Ein Tangstedter hielt die 25 Jahre alte Bargteheiderin eine Woche lang gefangen und missbrauchte sie. Als das SEK kam, war er schon tot

Bargteheide/Tangstedt. Das weiße Häuschen ganz am Ende eines staubigen Privatwegs duckt sich im Schatten alter Bäume. Niemand verirrt sich aus Versehen hier her. Das Gebell von mehreren Hunden lässt schon von Ferne erkennen: Besucher sind nicht unbedingt willkommen. Eine ältere blonde Frau spricht das dann auch in aller Deutlichkeit aus. Es ist ein Ort am äußersten Rande von Tangstedt. Der Ort, an dem die eine Woche lang vermisste Arzthelferin Anne H. gefangen gehalten und missbraucht worden war, bevor ihr Peiniger sie am vergangenen Sonntag vor dem elterlichen Haus in Bargteheide absetzte (wir berichteten).

Es ist der Ort, der am Mittwochabend zum Schauplatz eines spektakulären Polizeieinsatzes wurde. Nachdem die Kriminalpolizei dem mutmaßlichen Entführer der jungen Frau auf die Schliche gekommen war und bei der Staatsanwaltschaft Lübeck einen Durchsuchungsbefehl erwirkt hatte, stürmten Beamte des Sondereinsatzkommandos (SEK) das Gelände. Sie fanden den 49 Jahre alten Tatverdächtigen im Haus. Er war tot, hatte sich die Pulsadern aufgeschnitten.

Der Tag danach. Die SEK-Männer sind wieder weg. Die Nachmittagssonne brennt auf die Siedlung, in der die Häuser selbst gezimmert aussehen, nicht so teuer und geleckt wie vorn an der Hauptstraße. Vieles erinnert an eine Laubenkolonie. Es ist still. Die Mehrzahl der Häuser ist nur am Wochenende bewohnt.

Bei den Menschen, die am Rande des Waldes ihre Meldeadresse haben, überwiegt eine Mischung aus Skepsis und Neugier. "Das war merkwürdig gestern Abend", sagt eine Mittdreißigerin, die den Weg vor ihrem Holzzaun kehrt. "Ständig haben Leute bei uns geklingelt und nach der Hausnummer gefragt." Sie nennt eine Ziffer, die zu dem Häuschen im Schatten der hohen Bäume gehören soll. Die Frau erzählt weiter: "Da waren Männer, die wie Polizisten aussahen. Sie waren mit Bussen gekommen. Dann der Krankenwagen. Und schließlich dieser silberfarbene Kombi." Sie stutzt. "Er sah aus wie ein Leichenwagen. Die beiden Männer, die ihn fuhren, trugen schwarze Hemden. Es war so unheimlich." Über den Mann, der das Haus bewohnt, weiß sie eigentlich nichts. Nur seine vielen Hunde - "Dobermänner und so was" - , die seien ihr unheimlich gewesen.

Ein anderer Nachbar in einem anderen Haus, Alleinlage mitten im Wald. 200 Meter trennen sein Grundstück vom mutmaßlichen Tatort. Auch bei ihm klingelte die Polizei. "Sind Sie der Herr K.?" Er verneinte. Und er fragt sich seitdem: Wer ist eigentlich dieser Nachbar, der so dicht neben ihm wohnt, für den sich plötzlich alle interessieren und von dem er doch gar nichts weiß? "Man denkt doch, hier muss jeder jeden kennen." Der Mann meint, dass der Nachbar allein mit seinen Hunden in dem Haus gelebt habe. "Manchmal ist eine Frauen da gewesen, manchmal waren es auch zwei." Andere Siedler berichten, der Mann aus dem weißen Häuschen sei jeden Morgen um sechs Uhr zur Arbeit gefahren. Er habe mit Hunden gearbeitet. "Ein Züchter oder ein Trainer oder so etwas."

Vor dem weißen Häuschen steht ein weißer Kastenwagen. Seine Größe und seine Farbe entsprechen den Aussagen Anne H.s. Sie hatte bei der Polizei ausgesagt, 200 Meter vom Bargteheider Bahnhof entfernt von einem Unbekannten durch die geöffnete Schiebetür in einen weißen Lieferwagen gezerrt worden zu sein. Der Mann habe sie gefesselt und ihr die Augen verbunden. Der Beginn eines 168-stündigen Martyriums, das im Schlafzimmer des weißen Häuschens im Schatten der hohen Bäume seinen grausamen Lauf nehmen sollte.

Anne H. - nach Einschätzung der Polizei das Zufallsopfer des Täters, der den Ermittlungsbehörden zuvor nicht bekannt gewesen ist. Sie war am Sonntag vor einer Woche mit der Regionalbahn von Hamburg nach Bargteheide gefahren, aber nicht bei ihrem Vater angekommen. Freunde und Familie hatten daraufhin unter anderem einen Suchaufruf im Internet gestartet.