Experten legen eine Analyse zu Rechtsextremismus in Nordstormarn vor. Fazit: Es gibt seit Jahren eine organisierte Szene in Reinfeld.

Reinfeld. Was viele Stormarner immer wieder schildern, ist nun in einem offiziellen Bericht bestätigt worden. Reinfeld hat ein Problem mit jungen Rechtsextremen. Das belegt eine Studie des schleswig-holsteinischen Beratungsnetzwerks gegen Rechtsextremismus, die sich mit Nordstormarn befasst und die dieser Zeitung vorliegt. In der Region existiere "seit Jahren eine organisierte Szene vor allem junger Rechtsextremer samt einem Umfeld von Mitläufern und Unterstützern, die kontinuierlich und gewalttätig aktiv ist" heißt es in der Zusammenfassung des 31 Seiten dicken Berichts. Und weiter: "Dies betrifft vor allem Reinfeld." Auch die Städte Bargteheide und Bad Oldesloe wurden untersucht. Doch dort ist das Problem, so legen es die Schilderungen in der Studie nahe, deutlich kleiner.

Für den Bericht, der auch Recherchen der Stormarn-Ausgabe des Abendblatts bestätigt, hatten zwei Experten der in Kiel ansässigen Beratungsstelle ein Jahr lang im Auftrag der Kreisverwaltung geforscht. Sie führten 26 Interviews mit Kennern der Szene. Dazu zählen für die Autoren der Studie unter anderem Mitarbeiter der Polizei und der Schulen, der Jugendpflege und der Verwaltungen. Schilderungen von Opfern rechtsextremer Gewalt flossen in den Bericht ein sowie Gespräche mit Lokalpolitikern und Vertretern von Vereinen und Verbänden, mit Schülern und Jugendlichen.

Die Interviews sind in dem Bericht anonymisiert worden, um die Gesprächspartner zu schützen. Die Schilderungen sind zum Teil dramatisch. "Ich bin wegen der Nazis aus Reinfeld weggezogen. Die letzte Aktion war, dass sie, acht bis zehn Neonazis, mit Baseballkeulen die Türen eingeschlagen haben. (...) Meine Mutter wurde dreimal zusammengeschlagen, und dann hat mir das gereicht", sagt ein Befragter, der mit seiner Familie jetzt woanders wohne. Ein anderer erzählt, wie ihm "mit zehn Leuten nachts aufgelauert" worden sei. Anschließend sei er von einem Auto über ein Feld gejagt worden. Andere Gesprächspartner schildern, dass es am Reinfelder Schulzentrum "gezielte Agitationsversuche von Rechtsextremen" gebe. "Da ist ein System an den Schulen. Die Lehrer kriegen das gar nicht mit", sagt ein Interviewpartner. Andere Reinfelder geben an, dass das Karpfenfest nach wie vor ein Treffpunkt für Neonazis sei.

+++Rechtsradikalismus - auf den Spuren einer Szene+++

Das Problem, das besagen viele Schilderungen in dem Bericht, existiere schon seit den 90er-Jahren. Die Neonazis hätten es verstanden, eine "jugendpolitische Lücke" zu füllen, etwa mit "Shuttle-Diensten" zu Partys und Diskotheken, die sie jüngeren Jugendlichen anböten.

Die Wahrnehmung des Problems klaffe in der Stadt allerdings weit auseinander. Einige Bürger kämen nie mit rechtsextremer Gewalt in Berührung und glaubten daher auch nicht, dass es ein solches Problem gebe. Andere, besonders linksalternative Jugendliche, hätten viele negative Erfahrungen gemacht und fühlten sich bedroht. "In jedem Fall kann festgehalten werden, dass in Reinfeld eine Gruppe von Opfern rechtsextremer Bedrohung und Gewalt existiert, dies bisher aber wenig öffentlich thematisiert wurde", schreiben die Autoren des Berichts.

Der Auftraggeber der Studie ist Wilhelm Hegermann, Leiter des Bereichs Jugend, Schule und Kultur in der Kreisverwaltung. Er war gestern nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. Auch von der Polizeidirektion Ratzeburg, die für Stormarn zuständig ist, war keine Einschätzung zu bekommen.

Bei den Mitgliedern des Stormarner Jugendhilfeausschusses, denen der Bericht aus Kiel seit Kurzem vorliegt, wird der Inhalt aber bereits diskutiert. "Dass es gerade in Reinfeld Probleme gibt, war uns bekannt. Dass viele nicht hinschauen wollen, auch", sagt Stefan Kehl, der für die Grünen in dem Ausschuss sitzt. Er hofft, dass der Bericht nun bei der politischen Konkurrenz zu einem Umdenken führt. "Ich wünsche mir, dass sich jetzt auch CDU und FDP mehr gegen Rechtsextremismus engagieren. Bisher sind es hauptsächlich SPD, Grüne und die Linke", so der Kreistagsabgeordnete. Seine Ausschusskollegin Janne Bollingberg (CDU) sagt hingegen: "Ich befürchte, dass Rechtsextremismus durch linke Gegenmaßnahmen gefördert wird." Bestimmte linke Demonstrationen könnten "eher provokativ" wirken. Ihrer Meinung nach müsse das Problem ganz anders bekämpfen werden: "Man muss diese Menschen mit in die Gesellschaft einbeziehen. Denn es sind Menschen, die sich ausgegrenzt fühlen und sich ausgrenzen lassen."

Hendrik Holtz, der für die Linke in dem Ausschuss sitzt, ist zunächst einmal froh, dass zu dem Problem jetzt ein offizieller Bericht vorliegt. "Es ist ein sehr wertvolles Dokument, das zeigt, dass es diese Strukturen gibt. Der Inhalt ist sehr glaubhaft, sehr genau und sehr dicht an der Wahrheit", sagt der Politiker, der in der Nähe von Reinfeld wohnt und selbst schon mehrfach von Rechtsradikalen bedroht wurde. Er betont, dass in Reinfeld seit etwa zwei Jahren stärker gegen Rechtsradikalismus vorgegangen werde. Ein Beispiel dafür sei der Kriminalpräventive Rat, den es seit 2010 gibt. Aber er sagt auch: "Das Problem ist nach wie vor da."

In der Kreisverwaltung ist noch nicht geklärt, ob und wann der Bericht aus Kiel veröffentlicht wird. In jedem Fall wird er aber öffentlich debattiert werden, in der nächsten Sitzung des Jugendhilfeausschusses. Die Mitglieder treffen sich am Montag, 13. August, 19 Uhr, im Jugendgästehaus Lütjensee (Am Seeredder 20).