Dem Verein für Missbrauchsopfer haben Eltern ehemaliger Stormarnschüler von Pastor Kohls Übergriffen berichtet. Er unterrichtete bis 2003.

Ahrensburg. "Ute" ist kein Einzelfall. "Es gibt weitere Stormarnschüler, die offenbar Opfer sexueller Übergriffe von Pastor Kohl geworden sind", sagt Anselm Kohn, Vorsitzender des Vereins Missbrauch in Ahrensburg. Nach dem gestrigen Bericht in der Stormarn-Ausgabe über Ute (Name geändert), mit der sich das erste Mal eine ehemalige Religionsschülerin von Kohl als Opfer gemeldet hatte, verweist Kohn auf einen Vorfall aus dem Jahr 1976. Damals habe sich der Ahrensburger Geistliche an einem Stormarnschüler vergriffen und den Jungen in seinem Pastorat sexuell massiv bedrängt. Kohn: "Als er seinem Freund davon erzählte, habe der nach einem Zeitzeugenbericht geantwortet: Mit mir hat er noch Schlimmeres gemacht."

Dass die Kirche davon angeblich nichts gewusst habe, macht Kohn wütend: "Nachdem 2010 das Ermittlungsverfahren gegen Kohl aufgenommen wurde, hat die Familie des betroffenen Jungen die Kirchenleitung informiert - und das schriftlich. Ich verstehe nicht, warum der Sache nicht nachgegangen wurde. So zu tun, als wisse man nichts, macht mich sauer."

+++ Kommentar: Noch zu viele Fragen sind offen +++

+++ Neue Vorwürfe gegen früheren Pastor wegen Missbrauch +++

Der Vorwurf Kohns zielt auf eine Äußerung von Mathias Benckert ab, dem stellvertretenden Sprecher der Nordelbischen Kirche. Er hatte sich gestern in der Stormarn-Ausgabe zum Fall "Ute" geäußert und davon gesprochen, dass es im Ermittlungsverfahren keine bestätigten Hinweise darauf gegeben habe, dass es auch im schulischen Umfeld zu sexualisierter Gewalt durch Kohl gekommen sei. Benckert: "Wir sind selbstverständlich allen Hinweisen auf sexualisierte Gewalt in Ahrensburg nachgegangen. Wobei die Grenzen zwischen Vorfällen mit Schülern und Jugendlichen aus kirchlichen Gruppen fließend waren."

Der Ahrensburger Pastor Kohl, der in den 70er- und 80er-Jahren Jugendliche aus seiner Kirchengemeinde sexuell missbraucht hatte, war bis 2003 Religionslehrer an der Stormarnschule. Lange gab es Vermutungen, dass er auch hort übergriffig geworden sei. Mit der Aussage von Ute hat sich ein erstes Opfer gemeldet. Mit der Aussage von Eltern über einen Fall von 1976 erhärtet sich der Verdacht.

"Es war eines der Kurstreffen. Kohl hatte es wie öfter ins Pastorat verlegt. Es gab Wein. Kohl näherte sich dem Jungen, umklammerte ihn und presste sich an ihn", schildert Kohn den Vorfall nach Beschreibungen der Familie. Und weiter: "Der Junge konnte sich befreien, lief voller Panik aus dem Pastorat und erzählte alles seinem besten Freund." Der hatte offenbar Ähnliches oder sogar noch Schlimmeres erfahren. Kohn: "Er ist so befangen, dass er sich dazu nicht mehr äußern will."

Nach dem Vorfall wandte sich die Familie an die Frau von Pastor Friedrich H., den Kollegen von Kohl. "Sie versprach, ihren Mann zu informieren. Nach drei, vier Nachfragen kam die Aussage, sie hätte es ihrem Mann übermittelt. Und das war's dann", sagt Kohn. Über Pastor H. und seine Rolle in dem Fall will sich Kohn nicht äußern, weil ein Disziplinarverfahren gegen den Geistlichen läuft. Auch ihm werden sexuelle Verfehlungen vorgeworfen. Kohn: "In einer solchen Sache wendet man sich ohnehin besser an die Polizei. Das geht auch in einer anderen Stadt."

Der von der Ahrensburger Familie 2010 dann an die Kirchenleitung geschickte Brief blieb ohne Antwort. Kohn: "Das hat ziemliche Verärgerung ausgelöst." Ob die damalige Schulleitung von dem Fall gewusst hat, ist unklar. Die Familie hatte die Schule nicht informiert. Warum? "Das ist die Konstruktion", sagt Kohn, "das Tabuthema, die Schule, Kirche und der Pastor des Vertrauens. Und alle sind doch Christen. Und dann noch die Scham."

Ob Hans-Christian Frahm, der von 1988 bis 2004 Leiter der Stormarnschule war, vom Fall "Ute" wusste? Er war gestern nicht zu erreichen. "Er hat nichts gewusst, ich habe ihn neulich getroffen und mit ihm darüber geredet", sagt ein Lehrer, der schon zu Kohls Zeiten an der Stormarnschule war.

Frahm könnte aber vermutlich Auskunft darüber geben, welchen Status Kohl eigentlich an der Stormarnschule hatte: War er ein offiziell abgesandter Kirchenmann oder ein Pastor, der sich selbst einen Nebenjob organisiert hatte? Letzteres ist wahrscheinlich, denn bis zum Beginn des Ermittlungsverfahrens wusste das Kirchenamt nicht einmal, dass er als Religionslehrer tätig war - wie der stellvertretende Sprecher Nordelbiens bestätigt: "Es steht zu vermuten, dass es ein informelles Abkommen zwischen Kohl und der Stormarnschule war."

Kohl gab Randstunden, unterrichtete also in der sechsten, siebten Stunde. Und wie in der Stormarnschule zu hören ist, scheint er auch eine Art Randdasein geführt zu haben. Manche Kollegen hätten ihn manchmal ein halbes Jahr lang nicht gesehen.

Ob die Kurstreffen im Pastorat Kohls Idee waren oder offiziell genehmigte oder zumindest zur Kenntnis genommene Schulveranstaltungen, ist eine weitere von vielen offenen Fragen. Der Lehrer der Stormarnschule, der Kohl noch als Kollege erlebt hat, ist bestürzt: "Man konnte sich mit ihm über Literatur austauschen. Es war alles so harmlos. Ich bin erschüttert, was sich unter der Oberfläche abgespielt hat."