Ungleichgewicht hat negative Folgen für die Entwicklung der Schüler. Ministerium will Pädagogen zur Arbeit im Primarbereich bestärken.

Großhansdorf. Regenpause in der Grundschule Schmalenbeck. Stefan Gertz hat es eilig. "Das sind meine Rabauken", sagt der Lehrer, als er die Klasse betritt. Augenblicklich wird es still. Die Schüler zeigen Respekt. "Wir sind gar keine Rabauken", sagt einer der Drittklässler. Die Schüler mögen ihren Klassenlehrer. Er ist der einzige an dieser Schule. Alle anderen im Kollegium sind Frauen. Das ist typisch: Im Schnitt sind 90 Prozent der Lehrkräfte im Primarbereich weiblich, in Kitas sind es sogar 98 Prozent.

Fachleute sprechen von einer Verweiblichung des Bildungssystems - mit dramatischen Folgen für die Entwicklung von Jungen. Und verweisen auf die Fakten:

- Je niedriger qualifizierend die Schulform ist, desto höher ist der Jungenanteil. Jungen verlassen häufiger die Schule ohne Abschluss. Mehr Mädchen als Jungen machen Abitur.

- Jungen bleiben öfter sitzen. Laut Pisa-Studie müssen bis zur 9. Klasse 35 Prozent der Jungen, aber nur 26 Prozent der Mädchen wiederholen. Wer zweimal sitzen bleibt, ist oft ein Junge.

- Studien zeigen, dass Jungen selbst bei gleichen Leistungen im Schnitt eine Note schlechter bewertet werden als Mädchen.

- Jungen leiden zwei- bis dreimal so häufig unter einer Lese- und Rechtschreibschwäche als Mädchen.

Im Ministerium für Bildung und Frauen hat man den Männermangel an den Schulen als zentrales Problem erkannt. In einer Werbekampagne ("Er wird das Beste aus ihnen herausholen") macht Bildungsministerin Ute Erdsiek-Rave jungen Männern Mut: "Ich möchte Sie bestärken, als Mann den Beruf des Grundschullehrers zu ergreifen. Kinder brauchen männliche und weibliche Bezugspersonen - von Anfang an: In der Krippe, in der Kita und in der Grundschule. Das sagen uns nicht nur Experten, auch viele Eltern und Lehrkräfte."

Das bekam Stephan Märcker, Rektor an der Grundschule Wöhrendamm in Großhansdorf vor wenigen Tagen zu spüren. Als es in der Schulkonferenz um die Gymnasialempfehlungen ging, machten Eltern die angebliche Benachteiligung ihrer Jungen zum Thema. "Die Eltern haben fest gestellt, dass Jungen schlechter beurteilt werden, weil sie schlechter zu disziplinieren sind, nicht weil sie weniger leisten", sagt der Rektor. Die Kolleginnen hätten die Kritik selbstkritisch aufgenommen. "Ich habe sie gebeten, sich selbst noch einmal zu kontrollieren", sagt der Rektor.

Er wünsche sich mehr Männer an der Schule, sagt: "Frauen können Jungen gebären, aber sie können sie nicht zu Männern machen. Das ist so." Im Sportunterricht setzt er auf Mannschaftsspiele und sagt, er sei risikobereiter. Kolleginnen beschleiche stattdessen schnell die Angst, dass sich ein Kind verletzt. Sie beschränkten sich daher oftmals auf Seilspringen und Bodenturnen.

Wenn Stefan Gertz mit seinen Schülern auf dem Sandplatz tobt, gibt es schon mal kleine Rempeleien und Ringkampf. "Das muss sein, Spaßkampf gehört bei Jungs dazu. Um Grenzen auszutesten. Ich pass auf, dass sich keiner verletzt." Als der erste Schnee fiel, waren seine Schüler als erste draußen und bauten um die Wette Schneemänner. Dafür fiel die Deutschstunde aus. Gertz Klasse war die einzige im Schnee. Seine Schüler haben auch schon im Heuhof übernachtet, als nächstes fahren sie für drei Tage in den Wildpark Eekholt, in der Vierten geht es mit dem Lehrer eine Woche auf Klassenfahrt - für seine Kollginnen undenkbar.

Warum gibt es so wenig Grundschullehrer? "Ansehen und Wertschätzung sind gering. Das spiegelt sich in der Bezahlung wider", meint Ingo Loeding, Geschäftsführer vom Stormarner Kinderschutzbund. Jungen hätten es heute in der Grundschule in der Tat schwerer: "Kommunikative Kompetenz und Flexibilität sind gefragt. Das sind weibliche Attribute. Wenn ein Junge damit nicht klarkommt und aggressiv reagiert, ist er schnell abgestempelt."

Jan-Uwe Rogge, Kommunikationsberater und Autor ("Lauter starke Jungen") aus Bargteheide: "Ein sechsjähriges Mädchen ist dem Jungen voraus. Der Junge fühlt sich zurückgesetzt und nicht beachtet. Das führt zu Aggression, was Lehrerinnen irritiert. Sie sind alleingelassen. Bei einem Störer wird dann aus einer Note 2 eine 2 Minus oder eine 3. Das ist menschlich. Wir brauchen eine geschlechtsspezifische Betrachtung: Entwicklungsverzögerungen bei Jungen wie Lese-Rechtschreibschwäche, Hyperaktivität und Entwicklungsstottern sind normal. Darauf muss man eingehen. Das Verständnis muss gefördert werden, auch in Lehrerinnenfortbildungen."