Bürgermeister Rainhard Zug testet anlässlich des Welttags zu Multiple Sklerose seine Stadt. Das Ergebnis: Es muss einiges verbessert werden.

Glinde. Nur mit Mühe und Not quetscht er sich im Rollstuhl durch die schwere Tür des Hintereingangs im Glinder Rathaus. Ein Kraftakt. Ein Gärtner, der gerade die Rabatten bepflanzt, eilt herbei, will helfen. Doch Rainhard Zug winkt ihn zurück. Er muss es allein schaffen. Glindes Bürgermeister hat gestern nicht nur getestet, wie schwer es Rollstuhlfahrer in seinem Rathaus haben, sondern generell in der Innenstadt von Glinde. Monika Dannehl von der Multiple-Sklerose-Selbsthilfegruppe "MS-Treff Glinde" hatte Zug am Welt-MS-Tag zu einem Selbsttest eingeladen, um den Verwaltungschef auf Probleme von Rollstuhlfahrern im Alltag aufmerksam zu machen.

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Knapp zwei Stunden ging es für Zug mit dem Rollstuhl durch Glinde. Schon nach knapp 100 Metern ist er aus der Puste. Selbst die kleine Steigung in der Marktpassage - für Fußgänger kaum spürbar - strengt an. Zug guckt auf seine geröteten Handballen. "Das ist ganz schön sportlich. Und morgen kommt bestimmt noch der Muskelkater", sagt er und dreht die Räder am Handlauf, um weiter vorwärts zu kommen. Die Ampel an der Kreuzung Möllner Landstraße/ Mühlenstraße zeigt grün. Doch Zug hat Probleme, über den Bordstein auf die Straße zu fahren - obwohl der Gehweg abgesenkt ist. Er kommt erst auf der anderen Seite an, als die Ampel wieder rot zeigt. "Ich fühle mich sehr unsicher", sagt Zug.

Immer wieder muss er sich von Monika Dannehl, die selbst seit 2005 durch ihre MS-Erkrankung im Rollstuhl sitzt, Tipps geben lassen. Abgesenkte Bordsteine müssen gesucht, abschüssige und holprige Gehwege überwunden werden. Dann und wann ist ein abgesenkter Bordstein durch ein parkendes Auto blockiert. "Das ist das ärgerlichste, dass viele Autofahrer sich darüber gar keine Gedanken machen", sagt Dannehl aus Erfahrung. Da helfe nur Aufklärung. Glinde sei an vielen Stellen bereits behindertengerecht, doch vielerorts müsste auch nachgebessert werden. Beispielsweise gebe es Behindertenparkplätze, doch dann wiederum in der Nähe keine abgesenkten Bordsteine - wie etwa auf dem Parkplatz am Markt.

Das will Zug nun ändern, die Behindertenparkplätze versetzen. "Die Parkplätze müssen natürlich da sein, wo die Menschen sie auch brauchen", sagt Zug. Er will sich nun mit Stadtplanern und Mitarbeitern des Tiefbauamtes zusammensetzen, um einige neuralgische Punkte in Glinde zu verbessern.

Wolf Tank, Fraktionsvorsitzender der Glinder Grünen, ist als einziger Kommunalpolitiker der Einladung der Selbsthilfegruppe gefolgt. Auch er verspricht, dass das Thema behindertengerechtes Glinde in den politischen Gremien stärker diskutiert werden soll. "Es wird in einem der nächsten Bauausschüsse thematisiert und dann werden wir sehen, wie wir Rollstuhlfahrern den Alltag in der Stadt erleichtern können", sagt Tank. Natürlich werde nicht gleich die gesamte Stadt umgebaut, doch mit Teer könne der eine oder andere Bordstein für Rollifahrer abgesenkt werden.

Auch im Oher Weg bei der gerade neuangelegten Feuerwehrzufahrt muss eventuell mit Teer nachgebessert werden. Nur mit Tanks Hilfe schafft es Zug im Rollstuhl von der Straße auf den Gehweg. Die kleinen Vorderräder des Gefährts haben sich im Rinnstein verkeilt. "Als Fußgänger habe ich die Probleme der Rollstuhlfahrer gar nicht so wahrgenommen. Das ist eine gute Erfahrung gewesen", bedankt sich der Bürgermeister bei Monika Dannehl für ihren Ersatzrollstuhl.

Auch sie habe es 2005 viel Überwindung gekostet, sich in einen Rollstuhl zu setzen. Doch irgendwann sei es ohne einfach nicht mehr gegangen. Die Diagnose MS bekam Dannehl bereits 1997. "Es fing damit an, dass ich die Schrift auf dem Computer nicht mehr richtig lesen konnte, sich mein Sehnerv entzündete. Später hatte ich Taubheitsgefühle im ganzen Körper", erinnert sich Dannehl an die erste Zeit mit der Krankheit, mit der sie mittlerweile zu leben gelernt hat - dank ihres Rollstuhls, aber auch mithilfe der Selbsthilfegruppe "MS Treff Glinde". Für andere Betroffene sammelt sie derzeit für ein Rollstuhltraining.