Rechtsmedizin in Kiel untersucht im Mordfall Silke B. die Speichelproben von Männern. Auch beschädigte DNA kann untersucht werden.

Reinfeld/Kiel. "DNA - kein Zutritt" steht an den Türen der Labore des rechtsmedizinischen Instituts der Uniklinik in Kiel. Hinter diesen Türen tragen die Mediziner weiße Schutzanzüge, Handschuhe, Mundschutz - nur die Augen bleiben frei. Die Fachleute haben ein ehrgeiziges Ziel: Sie wollen bei der größten DNA-Reihenuntersuchung in Schleswig-Holstein den Mörder der 15 Jahre alten Silke B. aus Reinfeld überführen. Die Schülerin war im Juni 1985 bei Bad Oldesloe erstochen worden.

Niemand darf die sterilen, DNA-freien Labore ohne Schutzanzug betreten - zu groß ist die Gefahr, dass fremde DNA-Spuren in die Räume gelangen. Ein Haar, eine Hautschuppe oder der kleinste Tropfen beim Niesen könnten die Speichelproben von rund 2000 Männern - darunter 1400 aus Stormarn - verfälschen, die derzeit ausgewertet werden.

Vorsichtig schneidet eine Labormitarbeiterin ein Stückchen des Wattekopfes ab, an dem der Speichel eines Mannes klebt. Es fällt in ein kleines Gefäß. Mit einer Pipette tröpfelt die Genetikerin eine Pufferlösung darauf. "Die Speichelzellen werden darin zerstört", sagt Nicole von Wurmb-Schwark, Leiterin der Forensischen Genetik, "so kommen wir an die DNA im Zellkern ran." Bei jedem Menschen sind darin die Erbinformationen abgespeichert. Um den genetischen Fingerabdruck zu erstellen, legen die Labormitarbeiter ihr Augenmerk auf die Basenpaare zwischen den Genen. "Diese Abschnitte geben keinerlei Auskunft darüber, wie groß ein Mensch ist, welche Haar- oder Augenfarbe oder gar Krankheiten er hat. Wir nennen dies den nicht kodierenden Bereich", sagt Wurmb-Schwark. Auch die Abfolge der Basenpaare ist bei jedem Menschen unterschiedlich.

Ein Computer ermittelt die Sequenz einzelner DNA-Abschnitte. Im Rechner ist auch der genetische Fingerabdruck des Mannes gespeichert, den die Polizei für den Mörder hält. Eine Übereinstimmung wird sekundenschnell angezeigt. "Wenn wir auch Abschnitte auf anderen Chromosomen miteinander verglichen haben und diese ebenfalls übereinstimmen, haben wir ihn", sagt die Chefin. Dann greifen die Labormitarbeiter zum Telefonhörer und benachrichtigen die Kripo.

"Bei jedem 200. Mensch ist die Abfolge an einem bestimmten Abschnitt gleich. Je mehr Abschnitte miteinander verglichen werden, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit", sagt Wurmb-Schwark. Den Code an bis zu 16 DNA-Abschnitten können die Genetiker in Kiel gleichzeitig bestimmen. Die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Menschen an diesen DNA-Abschnitten die gleiche Sequenz haben, liegt bei 10{+-}²³{+.}

Im September 1984, rund neun Monate vor dem Mord an Silke B., hatte der Brite Alec John Jeffreys per Zufall den genetischen Fingerabdruck entdeckt. Jedoch war die Kriminaltechnik damals noch nicht so weit, damit einen Täter zu überführen. Auf Fotos von Silke B.'s Fundort stehen zahlreiche Polizisten ohne Schutzkleidung. Heute wäre das undenkbar. Ermittler in Schutzkleidung inspizieren als Erste den Tatort und finden selbst vermeintlich unsichtbare Hinweise.

Doch auch beim Mord an Silke B. sicherten die Fahnder DNA-Spuren - ohne es zu wissen. Da Mord nicht verjährt, lagen alle Beweisstücke in der Asservatenkammer der Kripo. 1985 war es sehr wohl möglich, Blutspuren zu untersuchen und beispielsweise die Blutgruppe zu ermitteln. Und damit diese Spuren nicht zerstört werden, wurde darauf geachtet, das Beweismaterial vernünftig zu sichern. So blieb auch die DNA nahezu unversehrt.

"Sonne, eine hohe Luftfeuchtigkeit oder zu hohe Temperaturen können das Erbmaterial zerstören", sagt Wurmb-Schwark. Sind die Lagerbedingungen jedoch gut, lässt sich sogar nach Hunderten von Jahren der genetische Fingerabdruck ermitteln. In den vergangenen Jahren sind Methoden entdeckt worden, Stücke einer DNA zu untersuchen und einen genetischen Fingerabdruck zu erstellen. Alte Knochen oder historische Funde können somit Menschen zugeordnet werden. Auch solche Untersuchungen erledigt die Kieler Rechtsmedizin. "Die Möglichkeit, selbst stark beschädigte DNA zu analysieren, wird immer besser. Alte Knochen, bei denen wir noch vor wenigen Jahren an die Grenzen unserer Möglichkeiten gestoßen sind, haben wir in den vergangenen Monaten erneut untersucht. Mit Erfolg", sagt Nicole von Wurmb-Schwark.

Deshalb nimmt sich die Polizei immer wieder sogenannte kalte Fälle vor. Uns so gelang es im Sommer vergangenen Jahres, den genetischen Fingerabdruck von Silkes Mörders zu finden. Die Reinfelder Schülerin wollte am Abend des 1. Juni 1985 zur Party "Spektakel 85" in der Schule am Oldesloer Masurenweg. Dort kam Silke B. nie an. Ihre Leiche wurde am nächsten Tag in den Travewiesen zwischen den Dörfern Schlamersdorf und Sühlen gefunden.

Die Ermittler gehen davon aus, dass der Täter 18 bis 25 Jahre alt war, einen Führerschein hatte und maximal 15 Kilometer vom Tatort entfernt gewohnt oder eine allgemeinbildende, weiterführende oder berufsbildende Schule besucht hat. Rund 2200 Männer fallen in dieses Raster. Sie alle wurden aufgefordert, eine Speichelprobe abzugeben. Mitte Januar sollen alle ausgewertet sein. Gibt es keine Übereinstimmungen, werden die Daten gelöscht.

Für die Gerichtsmediziner der Uni Kiel ist es die zweite Reihenuntersuchung. "Vor drei Jahren haben wir circa 1200 Speichelproben ausgewertet. Gesucht wurde ein Massenvergewaltiger aus Lübeck", sagt Nicole von Wurmb-Schwark. Der Täter war zwar nicht dabei, er wurde aber bei einer weiteren Vergewaltigung gefasst.

Im Fall Silke B. sind sich die Ermittler sicher: Der Mörder ist unter den rund 2200 Männern.