In unserer neuen Abendblatt-Serie steuern wir den Sportboothafen des Vereins Artlenburger Bootsclub, kurz ABC, an der Oberelbe an.

Karl Deters sitzt fest. So richtig fest. Er hat sein Boot in eine Sandbank manövriert. Dabei ist der sichere Artlenburger Hafen keine 500 Meter entfernt. Nun gibt es kein Vor und kein Zurück mehr. Und niemanden, der dem 60-Jährigen und seiner Frau Lieselotte, 58, am anbrechenden Abend helfen könnte. Verzweiflung macht sich breit. Die zwölf Jahre alte Hündin des Ehepaars, Daika, hebt träge ihren Kopf und blickt aus ihrer Box am Heck des Motorboots "Papillon" an das nahe und doch so fern scheinende Ufer. Ein Mann, eine Frau und ein Hund rechnen bereits damit, die Nacht auf der Sandbank verbringen zu müssen. So erzählt Karl Deters, was ihm am Abend zuvor geschehen ist. Der Schreck sitzt ihm noch in den Kochen.

Dabei ist am Ende alles gut gegangen: Da flackert in der Hafenbucht auf einmal ein Licht auf. Ein Motor wird angelassen, und langsam aber sicher nähert sich ein Boot. An Bord: Jörg Sander, der die Havaristen schon beobachtet hat. Er vertäut das Boot der Deters' mit seinem eigenen und schleppt es vorsichtig an den Steg des Artlenburger Bootsclubs. Dort kann die Familie über Nacht liegen, ohne Angst haben zu müssen, gerammt oder vom Strom weggetrieben zu werden. Der Motor samt Kühlkreislauf ist trotzdem dahin, vom Sand ruiniert. Am Morgen wird Karl Deters sich eine Lösung überlegen müssen. Gut schlafen kann er in dieser Nacht nicht.

+++ Drei Vereine +++

Nun ist der neue Morgen da. Doch kaum hat sich die Sonne über den Horizont gehoben, steht Jörg Sander wieder vor dem Boot von Karl und Lieselotte Deters. Der Maler hat sich freigenommen und zieht vor den überraschten Augen des in Not geratenen Ehepaars das defekte Boot aus dem Wasser und auf einen Trailer, einen speziellen Automobil-Anhänger für Boote. Dann fährt er mit ihnen nach Harburg in eine Bootswerkstatt, wo ein Mechaniker das Boot wieder seetüchtig macht. Und schon geht es wieder zurück nach Artlenburg.

Wie viel Geld Jörg Sander für die großzügige Hilfe erwarte, fragt Karl Deters. "Nichts, weder für die Reparatur noch für das verbrauchte Benzin", meint Sander. So etwas mache er gern, dafür könne er nichts verlangen. Karl Deters ist überwältigt. "Mann, das hat man nicht in jedem Hafen."

Jörg Sander hängt seine Hilfsbereitschaft - oder auch die des ABC, des Artlenburger Bootsclubs - nicht an die große Glocke. Im Gegenteil - er wird gar etwas verlegen, wenn man ihn darauf anspricht. Dabei kommt es oft vor, dass ein Mitglied des ABC einem Skipper zur Hand geht, der Hilfe benötigt. "Vergangenes Jahr ist jemandem direkt vor der Hafeneinfahrt die Schiffsschraube kaputt gegangen", sagt Uwe Wunram, 2. Vorsitzender des ABC. "Wir haben ihn gerettet und in den Hafen geschleppt. Er war davon so begeistert, dass er kurz darauf Mitglied bei uns wurde."

+++ Drachenwiese +++

Dass die Bucht des Artlenburger Hafens durch einen Deichbruch Ende der 70-er Jahre entstanden war und später bei Unwetter und Eisgang als Schutzhafen für Berufsschiffe fungierte, ist da irgendwie bezeichnend.

Heute dient der Hafen nur noch Seglern und Motorbootfreunden als Anlegeplatz. Trotzdem gehört der Sportboothafen zu den größten an der Oberelbe. Drei Vereine teilen sich die Bucht: die Segelvereinigung Artlenburg, die Artlenburger Segelgemeinschaft und der Artlenburger Bootsclub.

Artlenburg liegt an einer Wasserkreuzung - es herrscht reger Verkehr. Nur ein kleines Stück stromaufwärts münden Elbe-Lübeck-Kanal und Elbe-Seiten-Kanal in den Fluss, der sich gut 1000 Kilometer von Böhmen bis in die Nordsee zieht.

Die Hilfsbereitschaft des ABC rührt nicht zuletzt von dem Vereins-Dreigestirn im Artlenburger Hafen her. Irgendwie wolle man ankommende Gäste ja schon an den vereinseigenen Steg locken, meinen Uwe Wunram und Jörg Sander. Die anderen Vereine verführen da allerdings nicht anders. Ernste Konkurrenz bestehe aber nicht. Im Ergebnis macht das dreifache Hilfsbereitschaft.

Trotzdem kommt die Bereitschaft, zu helfen, von Herzen. Und sie sei im Selbstbewusstsein der meisten Skipper verankert, sagt Uwe Wunram. Manchmal wünsche er sich, dass auch Autofahrer einander so helfen würden, wie es Bootsfahrer untereinander tun. Selbst Segler und Skipper mit motorisiertem Untersatz, unter denen traditionsgemäß Rivalität herrscht, helfen einander in der Not.

Not herrscht bei Peter, 56, und Susan Sunne, 54, nicht. Beide sitzen, Sonnenhüte auf und kurze Hosen an, auf Liegestühlen an Deck ihres Bootes und trotzen dem deutschen Sommer. Das Paar kommt aus der dänischen Hafenstadt Svendborg, zu Deutsch Schwendburg, und ist mit vier Freunden in einer Gruppe von drei Booten unterwegs. Zwar haben die Dänen vor ihrer Küste schönste Segel- und Schifffahrtsgebiete, doch immer das Gleiche sehen wurde ihnen nach 37 Jahren Boot fahren langweilig.

"Wir wollten mal etwas Abwechslung", erzählt Susan Sunne. "Deshalb fahren wir diesen Sommer drei Wochen lang durch die deutschen Flüsse und Kanäle. Vor acht Jahren waren wir schon einmal in Artlenburg. Hier ist es gemütlich, und die Menschen sind freundlich."

Addi, 72, und Margitta Bauer, 66, können von Glück reden, dass freundliche Menschen sie am Steg des ABC erwarten. Ihr Schiff schwimmt nach dem Einlaufen etwas schräg in Richtung Liegeplatz - und prallt gegen eine Dalbe. Addi Bauer setzt ein wenig zurück, versucht es noch mal - und prallt erneut gegen die Dalbe. Das Anlegen will ihm heute nicht gelingen. Schon sind Uwe Wunram, Jörg Sander und auch Karl und Lieselotte Deters zur Stelle und ziehen das Schiff vorsichtig an Tauen zur Liegestelle.

"Die Gemeinschaft unter Bootsfahrern ist großartig", sagt Addi Bauer, nachdem er sicher an Land gekommen ist. "Zwar ist es von Hafen zu Hafen unterschiedlich, aber man hilft sich überwiegend. Das ist auch ganz wichtig. Und hier in Artlenburg scheint Hilfe und Unterstützung etwas ganz Natürliches zu sein."

Am Dienstag kommender Woche besuchen wir den Tesper Hafen, den sich der Segel-Club Tespe und der Wassersportverein Tespe teilen.