Zum 100-jährigen Jubiläum des Moorexpress veröffentlicht der Verlag Atelier im Bauernhaus zwei Bände mit Moorliteratur

Teufelsmoor. Mit dem Moorexpress von Bremervörde durch das Teufelsmoor nach Osterholz-Scharmbeck zu fahren, muss früher ein Abenteuer gewesen sein. "Ich entsinne mich tatsächlich noch an das Schild 'Blumen pflücken während der Fahrt verboten'", erzählt Wolf-Dietmar Stock, Verlagsleiter des seit 35 Jahren in Fischerhude ansässigen Verlags "Atelier im Bauernhaus". "Der Moorexpress fuhr deswegen so langsam, weil die Schienen so krumm waren, und ist auch manchmal entgleist. Solche Geschichten wurden natürlich immer wieder erzählt und zu echten Legenden", erinnert sich der 69- jährige Verleger.

Genau 100 Jahre ist es jetzt her, dass der Eisenbahnverkehr auf jener Strecke aufgenommen wurde. Nachdem der Personenverkehr zwischenzeitlich eingestellt wurde, fährt der Moorexpress seit 2006 am Wochenende und an Feiertagen wieder, und zwar von Stade über Bremervörde und Osterholz-Scharmbeck bis nach Bremen.

Und weil Wolf-Dietmar Stock eben schon als Jugendlicher oft mit dem Moorexpress gefahren ist, hat er sich zum 100-jährigen Jubiläum des Zuges etwas Besonderes einfallen lassen. "Die Idee, irgendwann mal ein Buch mit dem Titel 'Mord im Moorexpress' herauszugeben, hatten die Autorin Elke Loewe und ich schon länger", erzählt Stock. Als er dann auf das Jubiläum aufmerksam wurde, schlug er der EVB vor, dabei gemeinsame Sache zu machen. "Die fanden das gleich super", sagt er.

Also machten Stock und Loewe sich daran, historische Kurzgeschichten zum Thema Moor zusammenzustellen. Zudem fragten sie Gegenwartsautoren, ob sie Zeit und Lust hätten, extra für das Buch neue Geschichten zu schreiben. "Zuerst dachten wir, dass wir nicht genug Beiträge zusammen bekommen würden", so Stock. "Aber am Ende war das Gegenteil der Fall. Wir hatten so viele, dass wir beschlossen haben, zwei Bände zusammenzustellen."

Deswegen musste auch der ursprünglich angedachte Titel dran glauben. Es muss nämlich bei weitem nicht immer jemand sterben, damit eine gute Moorgeschichte heraus kommt. "Ich bin diese Morde selber satt", sagt Stock. "Mord am Fleet, Mord an der Wümme... Natürlich gibt es in den Büchern auch Krimis, aber eben nicht nur."

Die Geschichten, die Elke Loewe für "Reise ins Teufelsmoor" zusammenstellte, spielen im Hier und Jetzt. "Es geht um Umweltprobleme und Beziehungsdramen. Auch die Sprache ist moderner", so Stock. "Der Krimi "You Leaving" von Nana Rademacher zum Beispiel ist ein echtes Psychodrama, literarisch sehr fein geschrieben." Für "Schwarze Segel im Teufelsmoor" derweil suchte Stock historische Geschichten aus, die er mit Texten von Gegenwartsautoren anreicherte, die allerdings die damalige Zeit aufgreifen. Dabei geht es viel um das Leben der Moorbauern im 19. Jahrhundert. "Es ist unglaublich, in welcher Armut und welchem Elend die Bauern gelebt haben", so Stock. "Das ist wohl am ehesten vergleichbar mit der Arbeit in einem Bergwerk. Die meisten Bauern hatten mit spätestens 40 Jahren einen krummen Rücken und sind auch ganz jung gestorben."

Trotzdem oder gerade deswegen faszinierte die Gegend um das Teufelsmoor Maler und Schriftsteller. 1889, rund 150 Jahre nach der Kolonisierung des Teufelsmoors durch den königlichen Moorkommissar Jürgen Christian Findorff und 25 Jahre, nachdem der Reiseschriftsteller Johann Georg Kohl in seinen "Reisen durch das weite Land" erstmals über das Teufelsmoor schrieb, wurde im nur wenige Kilometer entfernten Worpswede schließlich die mittlerweile berühmte "Künstlerkolonie Worpswede" gegründet.

Maler wie Fritz Mackensen, Hans am Ende und Otto Modersohn ließen sich hier nieder, angezogen von den markanten Landschaften, der bäuerlichen Idylle und dem einfachen, naturnahem Leben. Wenig später folgten Schriftsteller wie Manfred Hausmann, von dem auch zwei Geschichten in "Schwarze Segel im Teufelsmoor" zu lesen sind, und Rainer Maria Rilke, der mit seiner 1903 erschienenen Monografie "Worpswede" wie kein anderer zum Mythos der Teufelsmoorregion beigetragen hat. "Hier in der Teufelsmoor-Gegend gab es viele richtig gute, bekannte Schriftsteller", sagt Stock. "Seit gut 100 Jahren kann man sogar von der Literaturregion Teufelsmoor sprechen."

Stock selbst ist schon lange Fan von Moorgeschichten. "Mein Nachbar war der Heimatschriftsteller Diedrich Speckmann", sagt er. Zwar hat Stock jenen nicht mehr persönlich kennen gelernt, weil Speckmann 1938 gestorben ist, doch seinetwegen ihm fing Stock an, Moorgeschichten zu lesen. Mittlerweile hat er im "Verlag Atelier im Bauernhof" seine eigene "Moorbibliothek", ein Archiv, das aus sieben großen Kartons besteht und sowohl antiquarische Bücher als auch unveröffentlichte Original-Manuskripte enthält. "Da ist wirklich kostbares, schönes Material dabei", sagt er. Elke Loewes Zusammenstellung "Reise ins Teufelsmoor" beweist, dass das Moor bis heute nichts an Faszination eingebüßt hat. "Die Autoren, die wir gefragt haben, konnten alle sofort etwas damit anfangen", so Stock.

Stock, der selbst Geschichten für beide Bände beigetragen hat, kann das nur zu gut nachvollziehen. "Diese einfache, stille Dorflandschaft hat mich immer fasziniert. Als Jugendlicher wollte ich selbst immer Bauer werden", sagt er. "Weil ich dachte, dann ist alles viel einfacher. Dann steckt und gräbt man, ist mit der Natur verbunden und wird ein einfacherer, ehrlicherer Mensch." Ein bisschen glaube er an dieses Ideal immer noch. "Wenn ich sehe, wie der Mensch alles umkrempelt und es nur noch um Kommerz geht. Bei Literaten aus dem Moor ist es eigentlich fast immer so, dass das Glück der Menschen in anderen Dingen liegt und nicht im Abschöpfen von Dividenden."