Nach den Äußerungen von Minister Guido Westerwelle ist die Debatte über den Sozialstaat voll entbrannt. Aber wie leben eigentlich die Menschen im Kreis Stormarn, die auf Unterstützung vom Staat angewiesen sind? Ein Report.

Ahrensburg, Bargteheide. "Ende des Monats wird es immer besonders schlimm", sagt Dana M. aus Bargteheide. Ihr "Bonus" sei ihr Vater, sagt die 24-Jährige. Er ist IT-Manager bei Tchibo. Wenn mal wieder Ebbe ist, holt er sie zum Einkaufen ab. "Wenn wir Deinen Papa nicht hätten", sagt Luigi B. (26). Der Luxemburger ist der Lebenspartner der Bargteheiderin und Vater ihrer kleinen Eva. Die Liebe hat sie beide zu Hartz-IV-Empfängern gemacht.

Dana M. wollte Friseurin werden. Dann lernte sie Luigi kennen, übers Internet. Als sie im dritten Lehrjahr war, kam er nach Deutschland, um sie zu sich "nach Hause" zu holen. Sie brach die Ausbildung ab und ging mit Luigi nach Luxemburg.

Dann kam das Kind. Um es durchzukriegen, kehrte Dana M. nach Stormarn zurück: "Ohne die Hilfe meiner Eltern hätte ich es nicht geschafft." Aber ohne Dana ging es auch für Luigi nicht: "Bei ihr habe ich erst gelernt, was Familienleben heißt", sagt der 26-Jährige. Als Jugendlicher zog er durch die Straßen und brach die Schule ab. Seine Eltern kümmerten sich nicht. Dana war sein Glück. "Ich mache alles, dass auch sie glücklich ist", sagt Luigi B., der als ungelernter Dachdecker "2000 Euro auf die Hand" bekam und dennoch Frau und Tochter hinterher reiste.

Jetzt leben sie zu dritt in einer Zwei-Zimmer-Wohnung mit gebrauchten Möbeln von der Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft. Die Waschmaschine haben ihnen ihre Eltern geschenkt. Vieles hatte sich das Paar zur Taufe von Eva gewünscht. Die Kleine hat auch die Eltern von Luigi geändert. Ihrer Enkeltochter zuliebe schicken sie immer mal Geld aus Luxemburg. Mit Hartz IV allein würde es eng werden: Das Elterngeld wird ab März nicht mehr gezahlt. So bleiben pro Person 431,84 Euro. Die Miete kostet allein schon 442 Euro. 120 Euro kommen für Strom und Telefon dazu. "Anderen geht es schlechter", sagt Luigi. "Ich hoffe, ich bekomme Arbeit, wenn Eva in den Kindergarten geht", sagt Dana M., die aus Brasilien stammt, von ihrer Mutter und ihrem israelischen Vater adoptiert wurde und sich nun für ihren Luigi aus Luxemburg entschieden hat: "Und das bereue ich kein bisschen."

Szenenwechsel: Ahrensburg. "Ich bekomme 239 Euro. Weil ich einen Mini-Job habe, werden mit 120 Euro vom Regelsatz abgezogen", sagt Monika H. aus Ahrensburg. "Ich schäme mich so", sagt die 62-jährige und schluckt ihre Tränen runter. Mit der Trennung von ihrem Mann fing es an. Er bezahlte den Unterhalt nicht mehr. Die gelernte Verkäuferin, die wegen ihres kranken Sohnes nie voll erwerbstätig war, machte Schulden. Schließlich blieb ihr nur der Weg zur Arge.

Mit Wohn- und Heizungsgeld bekommt sie 603,49 Euro vom Staat. 450 Euro kostet die Miete, 27 Euro Strom, 20 Euro Gas und 18 Euro Wasser. Wenn sie sich nicht als Reinemachfrau etwas dazu verdienen würde, hätte sie 88 Euro - für Lebensmittel, Kleidung, für alles. "Ich arbeite stundenweise und verdiene zwischen 220 und 250 Euro", sagt Monika H., die den Friseursalon jetzt aus einer anderen Perspektive sieht: von unten. Sie putzt den Boden.

Selbst zum Friseur zu gehen, dafür reicht es nicht mehr. Reisen, neue Kleidung - alles gestrichen. "Ohne die Lebensmittel von der Tafel käme ich nicht zurecht", sagt Monika H., die am liebsten nicht darüber nachdenkt: "Das macht mich seelisch fertig. Aber jeder Tag ist neu. Da muss ich durch."

Sultan M. bekommt den Regelsatz: 359 Euro. Rund 100 Euro verdient der 31-Jährige dazu - beim Ahrensburger Spielzeugaufbereitungszentrum, einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahme für Langzeitarbeitslose. Der in Ahrensburg lebende Afghane kam mit der Hoffnung, studieren zu können. Der Traum ist ausgeträumt.

Sultan M.: "Ich habe Abitur gemacht und wollte Medizin studieren. Aber ich kann die Ausbildung nicht bezahlen." Einen Bildungsgutschein hat die Arge abgelehnt. "Vielleicht bin ich zu alt, vielleicht traut man mir das nicht zu. Ich weiß nicht", sagt er.

Als er 2002 nach Deutschland kam, lebte er in Zwickau in einem Asylbewerberheim und schrieb sich als Gasthörer an der Fachhochschule für Pflegemanagement ein. Anerkannt wird das nicht. 2008 bekam er die Aufenthaltserlaubnis und das Angebot, in Hamburg in einem Lager zu arbeiten. Die Firma ging Pleite. Was blieb, waren Gelegenheitsjobs. "Ich werde wohl immer nur mal hier, mal dort arbeiten", sagt der 31-Jährige. Er jammert nicht. Er vermittelt den Eindruck, dass er trotz allem positiv denkt.

Sein Zimmer ist 16 Quadratmeter groß. Als Bett dient ihm eine Matratze. In einem Korb verstaut er seine Kleidung. Die Miete kostet 150 Euro, 70 Euro das Handy. Das ärgere ihn: "Ich habe einen Fehler gemacht. Ich werde den Vertrag kündigen." 70 Euro im Jahr für Rasierklingen will er auch nicht mehr ausgeben. Jetzt rasiert er sich nur einmal in der Woche. Keine leichte Entscheidung. Sein Bartwuchs ist stark. Und er will nicht, dass die Menschen vor ihm zurückschrecken.

Sultan M. wohnt bei einer afghanischen Familie. Hätte ihn eine deutsche Familie auch genommen? "Ich glaube schon. Die Menschen hier sind in Ordnung", sagt er und lächelt so, als wolle er für die Deutschen werben.

Sultan M. macht sich Sorgen um seine Zukunft, aber er will es schaffen. "Ich gehe auch nicht zur Tafel. Ich will so gut es geht für mich selbst sorgen", sagt er.

Sultan M. kam, weil er von Deutschland so viel Schönes gehört hatte - im Radio, heimlich. Familie ließ er nicht zurück: Sein Vater, seine Mutter, seine beiden Brüder - alle durch Bomben und Mienen umgekommen. Mit fünf Jahren war er Waise. Sultan M: "Ich kehre nicht nach Afghanistan zurück. Dort habe ich überhaupt keine Chance."