Nach einem Gutachten zur Bevölkerungsentwicklung wird die Einwohnerzahl der Samtgemeinde schrumpfen. “Junge Alte“ werden immer wichtiger

Harsefeld. Es ist ein lauer Sommerabend. Im Harsefelder Klosterpark findet gerade ein Freiluft-Tangokursus für lebenslustige Rentner statt, auf der Wiese nebenan wird Tai-Chi angeboten. Mondän wirkende, grau melierte Damen und Herren schlendern zu den Edel-Boutiquen und Bioläden in dem seit Jahren verkehrsberuhigten Ortskern. Doch der eigentliche Höhepunkt des Abends steht noch aus: der Auftritt der nimmermüden Altstars der Band "Fettes Brot", die Ehrenbürgermeister Rainer Schlichtmann zu einem Gastspiel im Wellness-Freibad hat überreden können.

So oder so ähnlich könnte ein Abend im Harsefeld der Zukunft aussehen, wenn man die Prognosen und Empfehlungen des Wissenschaftlers Peter Kramer weiterdenkt. Der Leiter des "Büros für angewandte Systemwissenschaften" südlich von Hildesheim hat im Auftrag der Samtgemeinde Harsefeld ein Gutachten erstellt, in dem die Bevölkerungsentwicklung bis zum Jahr 2025 berechnet wird und die daraus abzuleitenden Folgen prognostiziert werden. Das Ergebnis: Die Samtgemeinde wird in den kommenden Jahren sechs bis acht Prozent ihrer Bevölkerung verlieren. Die derzeit 20 400 Köpfe starke Samtgemeinde wird demnach um bis zu 1700 Einwohner schrumpfen.

Anteil der 18- bis 40-Jährigen geht um bis zu 20 Prozent zurück

Besonders groß wird der Rückgang bei den jüngeren Bevölkerungsschichten sein. Bedingt durch Abwanderungen und die niedrige Geburtenrate, wird die Bevölkerungsschicht der 18- bis 40-Jährigen um bis zu 20 Prozent kleiner sein. Das hat erhebliche Folgen für die Älteren: denn sie werden wichtiger. Besonders hat Peter Kramer dabei die Gruppe der 65- bis 75-jährigen im Fokus, von denen es nach der Prognose bis zu 16,6 Prozent mehr geben wird. "Junge Alte" nennt Kramer diese Bevölkerungsschicht, die sich noch keineswegs reif für das Altersheim fühlt. "Diese Jungen Alten werden erheblich an Bedeutung gewinnen. Sie sind aktiv und erlebnisorientiert. Sie gilt es, aktiv in die Gemeinschaft einzubinden", heißt es in dem Gutachten.

Bereits jetzt, so Kramer, sei Harsefeld populär bei den "Jungen Alten", von denen viele aus Hamburg kommen. "Das sind oft Menschen, die in Vierteln wie Eppendorf wohnen und denen die Großstadt zu anstrengend geworden ist. Sie ziehen dann noch einmal hinaus ins Grüne". Zwar sei das Alte Land mit Orten wie Jork die erste Adresse für die Auswanderer aus dem Süden, doch dort würden sie oft nicht lange bleiben, weil es ihnen dort schnell zu teuer werde, so Kramer. In Harsefeld hingegen stimme das Preis-Leistungs-Verhältnis, zudem sei es, etwa im Vergleich zu Stade überschaubar.

Harsefeld solle nun aktiv um die "Jungen Alten" werben, etwa auf Messen und in Zeitschriften. Dafür gebe es nicht zuletzt handfeste finanzielle Gründe. "Die Schicht der Jungen Alten ist überdurchschnittlich gut bei Kasse und auch bereit, Geld auszugeben. Eine Gemeinde kann von denen gar nicht genug haben", so Kramer.

Was aber soll Harsefeld tun, um für die konsumfreudigen Rentner aus Eppendorf dauerhaft interessant zu sein? Einige der Anstrengungen der Verwaltung und der Politiker gingen bereits in die richtige Richtung. "Die Verkehrsberuhigung des Ortskernes ist eine gute Entscheidung. Denn die Zuwanderer möchten eine harmonische, ruhige Umgebung", so Kramer.

