Nur etwa ein Drittel der Betriebe kommt seiner gesetzlichen Verpflichtung nach. Der Rest leistet lieber Ausgleichszahlungen.

Bad Oldesloe, Trittau, Reinfeld. Isabel Panier geht mit zielstrebigen Schritten durch ihr Büro in der Kreisverwaltung. Vom Schreibtisch zum Postregal. Vom Regal zum Scanner. Die 34-Jährige umgeht mit sicheren Wendungen die Tischkante, den Stuhl ihrer Kollegin und gelbe Transportboxen, die auf dem Boden stehen. Es ist der jungen Frau mit dem dunklen Kurzhaarschnitt nicht sofort anzumerken, dass sie seit ihrer Geburt stark sehbehindert ist. Sie kennt die Wege. "Ich finde mich auch im Chaos zurecht", sagt sie und zwinkert durch ihre schmal gerahmte Brille. Links hat sie noch etwa zehn bis 15 Prozent Sehkraft, rechts kann sie nur hell und dunkel unterscheiden. Trotzdem kann die Oldesloerin einen Beruf ausüben. Sie ist eine von knapp 50 schwerbehinderten Menschen, die bei der Kreisverwaltung in Bad Oldesloe arbeiten. Ihr Arbeitgeber erfüllt damit die gesetzliche Quote von fünf Prozent, die für alle Betriebe mit mindestens 20 Mitarbeitern gilt. Wer sie nicht erfüllt, muss eine Ausgleichsabgabe zahlen.

"Ich schlage mich mit Computer und Lupe durch den Tag", sagt Isabel Panier. Ein spezielles Lesegerät ermöglicht es ihr, die Schrift auf dem Computer bis auf das 48-Fache zu vergrößern. Meistens stellt sie es so ein, dass sie eine Viertelseite auf dem Monitor sieht. Eine Lupe erleichtert ihr das Arbeiten ebenso wie eine groß beschriftete Tastatur. Vor kurzem musste die ausgetauscht werden, solange benutzte Isabel Panier eine normale Tastatur. "Da habe ich einfach große goldene Buchstaben auf die Tasten geklebt." In der Bußgeldstelle sortiert sie die Post, scannt sie, bereitet die Dateien für die Sachbearbeiter vor. "Ich bin schon ein bisschen langsamer als ein Sehender", sagt Isabel Panier. Heute meint sie, sie hätte viel früher Hilfsmittel annehmen sollen. "Aber ich will mich eben immer erst allein durchkämpfen." Kleine Hürden im Alltag ist sie gewohnt. "Ich kenne es nicht anders", sagt die junge Frau, die sich auch im Vorstand der Stormarner Gruppe des Blinden- und Sehbehindertenvereins engagiert. Auch Minigolf spielt sie gerne, hat sogar mal einen Pokal bei einem Jedermann-Turnier gewonnen. Wie sie trotz Sehbehinderung die Kugel einlocht? Isabel Panier lacht verschmitzt. "Naja, ich kenne die einzige Bahn hier mittlerweile ganz gut."

