Im Ahrensburger Missbrauchsskandal wendet sich Susanne Jensen an den Bundespräsidenten und an den EKD-Ratsvorsitzenden.

Ahrensburg. Die Kirchenleitung müsse "Haupt- und Gesamtverantwortliche benennen und sich endlich zur ihrer Verantwortung bekennen" - zu ihrer Verantwortung im Ahrensburger Missbrauchsskandal. Dies ist der Tenor eines Brandbriefes, den die Pastorin Susanne Jensen jetzt an den Bundespräsidenten Joachim Gauck und an den Ratsvorsitzenden der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (EKD), Nikolaus Schneider, geschickt hat. Darin bittet sie um "politischen Einsatz für die Abschaffung der Verjährungsfristen bei sexuellem Missbrauch und um Einflussnahme auf die Kirche bei der Festlegung von Rahmenbedingungen für Entschädigungsleistungen".

+++Das sagt die Kirche zu dem offenen Brief+++

Pastorin Susanne Jensen hat sich nach Bekanntwerden der Missbrauchsfälle in Ahrensburg intensiv mit den Taten des ehemaligen Pastors Dieter Kohl in der Kirchengemeinde Hagen beschäftigt. Zweimal hat sie über dieses Thema in der Ahrensburger Schlosskirche gepredigt.

Jensens offenem Brief liegt ein seitenlanger Aufsatz mit ihrer Sicht des Skandals bei. Die Geistliche aus Owschlag ist als Kind von ihrem Vater missbraucht worden und leidet bis heute massiv unter diesem Verbrechen. "Ich hoffe, sehr geehrter Herr Bundespräsident, Sie helfen den Missbrauchsüberlebenden, denn deren Not ist unbeschreiblich", heißt es in Jensens Brief.

Ahrensburg sei ein bundesweiter Präzedenzfall, findet die Pastorin. Deswegen sei das Schreiben auch an Nikolaus Schneider gerichtet. Der EKD-Ratsvorsitzende solle die Verantwortlichen der Nordkirche zu einer "echten Umkehr ermahnen". Weiter schreibt Jensen: "Bitte kein Wegdrücken mehr. Die Kirche muss endlich die Gesamtverantwortung für die unfassbaren Taten übernehmen."

Ihr Blick richtet sich dabei "auf die Kommandobrücke in Kiel. Auf das Kirchenamt, in dem wenige Menschen in hohen Führungspositionen für Entscheidungen in Personalangelegenheiten verantwortlich sind. Dort wird beratschlagt, dokumentiert und entschieden", heißt es. Dort müsse es auch eine Haupt- und Gesamtverantwortung gegeben haben, als Pastor Kohl 1999 wegen der schweren Vorwürfe aus Ahrensburg versetzt wurde.

"Die damalige Pröpstin Heide Emse kann in der Causa Kohl nicht im Alleingang gehandelt haben. Es muss Mitentscheider in der Kommandozentrale gegeben haben", schreibt Pastorin Jensen, "das gilt auch für alles Informelle, für alles, was wichtig ist in Bezug auf die Dienstaufsicht." Eine Anspielung auf die Beschäftigung von Kohl an der Stormarnschule, vor der das Kirchenamt nach eigener Aussage erst mit Aufnahme der Ermittlungen 2010 erfahren hat. Jensen: "Da hat die Kirche ein schlechtes Bild abgegeben."

Die Pastorin hat den Eindruck, und äußert dies in ihrem Brief, dass bei den Aufklärungsversuchen der Kirche vieles "im Nebel" bleibt. "Anders als in der Natur, in der sich der Nebel verstärkt am Boden bildet, ist in der Institution Kirche der Nebel dichter, je höher die Ämter", heißt es in dem Brief. So sei es verantwortungslos gewesen, dass gegen Heide Emse kein Disziplinarverfahren eingeleitet wurde. Jensen schreibt: "Mir geht es nicht darum, dass die damalige Pröpstin aus dem Dienst entfernt wird. Mir geht es um Klarstellung der Verantwortlichkeiten." Ein Disziplinarverfahren hätte Emse möglicherweise entlasten können und ihr einen Teil der Verantwortung nehmen können. "Sie steht jetzt im Fokus. Aber was ist mit der Ebene über ihr?" Jensen kann die Haltung der Kirche nicht nachvollziehen. "Wenn es einen vergebenden Gott gibt: Warum ist es dann so schwer, diese Verantwortung zu übernehmen?", sagt sie.

Positiv bewertet sie die Tatsache, dass die neue Bischöfin Kirsten Fehrs Gespräche mit 13 bislang bekannten Opfern geführt hat. Doch das könne nur ein Anfang sein. Jensen schätzt die Zahl der Betroffenen auf 100.

Die Pastorin will ihre Sicht der Dinge jetzt auch auf einer Fachtagung am 7. Juni in Hamburg darstellen. Zu dieser Veranstaltung hat der Kirchenkreis Hamburg-Ost eingeladen. "Missbrauch in Institutionen - von der Herausforderung des Umgangs mit Opfern und Tätern": So lautet das Motto.

Jensen steht der Tagung sehr skeptisch gegenüber. "Es soll um Aufklärung und Aufarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt gehen", sagt sie, "aber darum wird es nicht gehen. Hier soll alles hübsch eingetütet werden." Ihr Brandbrief will das Gegenteil bewirken: "Ich hoffe, dass er die Verantwortlichen dazu bringt, noch einmal über den eingeschlagenen Kurs nachzudenken. Es geht mir um die Kirche Jesu Christi. Mein Gewissen sagt mir: Hier muss ich handeln, für die Kirche."