In anderen Bereichen müsse sich hingegen noch mehr tun. "Die Zuwanderer brauchen ein breiteres kulturelles Angebot, etwa Tanzkurse, Ausflüge, Konzerte und Theateraufführungen. Außerdem muss es spezielle Sportangebote geben, die für Ältere zugeschnitten sind. So etwas wäre zum Beispiel ein öffentlicher Trimm-Dich-Pfad." Nicht zuletzt müsse sich beim Warenangebot etwas tun: "Die Geschäftswelt muss sich auf diese Schicht einstellen, mit Qualitätsprodukten und hochklassigen Modeartikeln. Auch die Beratung in den Geschäften ist wichtig", so Kramer. Nicht zuletzt würden die Zuwanderer erwarten, dass die Internet-Verbindungen in ihrer neuen Heimat gut ausgebaut sind.

Muss sich Harsefeld also in eine grüne Erlebnis-Oase für den zweiten oder dritten Frühling verwandeln? Peter Kramer wiegelt ab. Natürlich reiche es nicht, nur rüstige Rentner aus Hamburg anzuwerben. Wenn Harsefeld seine vielen Schulen und Kindergärten weiter betreiben wolle, müsse es sich noch um weitere Bevölkerungsschichten kümmern - besonders um die 25- bis 40-jährigen. Junge Familien, die ebenfalls ihren Traum vom idyllischen Landleben verwirklichen wollen, das aber keineswegs zu langweilig sein darf.

"Viele junge Leute ziehen nach dem Schulabschluss weg aus Harsefeld und gehen zum Beispiel zum Studieren nach Berlin, Hamburg oder Lüneburg. Das ist ein normaler Prozess, der sich gar nicht stoppen lässt. Wichtig ist aber, dass diese Menschen nach Harsefeld zurückkehren, wenn sie eine Familie gründen wollen oder schon kleine Kinder haben", so Kramer. Um diese und andere Neubürger solle die Verwaltung "massiv werben", etwa im Internet.

Gezielte Anwerbung junger Familien soll den Rückgang bremsen

Zudem sei es wichtig, dass es den Neubürgern einfach gemacht werde, wenn sie bauen wollen. "Die Bebauungspläne müssen sich stärker nach den Kundenwünschen richten. Und die Verwaltung muss den jungen Leuten Hilfe anbieten, etwa bei der Bewältigung der Bürokratie und der Suche nach einem Kita-Platz." Letztlich lasse sich die Schrumpfung Harsefelds aber nicht aufhalten, nur bremsen.

Immerhin: Bei der Auseinandersetzung mit dieser grau getönten Zukunft ist Harsefeld ein Vorreiter. "Es gibt keine Kommune im Landkreis, die sich dem Thema so offensiv stellt. Nur die Harsefelder haben bisher ein solches Gutachten in Auftrag gegeben. Und dabei handelt es sich schon um die Fortschreibung einer Studie aus dem Jahr 2002" sagt Peter Kramer, der für seine Gutachten einen Grundpreis von 5000 Euro berechnet. Pro Einwohner kommen noch einmal 33 Cent hinzu. Dafür könnten sich die Kommunen mit den Datensätzen Wettbewerbsvorteile verschaffen. Denn die Konkurrenz um Neubürger werde zukünftig größer. Kramer betont, dass Harsefeld bereits jetzt gute Ausgangsbedingungen habe: "Die Infrastruktur ist erste Sahne", sagt der Forscher und nennt den Klosterpark oder die Schulen als Beispiele.

Die Harsefelder Politik hat dem Gutachten, das in der jüngsten Sitzung des Samtgemeinderats vorgestellt wurde, erste Konsequenzen gezogen. Der Rat beschloss, Schritte gegen die Schrumpfung zu unternehmen und dabei Peter Kramers Gutachten als Grundlage zu nehmen. Dabei teile man allerdings nicht jede These bis ins Detail, wie Samtgemeindebürgermeister Rainer Schlichtmann betont.

Auf die bereits eingetretene Veränderung der Bevölkerungsstruktur hat der Flecken Harsefeld reagiert. Der Ausschuss für Jugend, Kultur und Sport beschloss am Dienstagabend, neun der 53 Spielplätze zu schließen, weil in den umliegenden Gebieten kaum noch Kinder leben. Nach der Empfehlung des Ausschusses sollen die Plätze An der Tonkuhle, an der Bockelfelder Straße, der Breslauer Straße, der Fritz-Reuter-Straße, der Graf-Heinrich-Straße, der Pommernstraße, der Südstraße und an der Straße "Krumme Ackern", sowie am Fasanenweg in Issendorf künftig anders genutzt werden.

An den Klosterteichen könnte ein Seniorenspielplatz entstehen

Einen Vorschlag für einen Neubau gab es in der Sitzung auch. Ein Mitglied regte an, einen Seniorenspielplatz bei den Klosterteichen zu bauen.