Überladene Transporter, übermüdete Fahrer - bei Gesetzesverstößen schöpfen Behörden Firmengewinne ab

Bad Oldesloe. Mit einem neuen Konzept geht die Stormarner Polizei gegen übermüdete Fahrer und überladene Lastwagen vor. Wurden bei Verstößen bisher meistens nur die Lkw-Fahrer zur Verantwortung gezogen, müssen jetzt auch die Chefs mit Strafen rechnen. "Weil der Unternehmer illegal einen Gewinn erworben hat, wird er zur Kasse gebeten", sagt Carsten Hasse vom Polizeibezirksrevier. Der 38 Jahre alte Oberkommissar hat sich vor rund drei Jahren auf das sogenannte Verfallsverfahren spezialisiert, das auch als Gewinnabschöpfung bekannt ist.

2008 hat die Bußgeldstelle in Stormarn neun Verfallsverfahren eingeleitet. Im Vorjahr waren es 19. Zehn Verfahren wurden bisher abgeschlossen. Auch ein Stormarner Unternehmen musste zahlen. Zwölf Fälle wurden eingestellt. 2100 Euro sind bisher in die Kreiskasse geflossen. "Das ist zwar noch nicht viel Geld", sagt Oliver Lövenforst von der Bußgeldstelle Stormarn, "aber das ganze Prozedere steckt noch in den Kinderschuhen. Wir sammeln jetzt Erfahrungen." Andere Bundesländer wie Hamburg sind da weiter. "Mehrere Millionen Euro sind schon in die Kasse der Hansestadt geflossen", sagt Lövenforst.

Polizei berechnet den wirtschaftlichen Vorteil der Spediteure

In Stormarn sind sechs Verfahren beim Amtsgericht anhängig. "Darunter auch drei Großverfahren, bei denen es um Summen im sechsstelligen Bereich geht", sagt Polizist Carsten Hasse. Er beobachtet, dass fast alle Unternehmer sämtliche Schuld von sich weisen: "Es heißt zum Beispiel: Was kann ich denn dafür, dass mein Fahrer schon am Sonntag losgefahren ist."

Peter Czech, 56, vom Autobahnrevier Bad Oldesloe, der beinahe täglich Lastwagen kontrolliert, kennt das Problem. "Wir treffen bei Verstößen auf eine Mauer des Schweigens", sagt er, "wenn wir beispielsweise jemanden stoppen, der seine Lenkzeiten überschritten hat, hören wir oft die Ausrede: Ich stand im Stau und muss die Zeit nun nachholen." Den eigenen Chef würde der Fahrer nie in die Pfanne hauen.

Auf Nachfrage, ob der Spediteur eine Zeit für die Strecke vorgegeben habe, die realistisch nur ohne Pause einzuhalten wäre, sagen 99 Prozent der Lastwagenfahrer nichts mehr - aus Angst, ihren Job zu verlieren, vermutet die Polizei. Ebenso mutmaßen die Beamten, dass der Unternehmer anschließend das Bußgeld für seinen Fahrer zahlt. Punkte in der Verkehrssünderdatei gibt es für dieses Vergehen nicht.

"Doch auch wenn der Unternehmer sämtliche Schuld von sich weist, kann er nicht leugnen, dass er einen wirtschaftlichen Vorteil hat", sagt Hasse. Der Polizeioberkommissar rechnet dann aus, welche Kosten der Unternehmer sparen wollte. "Ist beispielsweise ein 40-Tonner um zwölf Tonnen überladen, hätte der Spediteur eigentlich zwei Lastwagen und zwei Fahrer gebraucht", sagt Hasse. Zur Berechnung des Vorteils sind neben der Überladung auch die gefahrenen Kilometer ausschlaggebend. Ist ein Lastwagenfahrer 300 Kilometer mit zwölf Tonnen zu viel Fracht gefahren, ergibt sich nach einem Berechnungsschlüssel ein Vorteil von 937 Euro. Auch beim Sonntagsfahrverbot und bei der Überschreitung von Lenkzeiten gibt es einen Satz, mit dem die Beamten den Vorteil ermitteln können.

Wer immer wieder auffällt, muss mit Hausdurchsuchungen rechnen

Fällt eine Firma immer wieder auf, folgt ein Großverfahren. "Wir beschaffen uns einen richterlichen Durchsuchungsbefehl für die Geschäftsräume", sagt Hasse. Die Polizei beschlagnahmt Rechnungen, Dispositionslisten und Aufzeichnungen über alle Fahrten der vergangenen Monate. "Damit können wir bis zu einem Jahr rückwirkend ermitteln, welchen Gewinn der Unternehmer illegal erworben hat. Da kommen schon mal Summen im sechsstelligen Bereich zusammen", sagt Carsten Hasse und fügt hinzu: "Das sind Strafen, die dem Unternehmer auch weh tun."

Die Polizeidirektion Ratzeburg, die für die Kreise Stormarn und Herzogtum Lauenburg zuständig ist, ist Vorreiter in Schleswig-Holstein. "In den anderen Kreisen ist das Verfallsverfahren im Transportgewerbe noch relativ unbekannt", sagt Hasse. Bis vor drei Jahren kannte er es auch nicht. Bei einer gemeinsamen Kontrolle mit der Hamburger Polizei wurde Carsten Hasse auf das Verfahren aufmerksam. Doch es reicht nicht, dass nur die Polizei sich damit auskennt. "Auch die Mitarbeiter der Bußgeldstelle müssen damit vertraut sein. Sie sind schließlich die Herren des Verfahrens", sagt Hasse, der in Stormarn und im Herzogtum Lauenburg die Mitarbeiter in den Kreisverwaltungen für dieses Thema sensibilisiert hat.

Carsten Hasse rechnet damit, dass in fünf bis zehn Jahren die Gewinnabschöpfung im Transportgewerbe in Schleswig-Holstein etabliert ist. Vergangenes Jahr ist bereits eine Ermittlungsgruppe mit sechs Mitarbeitern beim Verkehrsüberwachungsdienst in Neumünster gegründet worden. Zudem schult Carsten Hasse regelmäßig die Kollegen in den anderen Kreisen.

Für die Beamten der Autobahnpolizei ist das Geld, das durch die Gewinnabschöpfung in die Kreiskasse fließt, nur ein Nebeneffekt. "Wir beobachten, dass Unternehmen, gegen die ein solches Verfahren eingeleitet wurde, sich danach besser an die Vorschriften halten", sagt Peter Czech, "und das ist ausschlaggebend." Denn wie gefährlich es ist, wenn übermüdete Lastwagenfahrer die Leitplanke durchbrechen oder überladene Sattelzüge umstürzen, weiß der Polizeihauptmeister nur zu gut.