Der Prozess um den Unfall, bei dem Kim-Laura in Bargteheide getötet wurde, steht vor dem Abschluss. Angeklagter kann sich an nichts erinnern.

Reinbek/Bargteheide. Ein Raunen geht durch den Saal, fassungslos schütteln einige Zuschauer ihre Köpfe. Sie können nicht verstehen, dass Dennis T. (Name geändert), der die 16 Jahre alte Kim-Laura Fuß mit seinem BMW überfahren und dabei getötet hat, den Gerichtssaal als freier Mann verlassen soll. Aber die Staatsanwaltschaft hat soeben vor dem Jugendschöffengericht Reinbek für den 21 Jahre alten Barsbütteler eine Bewährungsstrafe gefordert. "Er hat einen festen Job als Verkäufer in einem Supermarkt und ein geregeltes familiäres Umfeld": Mit diesen Worten hat die Anklagevertreterin das geforderte Strafmaß von einem Jahr und sechs Monaten, ausgesetzt zur Bewährung, begründet.

Der Anwalt der Eltern von Kim-Laura fordert hingegen, Dennis T. nach Erwachsenenstrafrecht zu bestrafen und drei Jahre Haft zu verhängen. Der Vertreter des Angeklagten schlägt kein Strafmaß vor - nur, dass sein Mandant nach Jugendstrafrecht zu verurteilen sei. Das Urteil stand bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch aus.

Dennis T. kann sich an den tragischen Unfall am 31. Oktober vergangenen Jahres an der B 75 in Bargteheide nicht mehr erinnern. "Ich war auf einer Halloweenparty bei Freunden in Elmenhorst. Dort haben wir viel getrunken", sagt der dünne, junge Mann, der ein violettfarbenes Hemd trägt. "Es war geplant, dass ich dort schlafe", fährt er fort. Das Gastgeberpärchen bestätigt vor Gericht diese Aussage. "Dennis hatte einige Tage zuvor gefragt, ob er bei uns übernachten könne", sagt die 22 Jahre alte Elmenhorsterin. Er habe auch zuvor schon zweimal bei ihnen geschlafen.

Gegen 1.20 Uhr ist die Party vorbei. Nachdem die Gastgeber Dennis T. eine gute Nacht gewünscht haben, gehen sie ins Bett. Der Barsbütteler soll auf dem Schlafsofa im Wohnzimmer übernachten. Doch am nächsten Morgen finden die Gastgeber auf dem Couchtisch nur einen kleinen, hellgrünen Zettel. "Danke, dass ich bei euch pennen konnte, nur es ging einfach noch", steht darauf geschrieben. Die folgenden Worte sind nicht mehr lesbar.

Auch der Angeklagte selbst kann seine Schrift heute nicht mehr entziffern. Schließlich könne er sich auch nicht erinnern, diesen Brief je geschrieben zu haben. "Es ist zwar meine Handschrift, aber das Nächste, an das ich mich erinnere, ist, dass ein Feuerwehrmann mich fragte, ob ich verletzt sei", sagt der Angeklagte.

T. wird in ein Krankenhaus gebracht. Er hat bei dem Unfall eine leichte Gehirnerschütterung erlitten, zudem ist seine Schulter geprellt. Erst einige Tage später erfährt er in der Klinik von einem Psychologen etwas über die tragischen Folgen des Unfalls.

"Ich war geschockt", sagt T., der nah einer Woche das Krankenhaus wieder verlässt. Laut eines Berichtes der Jugendgerichtshilfe kann der 21-Jährige nicht mit dem Bewusstsein leben, einen Menschen getötet zu haben, und lässt sich ins Heinrich-Sengelmann-Krankenhaus in Bargfeld-Stegen einweisen. Danach geht er freiwillig in eine Hamburger Psychiatrie, lässt sich dort mehr als einen Monat lang behandeln.

"Danach bin ich wieder zurück zu meinen Eltern nach Barsbüttel", sagt T. Doch in seinem Kinderzimmer quält ihn immer nur eine Frage: "Warum bist du nur in dieses Auto gestiegen?" Auf diese Frage habe er bis heute keine Antwort gefunden. Noch einmal lässt sich Dennis T. in die Hamburger Psychiatrie einweisen, bleibt dort bis Mitte Januar. "Ich lebe mein Leben jetzt weiter, vergessen werde ich aber nie", sagt Dennis T. Seine Hände liegen gefaltet auf dem Tisch. Auch wenn er offenbar unter den Folgen leidet, zeigt er im Gerichtsaal kaum Reue.

Auch nicht, als mehrere Zeugen den lauten Knall beschreiben, die Schreie Kim-Lauras und der um sie herum stehenden Jugendlichen. Auch nicht, als der technische Sachverständige sagt, der Tod Kim-Lauras hätte vermieden werden können, wenn T. nur 50 Kilometer pro Stunde gefahren wäre. Stattdessen raste T. Berechnungen zufolge mit mindestens Tempo 95 durch die Stadt, 1,8 Promille Alkohol im Blut, bevor er die Kontrolle über seinen BMW verlor. Das Mädchen flog 20 Meter durch die Luft . Bei all diesen Details schaut T. ziellos im Gerichtssaal umher, zeigt keinerlei Gefühlsregung.

"Er ist eher der ruhige Typ, redet nicht viel. So war es auch bei der Halloweenparty", erinnert sich die Gastgeberin. "Erst nachdem er Alkohol getrunken hatte, wurde er lockerer." Auch der Vertreter der Jugendgerichtshilfe beschreibt den Barsbütteler als ruhigen Typen, der aus einem gutbürgerlichen Haus komme.

Für Kim-Lauras Freunde und Verwandte ist der Prozess eine Zumutung, sagen sie. "Wir dürfen uns hier anhören, wie schlecht es dem jungen Mann geht", sagt Udo Radeloff, Onkel der verstorbenen Kim-Laura. "Im Prozess wird nicht erwähnt, wie schlecht es den Eltern geht. Alle zwei Wochen muss mein Bruder sich von einem Psychiater behandeln lassen, verlässt seit dem Unfall nicht mehr das Haus. Die Familie führt kein normales Leben mehr."