Unsere Schule: Das Abendblatt stellt die Selma-Lagerlöf-Schule in Ahrensburg vor

Ahrensburg. Es hat an der Tür geklopft. Merle Flemming öffnet und bittet in ihr Reich, das auch Frederike Paulsens ist. Tisch, Stühle, einfache Holzregale, haufenweise Papier, eine alte Stereoanlage, zwei Sträuße Papierblumen von der letzten Unterstufenparty, die auf ihren Einsatz bei der nächsten warten: Das ist das Büro der beiden Schülervertreterinnen. Ein mit bunten Plexiglasanhängern besetztes Tischlämpchen im Retrostil sorgt für gedämpftes Licht in dem Kämmerlein.

Im Oberstufentrakt der Ahrensburger Selma-Lagerlöf-Gemeinschaftsschule hat die erste große Pause begonnen. Merle und Frederike, beide 17, sind aus dem Klassenzimmer in ihr Büro umgezogen. Dort bekommt der Schülerwille eine Stimme. "Wir haben gerade eine Umfrage gestartet", sagt Merle. Zu wissen, was sich die 705 anderen Kinder und Jugendlichen wünschen, was sie denken, das ist den beiden jungen Frauen wichtig. Gerade haben sie einen Fragebogen verteilt. Was könnte generell verbessert werden an der Schule? Soll es einen Musikwettbewerb geben? Welcher Film wird für den nächsten Filmeabend gewünscht? So sieht Mitsprache im Kleinen aus.

Was die Schülervertreterinnen in der ihnen eigenen Bescheidenheit nicht berichten: Wie mächtig die Stimme der Schüler mitunter auch in entscheidenden Fragen sein kann, hat sich an der Selma-Lagerlöf-Schule kürzlich gezeigt. Als es nicht um Filmabende ging, sondern um die Umsetzung der neuen Profiloberstufe. Als Schüler die Elternvertreter von ihren Argumenten überzeugen konnten, als sie sich gemeinsam in der Schulkonferenz gegen ein von der Schulleitung vorgelegtes Konzept behaupteten. Im Ergebnis werden die Oberstufenschüler vom kommenden Schuljahr an trotz Profiloberstufe so viel Wahlmöglichkeiten bekommen, wie es das Schulgesetz überhaupt nur zulässt.

"Mitbestimmung ist ein ganz wichtiger Aspekt"

Das in der Abstimmung unterlegene Lehrerkollegium grollt unterdessen nicht, sondern ist voll des Lobes für die Schüler. "Das war ihr gutes Recht, das ist vor allem gut umgesetztes Recht", sagt Karsten Jonas, 37. Der promovierte Deutsch-, Erdkunde- und Weltkundelehrer ist stellvertretender Schulleiter. Er betont: "Mitbestimmung ist ein ganz wichtiger Aspekt an unserer Schule." Alle grundsätzlichen Entscheidungen werden in der Schulkonferenz auch mit einem Drittel Schülerstimmen gefällt. "Das ist gelebte Demokratie", sagt Jonas' Kollegin Sigrid Mayer-Jendrek, 55.

Die Schule als Ort des Zusammenlebens, an dem die Kinder und Jugendlichen lernen, an dem sie aktiv beim Übergang ins Berufsleben gestärkt werden, an dem sie aber auch soziale Kompetenz entwickeln - genau so hat sich Schulleiter Herbert Janßen, 61, seine Schule einst vorgestellt. "Ich bin sehr dankbar für diese einmalige Chance, eine Schule wirklich von der Pike auf aufbauen und gestalten zu können", sagt er heute. Und blickt zurück.

Sie waren damals zu sechst, und sie hatten einen Auftrag erhalten. Sechs Lehrer, vom Pioniergeist beseelt, sollten in Ahrensburg eine Gesamtschule aufbauen. Es war Anfang 1992, in der ehemaligen Alfred-Rust-Schule am Wulfsdorfer Weg herrschte Aufbruchstimmung. Im Sommer 1992 kamen die ersten 78 Fünftklässler. Das war die Geburtsstunde der heutigen Selma-Lagerlöf-Schule.

Auch Hermann Rehbein war schon damals dabei. "Meine Vorstellung war immer, etwas Gemeinsames zu schaffen, einen Ort, an dem es keine Ausgrenzung gibt", sagt der 60-Jährige, der in Kürze in Ruhestand geht. In seinem letzten Dienstjahr an der Selma-Lagerlöf-Gemeinschaftsschule ist der Mathematik-, Sport- und Weltkundelehrer mehr denn je überzeugt davon, dass es genau so auch gekommen ist. Rehbein kann den Erfolg geradezu messen, der schlägt sich in der Außenwirkung und den daraus resultierenden Anmeldezahlen nieder. "Wir müssen pro Jahr leider etwa 100 Schüler abweisen", sagt er, der in seiner Funktion als Unterstufenkoordinator seit Jahren Informationsveranstaltungen organisiert und Aufnahmegespräche führt. Seit Beginn dieses Schuljahres hat die Selma-Lagerlöf-Schule erstmals vier fünfte Klassen.

