Neonazis haben sich Lübtheen in Mecklenburg-Vorpommern gezielt als Wohnhort ausgesucht. Bürgermeisterin Ute Lindenau rät Stormarnern, früh zu reagieren

Lübtheen. Was kann eine Bürgermeisterin aus Ostdeutschland, deren Stadt ein sehr viel gravierenderes Nazi-Problem als die Orte in Stormarn hat, ihren Kollegen aus dem Westen raten? In der Tat so einiges, denn sie kennt die Strategie der Rechtsradikalen, sich gezielt kleine Orte auf dem Land auszusuchen, aus eigener Erfahrung. Und sie weiß, wie schwierig es ist, gegen die Feinde der Demokratie vorzugehen - wenn man sie zu spät erkennt. "Man darf nicht den Kopf in den Sand stecken und das Problem verschweigen, sondern muss offensiv damit umgehen", sagt Ute Lindenau, Bürgermeisterin von Lübtheen in Westmecklenburg, heute. Und: "Man darf sich nicht von den Nazis treiben lassen, muss agieren anstatt zu reagieren."

Führende Neonazis zogen Ende der 90er-Jahre nach Lübtheen

Es ist die Lehre aus einer leidvollen Erfahrung. Führende Rechtsradikale siedelten sich schon seit Ende der 90er-Jahre gezielt in der 4500 Einwohner großen Stadt im Elbetal in Mecklenburg-Vorpommern an. "2006 haben wir es erst so richtig gemerkt", sagt die SPD-Politikerin. Damals gaben 16,2 Prozent der Lübtheener dem NPD-Politiker Udo Pastörs bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern ihre Stimme. Pastörs ist mittlerweile stellvertretender Bundesvorsitzender der NPD, mit seiner Frau Marianne zog er schon 1999 nach Lübtheen. Gesinnungsgenossen wie Andreas Theißen siedelten sich ebenfalls an. Mittlerweile sitzen Marianne Pastörs und Andreas Theißen für die NPD im Lübtheener Gemeinderat.

Rechtsradikaler Udo Pastörs gab den "freundlichen Onkel" in dem Ort

"Zuerst kannte Herrn Pastörs keiner. Aber er hat immer den freundlichen Onkel gegeben. Nach und nach haben er und seine Freunde ihr Sympathisantenumfeld gefunden, durch die ständige Präsenz vor Ort. Sie haben zum Beispiel Knobel- und Skatabende angeboten", sagt Ute Lindenau. Auch im Gemeinderat geben die NPD-Politiker die "Kümmerer", erzählt Ute Lindenau: "Sie sind gut vorbereitet und fragen zum Beispiel nach, wann Straßen gebaut werden und ob irgendwo Äste von den Bäumen fallen."

Nachdem die Stadt 2006 bundesweit in die Schlagzeilen geriet und schnell einen Ruf als rechtes Nest bekam, ist in Lübtheen viel passiert. Das Bündnis "Wir für Lübtheen" gründete sich im selben Jahr, Mitglieder sind Vereine, Verbände, Kirchen, Schulen und auch die Orts-Handwerkerschaft.

Es ist der Versuch, alle gesellschaftlichen Schichten am Kampf gegen die Nazis zu beteiligen - ähnlich wie in Glinde, wo Sportvereine und Parteien aller Couleur an der Bürgerinitiative gegen den Thor-Steinar-Laden teilnehmen, oder in Ratzeburg, wo die Kirche in der Initiative gegen Nazis vertreten ist. Anders als in Stormarn muss das Lübtheener Bündnis zum Teil gesellschaftliche Angebote neu schaffen, die nach 1990 wegbrachen. "Wir tun etwas für die Gemeinschaft und für die Kinder, bevor es die Nazis tun", sagt Ute Lindenau.

Das Bündnis setzt besonders bei den jungen Lübtheenern auf Aufklärung. "Jeder soll wissen, mit wem er es zu tun hat", sagt Ute Lindenau. Denn ähnlich wie in Stormarn würden auch die Lübtheener Nazis neue Themen wie die Ökologie für sich entdecken. "Herr Pastörs war zum Beispiel in einer Lübtheener Bürgerinitiative gegen den Braunkohleabbau aktiv", sagt Ute Lindenau. Eine vergleichbare Strategie wendeten die Autonomen Nationalisten Stormarn an, die für das Oldesloer Tierheim spendeten und die Übergabe dieser Spende im Internet auf ihrer Webseite bekannt machten.

Parallelen wie diese führen dazu, dass sich die Gemeinden aus Ost- und Westdeutschland mittlerweile über das Thema austauschen. Bei einem Treffen in Ratzeburg im Frühjahr haben Vertreter von Städten und Gemeinden aus Stormarn, dem Kreis Herzogtum Lauenburg und Mecklenburg-Vorpommern erstmals gemeinsam über das Problem beraten.

Ute Lindenau sagt, dass Bürger in Stormarn aktiver sind

Unter den Teilnehmern war neben Glindes Bürgermeister Reinhard Zug und Vertretern aus Reinfeld und Bad Oldesloe auch Ute Lindenau. Neben Parallelen sind ihr auch deutliche Unterschiede aufgefallen: "Bürger in den alten Bundesländern gehen selbstbewusster mit dem Thema um. Für die Menschen in Glinde scheint es selbstverständlich zu sein, etwas gegen die Rechten zu tun." In Lübtheen sei das leider nicht so ausgeprägt. Es gebe einen "Mangel an Zivilcourage", den Ute Lindenau auf die DDR-Vergangenheit zurückführt. "Viele erwarten erst einmal, dass die Bürgermeisterin oder die Verwaltung etwas gegen das Problem unternehmen."