Das Fassadenbild des Ahrensburger Künstlers Hans-Christian Koglin fällt dem Abriss der Klinik an der Manhagener Allee zum Opfer.

Ahrensburg. Die Container stehen schon da. Es dauert nicht mehr lange, dann wird nichts mehr daran erinnern, dass hier einst ein Krankenhaus stand und dass Hans-Christian Koglin in einem heißen Sommer drei Wochen lang jeden Tag die Stufen des Gerüsts an der Klinik hochgeklettert ist, um künstlerisch neue Wege zu gehen. Es war das erste Mal, dass der Ahrensburger ein so großes Wandgemälde anfertigte. Manchmal musste er sich festhalten, bis die Höhenangst vorüberging. Aber deswegen aufzuhören, wäre ihm nie in den Sinn gekommen. Im Juli 1989 war das Werk vollbracht - im Jahr der Wende. Jetzt geht wieder eine Ära zu Ende. Eine Ahrensburger: Die Klinik an der Manhagener Allee verschwindet, mit ihr eine alte Stadtvilla - und ein Fassaden-Kunstwerk, das mehr als 20 Jahre das Ortsbild an der Manhagener Allee mitgeprägt hat.

"Schade, dass man das Bild nicht retten kann. Es ist wohl unwiederbringlich verloren", sagt Bettina Stein und schaut nach oben. Noch ist das sieben Meter hohe und fünf Meter breite Wandgemälde ihres Vaters zu sehen, das sich über zwei Stockwerke erstreckt. Es zeigt eine Kürette - ein medizinisches Handinstrument, mit dem Gewebe entfernt wird. Die mit Airbrush-Pistole kunstvoll auf die Wand gespritzte und mit feinen Pinselstrichen aufgemalte Kürette von Hans-Christian Koglin scheint dagegen die Haut der Klinik abzulösen. Hinter dem vermeintlich abgekratzten Putz taucht eine überdimensionale Fantasieblüte auf. "Ein Hoffnungssymbol. Dafür, dass man leben kann", sagt Gotlind Koglin. Ihr Mann konnte es nicht. Im September 2007 starb der Künstler, der zahlreiche Preise bekam, auch im Ausland ausstellte und weit über Ahrensburg hinaus bekannt war.

Dass er selbst einmal hinter dieser Klinikmauer operiert werden würde, ahnte er damals nicht. Dieser sehr private Bezug macht den Abriss und die Vernichtung des Gemäldes für die Familie doppelt schmerzlich. "Wir wollen wenigstens noch einmal an ihn erinnern", sagt Gotlind Koglin, die sich um den Nachlass ihres Mannes kümmert und Hunderte von Werken im digitalen Archiv gesichert hat. "So bleiben uns immerhin die Fotos."

Aber ist das Zerstören des Kunstwerks überhaupt erlaubt?

"Ja", sagt der Ahrensburger Stadtjustiziar Thomas Reich, "die Vernichtung eines Kunstwerkes ist grundsätzlich immer zulässig. Der Eigentümer hat das Recht dazu." Was er hingegen nicht dürfe, sei die Veränderung des Objektes. "Das ist in Paragraph 14 der Urheberrechts geregelt", sagt Reich. Danach ist die Entstellung von Kunst verboten - und das noch 70 Jahre nach dem Tod des Künstlers. Mit anderen Worten: Niemand dürfte das Fassadenbild übermalen. Aber dass es beim Zusammenkrachen des alten Klinikgebäudes im Baustaub untergeht, ist rechtlich zulässig.

Ähnliches geschieht jeden Tag, überall in Deutschland. Skulpturen werden auf den Schrott geworfen. Mosaiken mit dem Presslufthammer zertrümmert. Bilder eingemottet. Der Jersbeker Bildhauer Georg Engst kann ein trauriges Lied davon singen. Zehn seiner Werke sind schon verschwunden. "Rund 1000 Kunstwerke gehen auf die Weise jedes Jahr in Deutschland verloren", schätzt Engst, der für den Erhalt von Werken kämpft, die bei der Bebauung öffentlichen Raums zerstört werden. Sein Appell an die Künstlerkollegen: "Tut was. Kümmert euch!"

Hans-Christian Koglin kann sich nicht mehr kümmern. Und das Abtragen seines mit Dispersionsfarbe unmittelbar auf die Wand aufgetragenen Gemäldes wäre aufwendig. "Wenn das jemand bezahlt, bitte. Ich nicht", sagt Matthias Bernhard, Geschäftsführer der Sparkassen Immobiliengesellschaft Holstein (SIG). Sie hat das 2500 Quadratmeter große Areal an der Manhagener Allee gekauft und will dort Wohnungen bauen. Die benachbarte Rettungswache und das Klinikgebäude mitsamt dem Kunstwerk werden den Plänen weichen. Bernhard: "Unser Gutachter hat das Gebäude in Augenschein genommen. Es hat Setzrisse. Die Wände sind feucht. Die Wärmedämmung ist schwierig. Die vielen kleinen Zimmer sind für Wohnzwecke nicht geeignet. Abreißen ist preiswerter."

Wenn sich bei der Familie ein Interessent melden würde, dürfte er das Bild mit einer Folie oder einem Tuch kopieren. Bernhard: "Dem würden wir uns nicht versperren." Aber die Zeit wird knapp. "Das Abpausen würde ja auch nur dann Sinn machen, wenn das Bild von der Stadt oder dem Kreis gewünscht würde", sagt Gotlind Koglin. Bislang ist davon nichts zu hören.

1989 sah das anders aus. Das Bild war nicht nur gewünscht, es wurde unter fünf Einsendungen ausgewählt. Der Klinikchef hatte für den Erweiterungsbau des Krankenhauses Landesmittel bekommen und war nun verpflichtet, für "Kunst am Bau" zu sorgen. Koglin setzte sich gegen vier Mitbewerber durch - und begann. Sein damals 19-Jähriger Sohn Eckard half ihm, den Entwurf auf die Wand zu übertragen. Gotlind Koglin: "Es war so heiß, dass die Farbe aus der Spritzpistole oft schon fast trocken war, bevor sie auf der Wand landete. Dann musste er den Vorgang abends wiederholen."

Immer wieder sei er auch auf die andere Straßenseite gegangen, um sein Werk von weiter weg in Augenschein zu nehmen. Die vielen Menschen, die seit mehr als zwei Jahrzehnten täglich vorbeikommen, machen es noch heute so. Selbst wer im Auto vorbeifährt, erhascht einen Blick auf das vertraute Kunstwerk, das Ahrensburg mitgeprägt hat. Bald wird es verschwunden sein.