Stormarner Verein organisiert Erholungsreisen für Kinder aus dem Gebiet, in dem 1986 ein Atomreaktor explodierte. Infoabend am 22. März.

Ahrensburg. Früher einmal war Wulf Garde fasziniert von der Atomkraft. "Eigentlich habe ich deshalb Physik studiert", sagt er, "über Risiken hat zu der Zeit noch niemand geredet." Dann explodierte der Reaktor des Kernkraftwerks von Tschernobyl. Damals, vor 26 Jahren, war Gardes Frau gerade schwanger. Er habe die Atomkraft danach mehr als kritisch gesehen. "Irgendwie ging uns das etwas an", sagt er. Ein Jahr nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima hat sich daran nichts geändert. Tschernobyl geht ihn an, nicht mehr nur irgendwie.

Wulf Garde hat Anfang dieses Jahres mit sechs anderen den Verein Pryvit - Hilfe für Tschernobyl-Kinder gegründet. Pryvit ist Ukrainisch und bedeutet "Hallo". Der Verein ging aus dem Freundeskreis Tschernobylkinder Hamburg-Volksdorf hervor, der aufgelöst wurde. Drei ehemalige Betreuer des Freundeskreises hatten in der Zeitung dazu aufgerufen, einen Verein zu gründen, der die Arbeit weiterführt. Es fehlte ein Vorstand. "Ich bin schon immer ein Sozialtier gewesen", sagt Wulf Garde, "ich habe mich immer für gute Zwecke eingesetzt." Außerdem habe er ja Zeit. Der Lehrer für Physik und Mathematik ist seit 2006 pensioniert. Deshalb meldete er sich.

+++ Info-Abend im Großhansdorfer Waldreitersaal +++

Im kommenden Sommer sollen wieder Kinder aus dem Gebiet um Tschernobyl zu einem drei-, später dann vier- bis sechswöchigen Erholungsurlaub in das Schullandheim nach Großhansdorf kommen. Der Urlaub soll das Immunsystem, das bei vielen durch die Strahlung in der Region stark geschwächt ist, für den Winter stärken. Etliche Kinder und Erwachsene haben Krebs. Wie viele Menschen an den Folgen des Super-GAUs dauerhaft erkranken oder sterben, ist unklar. Eindeutige Zahlen gibt es nicht.

Der Präsident des Zentrums für Russische Umweltpolitik, Professor Alexej Jablokow, schätzte im vergangenen Jahr die Zahl der Tschernobyl-Opfer in 25 Jahren weltweit auf bis zu 1,44 Millionen. Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) ging 2005 von 4000 Toten aus - eine Zahl, die nach Veröffentlichung von Kritikern stark angezweifelt wurde. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace legte 2006 eine Studie vor, nach welcher die Katastrophe 93 000 Todesopfer allein durch Krebserkrankungen gefordert hat. Laut der Organisation Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) seien bis 2006 zwischen 50 000 und 100 000 Aufräumarbeiter gestorben, 540 000 bis 900 000 weitere seien Invaliden. In der Region um Tschernobyl seien zudem Zehntausende Kinder mit genetischen Schäden geboren worden.

Der Verein Pryvit will helfen. "Wir wollen zunächst 16 Kinder im Alter von sieben bis 13 Jahren nach Deutschland einladen, später dann mehr", sagt Wulf Garde. Kinder aus der Zone, die altersbedingt nicht an dem Programm teilnehmen können, sollen auch unterstützt werden. "Erst einmal suchen wir Sponsoren und Freiwillige, die bei der Betreuung der Kinder mithelfen möchten", sagt Garde. Der Freundeskreis Volksdorf hatte unter der Leitung der Kinderärztin Dorothea Wagner-Kolb jedes Jahr etwa 30 Kinder eingeladen. "Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Kinder sich erholen und selbstbewusster werden. Und auch der Völkerverständigungsgedanke ist wichtig", sagt Wulf Garde. Gerade hat er mit den anderen Vereinsmitgliedern Alexander Fuchs, Leonhard Hollmann, Kurt Nack, Olga Kushnir, Anna Lena Garde und Philipp Garde die Ukraine besucht. "Wir sind in der 30-Kilometer-Sperrzone gewesen, dort sind fast alle Menschen geschädigt", sagt Garde. Die Stormarner haben mit Schulleitern, Kindern und Betreuern gesprochen. Zwei Betreuer werden im Sommer mit den Kindern nach Großhansdorf kommen, damit die Verständigung leichter ist. Garde selbst spricht kaum Ukrainisch. Russisch hat er mal gelernt und die kyrillische Schrift kann er lesen. "Aber das bringt mir nichts, wenn ich die Vokabeln nicht kenne." Vielleicht wird der ehemalige Lehrer ja selbst Unterricht bekommen von einem der Kinder, wenn diese in Großhansdorf sind. Garde: "Wir werden unter anderem Ausflüge nach Lübeck und Hamburg machen."