Cornelia Schulz sitzt am Empfang des Trittauer Seniorenheime Haus Billetal. Sie leidet seit ihrer Geburt an einer Mehrfachbehinderung, ihre Arme und Beine sind gelähmt. In ihrem elektrischen Rollstuhl begrüßt die 30-Jährige die Besucher und hilft ihnen, ihren Weg durch Haus zu finden. "Ich bin im fünften Monat geboren", sagt Cornelia Schulz. "Deshalb kann ich nur den rechten Zeigefinger bewegen." Damit tippt sie auf eine kleine Tastatur, um etwas im Computer zu schreiben. Damit fährt sie auch über den Trackball, eine Art umgedrehte Maus. Mit einem Fingertippen nimmt sie Telefonanrufe an, das Mikro klemmt an ihrem Kopf. Ihr Finger ermöglicht es ihr zu arbeiten. "Ich brauche sonst überall Hilfe, alles dauert sehr lange", sagt Cornelia Schulz, die stets ihren Assistenten zur Seite hat, der ihr bei allem hilft, was sie selbst nicht schafft. Schon das Umblättern einer Seite geht nicht allein. Wenn etwas nicht schnell genug klappe, werde sie ungeduldig und "motzig", sagt sie. "Aber da müssen die anderen dann durch." Als Kind wollte sie Krankenschwester werden, erzählt Cornelia Schulz. "Bis mir klar wurde, dass das nicht geht. Dass meine Behinderung nie weggehen wird." Die Sandesnebenerin verbringt ihr freie Zeit gerne im Freien mit ihren zwei Golden Retrievern. Aber sie ist froh über ihren Job. "Hier auf der Arbeit habe ich Kontakt mit Menschen, dass macht mir Spaß." Nicht alle Besucher trauen ihr ihre Aufgabe jedoch zu. "Ab und zu sprechen die Leute nur meinen Kollegen an. Sie denken offenbar: Die ist behindert, die hat nichts im Kopf. Aber das stimmt nicht." Jens Afheldt ist als Bäcker sein eigener Chef. Dass er aber mal den Traditionsbetrieb seiner Familie in Reinfeld übernehmen würde, war nicht immer klar. "Die Ärzte hatten mir zu einer Umschulung geraten", sagt er. Das war nach seinem schweren Verkehrsunfall 1980, bei dem sich der damals 18-Jährige die Hüfte brach. "Erst wurden lange Nägel eingeschraubt, ein Jahr später habe ich mein erstes künstliches Gelenk bekommen", erzählt der heute 47-Jährige. Obwohl er seitdem im Gehen eingeschränkt ist, beendete Jens Afheldt seine Lehre und machte die Meisterprüfung. "Ein anderer Job kam für mich nicht in Frage."

Heute steht er immer noch um 1.30 Uhr auf und arbeitet bis mittags in der Bäckerei. "Wenn es zuviel wird, kann ich auch Dinge delegieren", sagt der Bäcker, der zu 50 Prozent als schwerbehindert eingestuft ist. "Man muss seine Grenzen kennen." Seinen Körper hält er durch Laufen fit. Hatten ihm die Ärzte anfangs noch geraten, sich zu schonen, weiß er heute: "Sport tut mir gut." Nach der Geburt seines Sohnes trat der Familienvater vor 17 Jahren einem Lauftreff bei. "Erst habe ich gekämpft", erinnert er sich an die mühsamen Anfänge. Aber schon nach zwei Jahren trat er bei seinem ersten Kurz-Triathlon an: 1,5 Kilometer Schwimmen, 40 Kilometer Radfahren, zehn Kilometer Laufen. "Danach habe ich nur gedacht: Ich hab's geschafft." Es folgten weitere Wettkämpfe. "Natürlich ist das Laufen mein Handicap", sagt er. "Aber beim Radfahren kann ich gut mithalten." 2008 lief der Reinfelder seinen vorerst letzten Triathlon. "Das war die Krönung meiner sportlichen Laufbahn", sagt er mit leuchtenden Augen.

In Zukunft will Jens Afheldt sich auf seine Trainertätigkeit konzentrieren. Er bringt Kindern bei, dass nicht nur Leistung, sondern auch der Spaß am Sport zählt. "Wir müssen nicht die Sieger haben, sondern die, die lachend ins Ziel kommen", sagt er. Für den begeisterten Sportler hat aber immer gegolten: Die Firma geht vor. Denn als Selbstständiger kann er in der Bäckerei nicht ausfallen. Wenn Jens Afheldt sonntagmorgens Feierabend gemacht hat, geht er immer noch zum Lauftreff - mittlerweile gemeinsam mit seinen Kindern. Er sagt: "Die Familie ist das wichtigste. Die müssen mich schließlich aufrichten, wenn es mir schlecht geht."

Jens Ahfehldt, Cornelia Schulz und Isabel Panier sind nur drei von vielen Menschen in Stormarn, die trotz unterschiedlichster Behinderung mitten im Berufsleben stehen. Sie sind von Geburt an, durch einen Unfall oder eine Krankheit für immer oder nur für einige Zeit schwerbehindert. Manche arbeiten langsamer als andere Mitarbeiter, andere brauchen Unterstützung, viele können nur bestimmte Tätigkeiten übernehmen. Aber ihre Fähigkeiten würden oft unterschätzt, meint Cornelia Schulz. Sie wünscht sich, dass mehr Firmen behinderte Menschen beschäftigen. "Jeder, der sich das zutraut, sollte arbeiten können."