Geheimgutachten der Handelskammern Hamburg und Lübeck spricht von “deutlich verhalteneren Trendverläufen“ beim Verkehr

Bad Oldesloe. Die feste Fehmarnbeltquerung und deren Verkehrsanbindung werden im Raum zwischen dem Belt und Hamburg kaum zu direkten Investitionen führen. Mit anderen Worten: Der wirtschaftliche Nutzen ist gering, weil vermutlich weder Bahneinrichtungen noch Raststätten gebaut werden. Außerdem seien die Verkehrsprognosen "grundsätzlich in der Tendenz zu optimistisch" - also zu hoch.

Zu diesem überraschenden Schluss kommt ein noch unveröffentlichtes Gutachten, das der Stormarn-Ausgabe des Abendblattes in Auszügen vorliegt. Die Untersuchung entstand im Auftrag der Handelskammern Hamburg und Lübeck sowie der Landesplanung Schleswig-Holstein. Sie soll zu einem gemeinsamen Positionspapier der beiden Kammern, der Hansestadt Lübeck sowie der Kreise Ostholstein, Stormarn, Segeberg und Herzogtum Lauenburg führen.

Das Gutachten stammt von der Hamburger Beratungsfirma Hanseatic Transport Consultancy (HTC). Es dürfte den Fans des Milliardenprojekts Beltbrücke nicht gefallen. Die Gutachter gehen von "deutlich verhalteneren Trendverläufen auf den Verkehrsmärkten" aus. Insbesondere beim Güterverkehr reiche die Kapazität der Hinterlandanbindung, wenn sie zweigleisig ausgebaut werde, auf "Jahre hinaus" aus, um den Bedarf zu erfüllen. Auch die Bahn hat das mittlerweile eingesehen. Soeben hat sie die Prognose gesenkt. Nicht mehr 150 Güterzüge pro Tag sollen ab 2018 die Brücke passieren, sondern nur noch 78. Damit nähert man sich verblüffenderweise einem von Naturschützern und anderen Brückengegnern in Auftrag gegebenen Gutachten an, die für 2015 mit maximal 61 Güterzügen gerechnet haben.

Ferner heißt es in der HTC-Expertise: "Fast alle Projekte in Bezug auf den Verkehrsträger Schiene haben nach Einschätzung der Berater kaum Potenzial, im Zuge der Realisation der Fehmarnbeltquerung einschließlich ihrer Hinterlandanbindung zu einer wirtschaftlichen Belebung der Region Ostholstein in größerem Umfang beizutragen."

Auch für Stormarn ist nicht viel zu erwarten: Zwar gebe es im Dreieck zwischen den Autobahnen 1, 20 und 24 "Potenzial für Logistikparks", dies stehe aber "nur in mittelbarem Zusammenhang" mit der Beltbrücke. Mit anderen Worten: Auch ohne den Neubau, der im Jahr 2018 fertig sein soll, ist Stormarn ein interessanter Standort für Firmen aus der Logistikbranche.

Dem Wunsch einiger Verkehrspolitiker, Hamburg und Kopenhagen mit einer Hochgeschwindigkeitstrasse zu verbinden, erteilen die Gutachter eine klare Absage. Das mögliche Fahrgastaufkommen sei "nur schwer in ein vertretbares Verhältnis zum Investitionsumfang" für eine solche Strecke zu bringen.

Im Entwurf des Positionspapiers der vier Kreise, der beiden Handelskammern und der Stadt Lübeck spielen all diese Bedenken keine große Rolle mehr. Die Beltbrücke wird als "Jahrhundertbauwerk" bezeichnet, als "eines der wichtigsten Infrastrukturprojekte für Norddeutschland". Die Hochgeschwindigkeitsstrecke sei "aus verkehrspolitischer Sicht wünschenswert" und sollte "als langfristige Option weiter verfolgt werden". Wann Gutachten und Positionspapier so weit zur Deckung gebracht sind, dass beide veröffentlicht werden können, ist unklar. Can Özren, der Pressesprecher der Handelskammer Lübeck, mochte sich auf ein Datum nicht festlegen. "Wir sind mitten im Abstimmungsprozess", sagt er. "In der vergangenen Woche hat es dazu ein erstes Treffen mit Entscheidungsträgern aus den Kreistagen gegeben."

50 000 Euro kostet das Gutachten, das auch mit einigen Vorschlägen aufwartet, wie die Schienenanbindung der Beltbrücke verbessert werden kann. Die meisten sind bekannt und stehen seit Jahren im Forderungskatalog der Handelskammern: der Bau von S-Bahngleisen zwischen Hamburg und Ahrensburg, die Beseitigung von Engpässen im Knotenpunkt Hamburg und eben der zweigleisige Ausbau der Bahnstrecke Lübeck-Puttgarden.