Die Zahl junger Patienten mit psychischen Problemen steigt. Viele Kinder fühlen sich nutzlos und entwickeln nur schwer ein Selbstbewusstsein.

Ahrensburg. In den letzten Jahren haben psychische Erkrankungen und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland stark zugenommen. Immer mehr junge Menschen leiden an depressiven Stimmungen. Das ist das Ergebnis einer Forsa-Studie, die im Auftrag der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK) unter 100 Kinder- und Jugendärzten durchgeführt wurde.

"Die Studie wurde zu dem Zweck erhoben, die Entwicklung in den vergangenen zehn Jahren aufzuzeigen", sagt DAK-Sprecher Rüdiger Scharf. Demnach sind 97 Prozent der Befragten der Meinung, dass die Zahl der Kinder mit psychischen Problemen und Verhaltensauffälligkeiten in den vergangenen zehn Jahren zugenommen hat. 55 Prozent denken sogar, dass es sich um einen starken Anstieg handelt. Scharf: "Wir haben eine höhere Lebenserwartung, fühlen uns fitter und gesünder. Umso alarmierender ist es, dass die Gesundheit unserer Kinder sich offensichtlich dramatisch verschlechtert hat." Laut der befragten Ärzte treten die Erkrankungen verstärkt bei Kindern im Alter von sechs bis acht Jahren auf.

Auch im Kreis Stormarn leiden immer mehr Kinder und Jugendliche an psychosomatischen Beschwerden. Die Ahrensburger Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie- und psychotherapie Dr. Bettina Lüders bestätigt das. "In unserer Tagesklinik in Ahrensburg haben wir einen riesengroßen Bedarf, der kontinuierlich wächst", sagt die Medizinerin.

Im Kreis werden Daten über Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern nur bei der Schuleingangsuntersuchung erhoben. "Seelische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen sind allgemein unterdiagnostiziert", sagt Dehtleff Banthien vom Kinder- und Jugendärzteverband Schleswig-Holstein.

In der Klinik von Bettina Lüders werden Patienten im Alter von bis zu 21 Jahren ambulant behandelt. Die Bandbreite an Krankheiten ist groß. Bei den Kleinkindern sind häufige Symptome für eine psychische Erkrankung Fütterstörungen oder andauerndes Schreien. "Kindergartenkinder zeigen eher Entwicklungsauffälligkeiten wie zum Beispiel motorische Defizite", so Bettina Lüders.

Lern- und Sozialverhaltensprobleme diagnostiziert die Ärztin oftmals bei Schulkindern. Lüders: "Diese Kinder lassen sich nicht oder nur schwer in eine Gruppe eingliedern." Jugendliche leiden vermehrt an Essstörungen sowie an depressiven Stimmungen. "Teilweise haben die jugendlichen Patienten Psychosen entwickelt oder sind suizidgefährdet", so Bettina Lüders. Das typische Bild der Kinderkrankheiten hat sich verändert. Statt an Masern und Grippe leiden immer mehr Kinder und Jugendliche an psychischen Erkrankungen wie depressiven Stimmungen.

Vor allem betroffen sind laut der Forsa-Studie junge Menschen mit Migrationshintergrund und Hauptschüler. "Diese Kinder leiden häufig verstärkt unter dem Leistungsdruck in der Schule", sagt Rüdiger Scharf. Sie hätten oftmals nicht die Möglichkeit, ihre Probleme auszudrücken. Dies könne zu Vereinsamung führen. Scharf: "Als Folge ziehen viele Kinder und Jugendliche sich zurück und rutschen in die Depression ab."

Bettina Lüders ergänzt: "Zahlreiche junge Menschen fühlen sich in der Gesellschaft nicht wirksam. Sie bekommen nicht das Gefühl, selbst etwas auf die Beine zu stellen." Dadurch sei es für die Kinder deutlich schwieriger, Selbstbewusstsein zu entwickeln.

Etwa 1000 neue Patienten behandeln Bettina Lüders und Kollegin Kathrin Marutt im Jahr in ihrer Ahrensburger Tagesklinik. Vier bis fünf Termine verabredet Lüders mit ihren Patienten und den Eltern, um dem Problem auf den Grund zu gehen. "Manchmal ziehen wir auch Lehrer oder das Jugendamt hinzu", so die Medizinerin. Zum Teil reichen diese Treffen aus. "Wir diagnostizieren, geben Hilfestellung und stellen die Weichen zur Lösung des Problems", sagt Bettina Lüders. "Bei anderen Kindern reicht die reine Diagnostik nicht aus, diese Patienten kommen regelmäßig wieder."

94 Prozent der in der Studie befragten Ärzte nannten zu intensive Mediennutzung als eine der größten Gefahren für die Gesundheit der Kinder. Außerdem sahen 83 Prozent die fehlende positive Vorbildfunktion der Eltern als Ursache für psychische Erkrankungen. "Ein großes Problem ist, dass zahlreiche Eltern immer weniger Zeit für ihre Kinder haben und diese viel Zeit vor PC und Fernseher verbringen", sagt DAK-Sprecher Scharf. Es gebe kaum noch Kommunikation innerhalb der Familie, Kinder würden mit ihren Problemen allein gelassen. Darüber geredet werde nicht.

Die Rolle der Familie hat sich verändert. Lüders: "In unserer Gesellschaft bleibt kaum Zeit für soziales Miteinander." Zudem seien immer weniger Eltern Vorbilder, die Kinder und Jugendliche für eine gesunde Entwicklung brauchen.