Verwaltungsgericht verhandelt Klage gegen Genehmigungsbehörde. Am Rande wird bekannt: Fertige Anlage entspricht nicht der Planung.

Wietze. Der Naturschutzverband Nabu malt sich gute Chancen aus, den Betrieb des umstrittenen Geflügelgroßschlachthofs in Wietze (Landkreis Celle) stoppen zu können. "Wir werden möglicherweise kurzfristig einen Stilllegungsantrag stellen", kündigt Nabu-Anwalt Frank Niederstadt an. Für seinen Mandanten wäre das ein Etappensieg im Kampf gegen diese Anlage, die als die größte ihrer Art in Europa gilt. Er beruhte dann auf einer zufälligen Entdeckung: Ein im Auftrag des Nabu tätiger Sachverständiger für Immissionsschutz hat festgestellt, dass das fertige Bauwerk - dort werden seit Anfang September vergangenen Jahres Hähnchen zu Geflügelfleisch verarbeitet - von den behördenseitig abgesegneten Planungsunterlagen abweicht. Es hat nur vier statt der ursprünglich vorgesehenen zehn Schornsteine.

Sechs weniger: Wirkt sich eine derartige Veränderung nachteilig auf die Nachbarn aus, haben sie unter höheren Immissionen zu leiden, als ausgerechnet worden ist? Das gelte es nun schnell zu klären, sagt Anwalt Niederstadt. Und meint: "Falls es so ist, darf der Schlachthof nicht weiterbetrieben werden."

+++ Mastställe in der Warteschleife +++

Erörterungstermin vor dem Verwaltungsgericht Lüneburg. Die 2. Kammer hat ihre Sitzung für eine kurze Pause unterbrochen. Jurist Niederstadt steht auf dem Korridor vor Saal II, während er über die Chancen spricht, die ein Stilllegungsantrag haben könnte. Zwar geht es an diesem Morgen auch drinnen im Saal um Wietze. Der Nabu hat gegen den Genehmigungsbescheid des Gewerbeaufsichtsamtes Lüneburg geklagt, hält ihn für rechtswidrig. Die Schornstein-Frage ist insofern gar nicht Gegenstand dieser Verhandlung.

Doch was dann? Worüber wird verhandelt, was darf erörtert werden? Das sind Fragen, mit denen sich die Kammer unter ihrem Vorsitzenden Christoph Beyer in den kommenden Tagen auch zu befassen haben wird. Die Interessen der Beteiligten sind höchst unterschiedlicher Natur. Da ist eben der Nabu als Kläger, der alle Mittel sucht, den Betrieb des Großschlachthofs zu torpedieren. Da ist das beklagte Gewerbeaufsichtsamt Lüneburg, vertreten durch den Gewerbeoberamtsrat Heinrich Brammer und den Justiziar des Hauses, Holger Laackmann. Beiden scheint wichtig, dass die im Hause gefertigten Bescheide einer juristischen Prüfung standhalten. Da ist Karl Thedieck, Anwalt der Celler Land Frischgeflügel GmbH, die zur Rothkötter Unternehmensgruppe gehört. Die Firma hat den Status des "Beigeladenen". Ihr Ziel: ein ungestörter Produktionsablauf.

+++ Initiative fordert Ende der Massentierhaltung +++

Und da sind noch Carl-Kaspar, 21, und Luisa, 21, die nach eigenem Bekunden keine Nachnamen haben und sich als reisende Aktivisten vorstellen. Vor dem Gerichtsgebäude haben sie ein Stoffbanner ausgebreitet: "Gegen Käfige und Knäste. Freiheit für Mensch und Tier" ist darauf zu lesen. "Es ist sinnvoll, sich gegen Tierfabriken einzusetzen", meint Carl-Kaspar.

Drinnen in Saal II schreitet der stellvertretende Vorsitzende der 2. Kammer, Thomas Pump, zu einem großen Plan, den er entfaltet und an eine Wandtafel geklemmt hat. Es ist der Aufriss eines Ingenieurs, eine Draufsicht auf den Schlachthof, Pump braucht das Papier für seinen "Sachvortrag": "Hier", sagt der Richter und deutet auf die rechte Gebäudeflanke, "hier werden die Hähnchen in Transportkäfigen angeliefert. Dann rutschen sie aus den Käfigen raus auf ein Förderband. Auf dem Förderband gelangen sie in einen Tunnel, werden dort betäubt, dann mit den Beinen nach oben aufgehängt. Dann erfolgt der Halsschnitt. Anschließend kommen sie in die Weiterverarbeitung." Pumps Hand wandert auf die rechte Gebäudeseite. "Und da wird das Fleisch abgefahren."

Was Richter Pump in nüchternen Worten beschreibt, soll eines Tages bis zu 27 000 Hähnchen stündlich das Leben kosten, das sind knapp 2,6 Millionen in einer Woche oder etwas weniger als 135 Millionen jedes Jahr. Zurzeit sind es erst maximal halb so viele, weil erst eine von zwei geplanten Produktionsstraßen steht. Die zweite, sagt der Anwalt des Schlachthof-Betreibers auf Anfrage, werde hoffentlich in zwei Jahren folgen. Kritiker befürchten, dass 400 neue Mastanlagen in der Region entstehen werden, damit der Schlachthof ausgelastet ist.

Für Elke Meier vom Nabu ist das unverständlich: "Hier wird der Bau von Mastställen in einem Gebiet induziert, das eigentlich touristisch geprägt ist." Aber auch darum geht es nicht im aktuellen Verfahren. Die Richter um Christoph Beyer werden sich vielmehr damit zu beschäftigen haben, ob Immissionsschutz, Keimbelastung, Brandschutz für die Tiere und ähnliche Aspekte im Genehmigungsverfahren ausreichend Berücksichtigung gefunden haben.

Sie werden klären müssen, welche Regeln des Baurechts anzuwenden sind: Das Gewerbeaufsichtsamt hatte die Betriebsgenehmigung erteilt, bevor der Bebauungsplan rechtskräftig verabschiedet war. Der B-Plan, mittlerweile beschlossen, leidet aber möglicherweise unter einem Formfehler.

Zuvor aber werden sie zu beschließen haben, mit welchen Argumenten des Nabu sie sich überhaupt beschäftigen müssen. In seiner Einwendung im frühzeitigen Beteiligungsverfahren habe der Nabu "jedenfalls nicht ausdrücklich" alle Argumente hervorgebracht, die nun Gegenstand der Klage sind. Das könnte dazu führen, dass sie nicht Gegenstand des Verfahrens sein dürfen.

Eine Entscheidung hat die Kammer binnen der kommenden zwei Wochen in Aussicht gestellt.