Europäischer Computerführerschein steht auch auf dem Stundenplan

Es läutet. Eine neue Stunde beginnt, was am Wulfsdorfer Weg seit diesem Schuljahr wörtlich zu verstehen ist. Jede Unterrichtseinheit hat nun 60 statt 45 Minuten. Im Computerraum im ersten Stock haben Neuntklässler die schuleigenen Notebooks aufgeklappt. 108 Rechner - darunter auch einige Macs -gehören zum Inventar. Auf dem Stundenplan steht die "European Computer Driving Licence", kurz ECDL. Dieser Computerführerschein wird in 148 Ländern weltweit als offizielles Zertifikat anerkannt. Im Wahlpflicht-II-Kursus können die Neunt- und Zehntklässler ihn an der Schule ablegen. Die Jugendlichen haben das Präsentationsprogramm Powerpoint aufgerufen. "Heute beschäftigen wir uns mit der Master-Funktion", sagt Lehrerin Silke Günzel. "Masterfunktion - das bedeutet, dass ein- und dieselbe Änderung auf allen Seiten eines Dokuments ausgeführt wird", sagt Ann-Kathrin Schmitt, 15. Während sie im Kreise ihrer Mitschüler ausprobiert, wie das praktisch funktioniert, sagt Silke Günzel: "Die ECDL verdoppelt die Chancen, bei einer Bewerbung ins Auswahlverfahren zu kommen." Die Schüler sind mit Feuereifer bei der Sache. "Im Internet surfen kann doch jeder", sagt Constanze Klein, 14, "aber ich möchte auch wissen, wie ich mit den ganzen wichtigen Programmen umgehen muss."

Diese auch dicht an der späteren Berufspraxis orientierte Ausbildung ist nach Überzeugung Sigrid Mayer-Jendreks eines der Erfolgsrezepte der Schule. "Wir haben darüber hinaus eine ausgeprägte Verknüpfung mit der Wirtschaft", sagt die Koordinatorin für die Klassenstufen 9 und 10. Unter anderem arbeitet die Selma-Lagerlöf-Gemeinschaftsschule mit der Basler AG, der Debeka und der Axel Springer AG zusammen. Auch die Kontakte zum Hause Hela sind bestens. Der Ketchuphersteller unterstützt das Engagement beim Wettbewerb "Jugend forscht", bei dem die Schule 2010 den Schulpreis eingefahren hat.

Es ist wieder Pause. Die Schüler versammeln sich im Foyer der Festhalle vor dem großen Flachbildschirm, auf dem alle Neuigkeiten und die aktuellen Vertretungspläne zu lesen sind. Sie stehen in Grüppchen auf dem Schulhof, der seit seiner Umgestaltung nicht ganz zu Unrecht den Spitznamen "Ahrensburgs schönster öffentlicher Platz" trägt. Sie gehen in die vom Förderverein betriebene Cafeteria, in der an diesem Tag die Mütter Lydia Vetters, 52, Regina Klüver, 54, und Susanne Gerlich, 48, die Schüler umsorgen. Das halbe belegte Brötchen kostet 50 Cent. Mittags liefern die Stormarner Werkstätten warme Speisen. Schülervertreterin Merle Flemming kommt den Gang entlang, grüßt hier und winkt dort. "Hier kennt jeder jeden. Es ist ein sehr angenehmes Miteinander an dieser Schule", sagt sie.

Den Sozialpädagogen ist Prävention am wichtigsten

Die Schule beschäftigt mit Frank Steiner, 43, und Melanie Volkmann, 37, zwei Sozialpädagogen. Beide teilen sich eineinviertel Stellen. Harmonie und Sozialarbeit - Frank Steiner sieht darin keinen Widerspruch. Im Gegenteil. "Zum Glück setzt sich der Gedanke durch, dass Schulsozialarbeiter nicht die Feuerwehr sind", sagt Steiner, der auf Prävention setzt. "Wir sind nicht dazu da, den Lehrern die Störenfriede abzunehmen, sondern den Schülern soziale Kompetenz beizubringen." Schon in den fünften Jahrgängen erklärt er, was es bedeutet, "gemeinsam Klasse zu sein". Steiner: "Das ist zusätzliche Arbeit. Aber die Verzinsung kommt."

Nach Unterrichtsende, wenn die Nachmittagskurse beginnen, hat Steiner auch ein Angebot parat. Er bildet die Konfliktlotsen aus - Streitschlichter, die in den großen Pausen vermitteln, wenn es doch mal krachen sollte. Außerdem koordiniert Steiner das gesamte Nachmittagsangebot. "Da wird eigentlich Zeit verbrannt", sagt er. Deshalb sei es umstritten, ob das Aufgabe der Sozialpädagogen sei. Und doch findet er es richtig. "Das ist auch eine Schnittstelle, ein ganz niedrigschwelliges Angebot, um Schüler zu erreichen." 60 Prozent aller Fünft- bis Zehntklässler belegen Nachmittagskurse, in den fünften Klassen sind es sogar 95 Prozent. Steiner: "Diese Zahlen sprechen für die Notwendigkeit."

Wer vollkommen unverbindlich Zerstreuung am Nachmittag sucht, kann in den Jugendclub gehen. Stereoanlage, Tischfußball, Billard: In jeder großen Pause und nach Unterrichtsende sind 15 bis 20 Besucher dort. Dominik Gaedtke, 20, der ein Freiwilliges Soziales Jahr macht, leitet den Club.

Merle Flemming und Frederike Paulsen sitzen wieder in ihrem Mini-Büro. Sie sind gespannt auf die Fragebogen-Rückläufer. Welchen Film werden die Schüler sehen wollen? Und, noch spannender: Wie viele werden kommen? Aller Anfang ist klein. Merle: "Beim letzten Mal waren es zwei. Aber wir waren eine nette Runde."

Nächsten Dienstag: die Theodor-Storm-Schule in Bad Oldesoe