Stader Drogenprozess gegen zehn Angeklagte unter ungewöhnlich hohen Sicherheitsvorkehrungen eröffnet

Stade. Der Schwurgerichtssaal ist nur über den Eingang an der Ritterstraße zu erreichen. Zunächst ist es lediglich ein kleiner Hinweis an der Eingangstür des Stader Gerichtsgebäudes, der deutlich macht, dass die Hauptverhandlung gegen zehn mutmaßliche Drogendealer kein Prozess wie jeder andere ist. Wer um die Ecke geht, kann zumindest erahnen, was ihn gleich im Gerichtssaal erwartet.

Es sind noch 30 Minuten bis zum Beginn der Verhandlung vor dem Stader Landgericht. Die Menschen drängen sich vor der Eingangstür des Gebäudes an der Ritterstraße. Sie müssen warten. Hinter der Tür befindet sich die Sicherheitsschleuse. Auf der anderen Straßenseite steht ein Einsatzwagen der Polizei. Die Beamten beobachten aufmerksam das Geschehen an der Tür. Sie wirken gelassen. Es ist ruhig an der Tür.

Gründliche Kontrolle der Zuhörer an der Sicherheitsschleuse

Jeder wird an der Sicherheitsschleuse abgetastet, Taschen werden kontrolliert oder in einem Schließfach eingeschlossen. Handys sind nicht erlaubt. Plötzlich wird es ein wenig lauter an der Kontrolle. Der Zuhörerbereich im Schwurgerichtssaal ist voll. Der Vater eines Angeklagten kommt nicht mehr hinein. Er beschwert sich lautstark, sagt, er müsse da rein. Die Justizbeamten beruhigen den Mann. Die Stimmung ist angespannt. Der Vater hat Glück. Es ist doch noch ein Platz frei. Für andere Angehörige und interessierte Zuhörer gilt das nicht. Sie werden nicht mehr hineingelassen. Im Gerichtssaal herrscht reges Treiben. Die Plätze im Zuschauerraum sind bereits belegt. Die Verteidiger richten sich ihre Arbeitsplätze ein, zwei der Angeklagten sitzen bereits neben ihren Anwälten. Insgesamt 20 Strafverteidiger sind an diesem Prozess beteiligt. Nacheinander werden nun die übrigen Angeklagten zu ihren Plätzen geführt. Etwa 20 Justizvollzugsbeamte sorgen im Schwurgerichtssaal für Sicherheit.

Die zuständige Strafkammer um den Vorsitzenden Richter Rolf Armbrecht betritt den Saal. Die Kammer besteht aus drei hauptberuflichen Richtern und zwei ehrenamtlichen Schöffen. Der Vorsitzende eröffnet die Verhandlung, stellt die Personalien der Angeklagten fest. Trotz diverser Mikrofone sind die Beteiligten zum Teil nur schwer zu verstehen.

Vor dem Stader Landgericht werden zwei unterschiedliche Verfahren gemeinsam verhandelt, weil in beiden Verfahren derselbe Hauptbelastungszeuge auftritt. Das erste Verfahren richtet sich gegen einen 33-jährigen im Libanon geborenen Deutschen aus dem Altländer Viertel, einen 29-jährigen in Deutschland geborenen Türken und einen 27-jährigen Deutschen.

Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, zwischen Anfang 2008 und März 2010 in Stade als Bande mit Drogen gehandelt zu haben. Am 11. März dieses Jahres wurden die drei jungen Männer während einer groß angelegten Razzia im Altländer Viertel festgenommen. Den Angeklagten wird vorgeworfen, in sechs Fällen in einem Waldstück bei Bokel Drogen von einem niederländischen Lieferanten gekauft zu haben, um diese dann selbst weiterzuverkaufen. Versteckt in einem Autoreifen, sollen ihnen sowohl Marihuana als auch Kokain in großen Mengen übergeben worden sein.

Als Fahrer soll jeweils Kronzeuge Marcel K. eingesetzt worden sein. Marcel K. selbst befindet sich ebenfalls im Visier der Ermittler. Er wird von der Staatsanwaltschaft gesondert verfolgt. Im zweiten Verfahren geht es nämlich um die Frage, ob auch K. mit den Drogen gehandelt hat. In diesem Verfahren sind sieben junge Männer zwischen 22 und 33 Jahren angeklagt.

Den aus dem Libanon, Deutschland und der russischen Föderation stammenden Angeklagten wird vorgeworfen, in der Zeit von März 2009 bis Januar 2010 in Stade als Bande organisiert in großem Umfang mit Drogen gehandelt zu haben.

Während einer Razzia am 10. März dieses Jahres wurden sechs der Angeklagten festgenommen, zwei allerdings unter strengen Auflagen vorerst wieder freigelassen. Der bereits wegen Rauschgifthandel vorbestrafte 26-jährige Libanese Mahmoud F. gilt nach Angaben der Staatsanwaltschaft als Kopf der Bande. Er gehört zu einer seit vielen Jahren polizeilich bekannten Stader Familie. Am 2. Juni wurde der Bruder des mutmaßlichen Anführers der Bande ebenfalls festgenommen.

Der Clan aus dem Altländer Viertel gilt als gefährlich, mehrere Mitglieder der Familie sind immer wieder wegen Drogendelikten, Sachbeschädigung, Diebstahls und Körperverletzung mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Ende Februar dieses Jahres demonstrierten etwa 50 Mitglieder der Familie vor dem Stader Kreishaus, weil sie einen Abschiebestopp für ein Familienmitglied erwirken wollten. Die Polizei befürchtete damals Auseinandersetzungen und reagierte mit einem Großaufgebot an Einsatzkräften vor Ort.

Oberstaatsanwältin steht während der Verhandlung unter Personenschutz

Auch bei dem jetzt gestarteten Prozess gelten hohe Sicherheitsvorschriften. Außerdem steht die Oberstaatsanwältin unter zusätzlichem Personenschutz von Beamten des Landeskriminalamtes Niedersachsen. Wenn der Hauptbelastungszeuge vernommen wird, ist mit noch größeren Sicherheitsvorkehrungen zu rechnen.

Am nächsten Verhandlungstag sollen jedoch zunächst die Angeklagten zu Wort kommen. Einer von ihnen hat sich bei der Polizei bereits geäußert. Er wird zu den polizeilichen Vernehmungen und den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft Stellung nehmen, wie sein Verteidiger mitteilt. Der Prozess wird am 4. November um 11 Uhr fortgesetzt.