Das Amtsgericht Reinbek verurteilte den 23-Jährigen zu 40 Tagessätzen. Er hatte vor dem Thor-Steinar-Laden den Arm zum Hitlergruß gehoben.

Glinde. Zusammengesunken sitzt er auf dem mit roten Stoff bezogenen Holzstuhl im Reinbeker Amtsgericht. Seine Beine hat er eng verschlungen unter den Stuhl geklemmt, sein rechter Fuß zittert, seine linke Hand hält er permanent vor seine linke Gesichtshälfte. Hin und wieder zieht er die Kapuze seines schwarzen Sweatshirts weit über den Kopf. Während der ganzen Verhandlung schaut er nicht einmal in Richtung der Prozessbeobachter.

Der 23 Jahre alte Stefan Schwarz (Name von der Redaktion geändert) aus Glinde wurde gestern vom Amtsgericht Reinbek wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verurteilt, weil er am 26. September 2011 nach einem Einkauf in dem Thor-Steinar-Laden in Glinde gegenüber Demonstranten den Hitlergruß skandierte hatte. Die Strafe: 40 Tagessätze á 25 Euro.

Die zuständige Richterin zeigte sich bei der Strafzumessung ein Stück weit milder als die Staatsanwaltschaft Lübeck, die 20 Tagessätze mehr gefordert hatte. "Der Angeklagte ist nicht einschlägig vorgestraft." Zudem habe er situationsbedingt gehandelt, weil er sich provoziert und beleidigt gefühlt habe. "Da kann einem mal schneller die Sicherung durchbrennen, als bei einem stillen Protest." Auch berücksichtigt die Richterin das geringe Einkommen des Mannes, der rund 850 Euro netto als Lagerarbeiter bei einer Zeitarbeitsfirma verdient.

Geständig zeigte sich der 23-Jährige jedoch nicht. Das Urteil nahm er nach rund 90 Minuten ruhig hin und fügte lediglich nuschelnd hinzu: "Ich habe nichts mit Nazis zu tun." Auch den Hitlergruß habe er nicht gezeigt, sondern lediglich den rechten Arm mit einer geballten Faust in die Luft gestreckt - weil er sich bedroht gefühlt habe. "Als ich aus dem Laden kam, wurde ich übelst beschimpft mit Buhrufen, ich wurde als Nazisau bezeichnet und dass ich verschwinden soll. Da war ich so gereizt, dass ich das aus Trotz und Wut gemacht habe", erklärte er dem Gericht. "Die Hand habe ich nicht ausgestreckt." Die Faust sollte nichts symbolisieren. Auch habe er nicht, wie ihm vorgeworfen wird, "Heil" gerufen, sondern "Thor Steinar". Rund 15 Leute hätten nach seiner Shoppingtour vor ihm gestanden, mit Trillerpfeifen und Rasseln. "Ich hatte mit der Reaktion gegen mich nicht gerechnet, als ich aus dem Laden kam", sagte der junge Glinder.

Die Leute, die er meint, sind Mitglieder der Bürgerinitiative, die sich seit Eröffnung des Bekleidungsgeschäftes am Glinder Berg zusammengefunden haben. Seit Mitte September vergangenen Jahres machen sie Tag für Tag ihren Protest gegen den Laden deutlich, der ausschließlich die in der rechten Szene beliebte Modemarke Thor Steinar vertreibt. Jeden Nachmittag postiert sich vor dem Geschäft eine bunte Menschentraube - jeder Kunde des Ladens wird mit einem Pfeifkonzert hinaus- oder hineinbegleitet. "Aber die Gruppe, die da steht, beleidigt nicht", sagte einer der Zeugen, die den Angeklagten bei dem Hitlergruß beobachteten und nun vor Gericht aussagten.

Der 23-Jährige war für den 60 Jahre alten Zeugen kein Unbekannter. Er hatte Schwarz bei seiner Arbeit als Jugendleiter beim TSV Glinde vor einigen Jahren kennengelernt. Der Zeuge beschrieb den jungen Mann als einen, der in der Entwicklung etwas zurückgeblieben sei und deshalb mehr Betreuung bedurfte. Als ein Zuwinken aber, wie die Verteidigung des Angeklagten den Hitlergruß zu deuten versucht, sah der Zeuge die Tat keineswegs an. "Er hob die Hand mit ausgestreckten Fingern."

Für Schwarz' Verteidiger ist die Bürgerinitiative eine "Mannschaft, die Nazis Ärger macht", eine Gruppe, die Straftaten durch Beleidigungen begeht. Sein Mandant habe sich durch die "Nazis raus"-Parole und den Glinder Anti-Nazi-Spruch persönlich beleidigt gefühlt. Mit einem neuen Beweisantrag und der Anhörung weiterer Zeugen kam er jedoch ebenso wenig durch wie mit seiner Forderung nach einem Freispruch. Staatsanwaltschaft und Richterin werteten die Aussage des 23-Jährigen lediglich eine Faust gezeigt zu haben, als reine Schutzbehauptung.

Die Mitglieder der Bürgerinitiative sehen die milde Bestrafung vor Gericht für das Zeigen des Hitlergrußes dennoch als ausreichend an - auch wenn das Strafmaß theoretisch hätte deutlich höher liegen können. Denn das Strafgesetzbuch sieht im Paragraf 86a auch deutlich höhere Strafen vor. Bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe können verhängt werden. "Für uns ist das ein Zeichen, dass man nicht unbestraft diese Symbole verwenden darf", sagte Johannes Ratzek, Sprecher der Glinder Bürgerinitiative nach dem Prozess.

Verärgert habe ihn jedoch die Argumentation des Verteidigers. "Es kommt immer wieder vor, dass Bürgerinitiativen bei ihrem Protest gegen Nazis kriminalisiert werden. Deswegen wollten wir auch von Anfang an vermeiden, dass wir in die linke Ecke gestellt werden. Wir erfüllen alle Auflagen für eine Mahnwache, darauf achten wir. Deswegen gibt es auch keine persönlichen Beleidigungen", stellt Ratzek klar. Parolen wie "Glinde, Glinde, das sind wir. Wir wollen keine Nazis hier" seien absichtlich verallgemeinert. "Wenn die Sprüche als persönliche Beleidigung ausgelegt werden, dann ist das eine Kriminalisierung", so Ratzek weiter.

Die Bürgerinitiative kündigte indes weitere Protestaktionen an. Neben dem Fußballturnier "Kicken gegen Rechts" des TSV Glinde am 17. Juni sei im Sommer auch eine Menschenkette vom Marktplatz bis zum Modegeschäft in der Möllner Landstraße geplant. "Der Protest geht weiter, bis der Laden weg ist - und wenn es sein muss, dann stehen wir da fünf Jahre", sagt Ratzek.

Ob die Betreiber des Glinder Thor-Steinar-Geschäftes ihren Laden vor Vertragsende im Jahr 2016 aufgeben müssen, entscheidet eine Räumungsprozess vor dem Lübecker Landgericht, der im August fortgesetzt wird.