Mehr als ein Jahr nach dem Tod von Kim-Laura F. kommt der 21-Jährige Fahrer vors Jugendgericht. Nur ein Verhandlungstag angesetzt.

Bargteheide. Es sind schreckliche Bilder, die sich unauslöschlich ins Gedächtnis einbrennen. Ein junges Mädchen wird rund 20 Meter durch die Luft geschleudert, prallt auf die Pflastersteine. Sie ist sofort tot. Ein dunkelgrüner BMW kommt wenige Meter entfernt zum Stehen. Das Auto ist völlig demoliert. Nachdem der betrunkene Fahrer das Mädchen getroffen hatte, war sein BMW noch gegen andere Autos und den Pylon eines Autohändlers geprallt. Der Unfallort gleicht einem Trümmerfeld.

Fast ein Jahr ist seit dem Unfall an der B 75 in Bargteheide vergangen und noch immer musste sich der heute 21 Jahre alte Todesraser nicht für diese Tat verantworten. Doch jetzt steht fest: Am 16. November beginnt gegen Marcel J. der Prozess vor dem Jugendschöffengericht in Reinbek. Es ist lediglich ein Verhandlungstag angesetzt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm fahrlässige Tötung und Gefährdung des Straßenverkehrs vor. Für die Eltern ist die lange Zeit zwischen der Tat und der Gerichtsverhandlung eine Tortur. Sie wissen, dass es ein harter Gang wird. Sie werden dem Mann gegenüber sitzen, der für den Tod ihrer Tochter verantwortlich ist.

Es ist der 31. Oktober 2010 an dem die 16-Jährige Kim-Laura F. stirbt. Die Schülerin steht in der Nacht von Sonnabend auf Sonntag um 2.04 Uhr mit Freunden an einer Bushaltestelle an der B 75. Plötzlich ertönt das Geräusch quietschender Reifen. Kurz vor der Haltestelle verliert der junge Barsbütteler die Kontrolle über seinen 3er-BMW und rast in die Menschentraube. Kims Freunde können noch rechtzeitig zur Seite springen - die 16-Jährige nicht.

Für die Eltern der Schülerin ist seit diesem Tag nichts, wie es vorher war. Für Olaf Radeloff, den Vater der Verstorbenen, scheint seitdem die Zeit stillzustehen. Er ist seit dem Unfall arbeitsunfähig, hat sein Haus in Elmenhorst nach dem Verlust seiner geliebten "Kimmi" kaum verlassen. Wenn er heute in ihrem alten Zimmer sitzt, kann er noch immer nicht begreifen, dass seine Tochter nie wieder durch die Haustür kommen wird. Das Bett ist gemacht, auf der Kommode stehen Flakons mit Parfum. Auf einem Bord sind Schuhe akkurat aufgestellt. Moderne Pumps aus schwarzem Wildleder. Die junge Elmenhorsterin hat sich gern modisch gekleidet. Auch die passende Handtasche durfte zu ihren Outfits nicht fehlen. An der Tür hängen Taschen in diversen Formen und Farben.

"Sie fand den afrikanischen Stil schön", sagt die Mutter von Kim-Laura und zeigt auf Holzfiguren und auf die Bilder an der hellbraun gestrichenen Wand. Für Cordula Fuß ist es unbegreiflich, warum es so lange dauert, bis der Todesraser sich vor einem Richter verantworten muss. "Wir als Hinterbliebene wissen, da kommt noch etwas auf uns zu", sagt Cordula Fuß.

"Wir bemühen uns immer, die Verfahren schnell abzuschließen", sagt die Reinbeker Jugendrichterin Ute Schulze Hillert, die über das Strafmaß von Marcel J. entscheiden wird. Obwohl die Staatsanwaltschaft am 18. April Anklage erhoben hatte, kann der Prozess erst in drei Woche beginnen. "Das ist ein absoluter Ausnahmefall", sagt Schulze Hillert, die am liebsten bereits im August den Prozess gegen den Todesraser eröffnet hätte. Doch der Sachverständige, der den BMW des Unfallfahrers untersuchte, habe damals keine Zeit gehabt. Dann sei ein Großverfahren am Reinbeker Amtsgericht hinzugekommen, das eine Gerichtsverhandlung vor November unmöglich machte.

Für die Eltern ist die lange Wartezeit unerträglich. Sie wollen, dass Marcel J. zur Rechenschaft gezogen wird, eine angemessene Strafe bekommt. Dafür, dass er sich mit 1,8 Promille ans Steuer seines BMW setzte. "Er hatte die Wahl, er hätte ein Taxi nehmen können oder sich von Freunden nach Hause fahren lassen", sagt Cordula Fuß: "Unsere Tochter hatte keine Wahl."

Wie wichtig es für die Eltern ist, dass möglichst zeitnah ein Urteil gefällt wird, weiß Dieter Naber, ärztlicher Leiter der Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) in Hamburg: "Hinterbliebene sprechen häufig von einer erheblichen Erleichterung, wenn der Gerichtsprozess abgeschlossen ist." Und er fügt hinzu: "Zwar hat die Trauer dann natürlich kein Ende, aber es ist oft ein Anfang, um den Verlust zu verarbeiten." (abendblatt.de)