Tschernobyl liegen - jener Stadt, in der es im Jahr 1986 zur Nuklearkatastrophe kam. Wegen der Strahlung, die im Umkreis noch immer herrscht, haben die Kinder ein geschwächtes Immunsystem. Der Stormarner Verein Pryvit, der sich Ende 2011 gegründet hat, finanziert ihnen den Aufenthalt, der sie gesundheitlich stärken soll. "So eine Kur ist wichtig, damit die Kinder gesund über den harten Winter kommen. Gerade in dieser Region sind sie ansonsten oft lange Zeit krank", sagt Wulf Garde, Vorsitzender des Vereins.

27 Stunden lang haben die Kinder und ihre erwachsenen Begleiter für die 1600 Kilometer lange Reise im Bus gesessen. Nach der Ankunft am Wochenende ging es gestern in zwei Bussen zur Park-Klinik. Keineswegs schüchtern, sondern fröhlich trafen die Kinder auf dem Gelände ein. Auf die kleinen Gäste wartete neben der Untersuchung auch ein Mittagessen, außerdem ein wenig Spiel und Spaß im Garten mit den Physiotherapeuten. Beim Übersetzen halfen zwei junge Ukrainerinnen, die Deutsch sprechen und die Kinder auf ihrem Aufenthalt begleiten.

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Die medizinischen Untersuchungen führte Dr. Otto Schnoor durch, pensionierter Kinderarzt aus Ahrensburg. Ihn unterstützte Wladimir Lomtew, Orthopäde an der Park-Klinik. "Wir machen einen allgemeinen medizinischen Check und schauen nach, ob die Kinder altersgemäß entwickelt sind", sagt Schnoor. Wladimir Lomtew ergänzt: "Die Kinder machen eigentlich einen relativ guten Eindruck. Aber einige haben Probleme an den Zähnen. Da werden wir Hilfe organisieren."

Wladimir Lomtew war es ein Herzensanliegen, sich persönlich um die Kinder zu kümmern - nicht zuletzt deshalb, weil er selbst aus der Ukraine stammt. Vor 22 Jahren kam er aus Odessa nach Deutschland. An die Nuklearkatastrophe von 1986 hat er eine Erinnerung, die er einfach nur "schrecklich" nennt.

"Das größte Problem war damals, dass die Menschen einfach nicht wussten, was mit ihnen passiert. Die Partei hat geschwiegen. Deshalb sind viele an der Strahlenkrankheit gestorben." Er selbst erfuhr damals über das Fernsehen von der Katastrophe - einige Tage, nachdem sie passiert war. Zahllose Menschen in der Region sind seitdem an Krebs gestorben, genaue Zahlen existieren nicht.

Über die heutige Lage in der Gegend, die er auf Reisen kennengelernt hat, sagt Wladimir Lomtew: "Es geht den Menschen nicht so schlecht wie damals. Das Hauptproblem der Kinder sind ihre schwachen Abwehrkräfte. Deshalb bekommen sie hier auf der Kur viele Vitamine." Für sie sei es außerdem wichtig, etwas über Ernährung und Hygiene zu lernen. Deshalb hatte die Park-Klinik einen kleinen Vortrag zu diesen Themen organisiert.

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Die Zustände in den Heimatdörfern der Kinder hat Wulf Garde auf einer Reise im Frühjahr kennengelernt. "Es sieht dort ärmlicher aus als bei uns in der Nachkriegszeit. Man sieht kaum Autos, viele Menschen leben in Holzhäusern", sagt Garde. Er betont aber auch, dass die Menschen dort "nicht depressiv" gewirkt hätten.

Auf ihrer Kur werden sich die Kinder nun hauptsächlich in Großhansdorf aufhalten, spielen, Sport machen und spazieren gehen. Es sind aber auch einige Ausflüge geplant, an die Ostsee und nach Hamburg. Wulf Garde betont, dass so ein Aufenthalt den Kindern auch langfristig helfen kann. "Viele kommen ja zum ersten Mal aus ihrem Dorf heraus. Dadurch passiert in den Köpfen etwas." Das hätten auch die Erfahrungen des Freundeskreises Tschernobylkinder Hamburg-Volksdorf gezeigt, der bis 2010 Kindern aus der Region solche Kuren ermöglichte. "Viele der Kinder, die vor Jahren in Großhansdorf waren, haben studiert und etwas aus ihrem Leben gemacht", so Garde.

Wladimir Lomtew ist überzeugt, dass das auch seinen kleinen Patienten einmal gelingen wird. "Die Kleinen sind ganz toll. Einer will zum Beispiel Ingenieur werden, einer Arzt und einer Förster. Das ist die Generation, die das Land aufbauen wird."