Von wegen Digitalisierung: In Zeiten von E-Books und Onlinelieferung können sich gerade die kleinen Buchhandlungen über Wasser halten.

Eigentlich müsste es doch den kleinen Buchhandlungen ähnlich ergehen wie den vielerorts verschwundenen Tante-Emma-Läden. Stattdessen trotzten sie erst den Ketten und nun dem Onlinehändlern. Die Spurensuche nach dem Wie und Warum führt erst einmal nach Berlin. Die Hauptstadt erlebt gerade einen Boom kleiner inhaber- und vor allem liebhabergeführter Buchhandlungen, die ihre Kundschaft aus den (Lebens-)Künstlern und Intellektuellen ihres Kiezes rekrutieren. Die Hürden für die Neugründung sind hier genauso niedrig wie die Lebenshaltungskosten. Für Michael Menard vom Börsenverein des Buchhandels Nord machen genau diese Faktoren das Erklärungsmodell Berlin untauglich. "Bei uns im Norden spielen ganz andere Faktoren eine Rolle. Berlin ist einfach ein Kiezphänomen." Vielleicht finden sich ja in Buchholz tauglichere Antworten.

Um 10 Uhr morgens bevölkern hier keine verkappten Schriftsteller oder Künstler die Straßen, sondern vor allem Rentner und Mütter. Etwas am Rande der Innenstadt liegt die Buchhandlung Slawski. Die drei großen Schaufenster zeigen eine große Auswahl von Büchern und die Sonne fällt auf einen schlafenden Hund im Ladeninneren. Den Kunden empfängt das Klingeln der Türglocke und ein strahlendes Lächeln der Besitzerin Monika Külper. Wenn man die zierliche Frau mit den kurzen schwarzen Haaren nach ihrer Buchhändler-Philosophie fragt, dann blitzen ihre Augen hinter der großen Brille ganz besonders energisch. "Ich muss mir nicht jeden Bestseller ins Regal stellen oder Hypes nachlaufen, ich verkaufe Bücher, die ich auch selbst lesen möchte", erklärt die Buchhändlerin und streicht mit der Hand über einen schönen Leineneinband mit geprägter Giraffe. "Für mich ist ein Buch eine Interaktion, die über das reine Lesen weit hinausgeht."

Aus diesem Grund steht in der Mitte des kleinen Ladens ein blaues, weiches Sofa, eingerahmt von Büchertischen. "Wir sind mehr als nur Buchverkäufer, wir sind Lebensberater und Sozialpädagogen", pflichtet ihr Kollegin Uta Neb bei und lacht. "Im Onlineshop kann man sich nicht über Bücher unterhalten, also kommen die Menschen zu uns. Vom Inhalt eines neuen Romans ist man dann schnell bei Gesprächen über Kultur oder Politik."

Die Buchhandlung Slawski ist bekannt durch ihre Lesungen

Bei Slawski gibt es keinen Bereich, den man in Fachkreisen "Non-Book" nennt. Darunter fallen Dinge wie Schreibwaren, DVDs, Spiele oder Postkarten. "Wir haben das mal probiert, aber wir hatten dadurch keinen Vorteil, darum haben wir es wieder rausgeworfen", erzählt Külper. Zum Vergleich: Bei Buchhandelsketten macht dieser Bereich inzwischen fast die Hälfte der Verkaufsfläche aus. Einen Namen hat sich die Buchhandlung Slawski auch durch ihre Lesungen gemacht. Mehr als 100 haben die beiden Damen bereits in Buchholz veranstaltet, zuletzt mit dem Hamburger Autoren Benjamin Lebert und dem vielgelobten Jan Brandt. Selbst etablierte Autoren wie Rafik Schami bestehen inzwischen bei ihren Lesereisen auf einen Termin in der Nordheide.

Ein klares Profil, hohe Buchkompetenz und exquisite Lesungen - das scheinen schon mal gute Vorraussetzungen für ein Überleben zu sein.

Aber es gibt auch einen wichtigen wirtschaftspolitischen Faktor, wie Michael Menard vom Börsenverein des Buchhandels Nord erklärt: "Die Buchpreisbindung schützt die kleinen Buchhändler immens. Ohne sie gäbe es Verhältnisse wie im übrigen Einzelhandel, wo zehn Prozent der Unternehmen 80 Prozent des Umsatzes ausmachen."

+++Gefährdete Art: Das Buch+++

"Die Preisbindung gibt uns jedenfalls ein Minimum an Planungssicherheit", stimmt auch Sebastian Duwe dieser Einschätzung zu. Der 49-Jährige leitet zusammen mit seiner Frau die Buchhandlung "Schaumburg" in der Stader Altstadt. Nach vielen Jahren im Buchhandel sieht man dort mögliche Krisen und neue Trends eher gelassen: "Wir kleinen Händler haben einen großen Vorteil. Wir mussten uns immer gegen die Trends behaupten und wissen deshalb, wie man überlebt", lächelt Heide Koller-Duwe und lässt ihren Blick über die Regale voller Bücher wandern. "Erst waren es die Ketten, dann das Internet und nun die E-Books. Wir haben uns jedes Mal ein bisschen neu erfunden und nie die Leidenschaft verloren." Von dieser Motivation und Begeisterung für Bücher spürt man viel, wenn man den Laden in der Großen Schmiedestraße betritt. Hinter der Fachwerk-Fassade befinden sich fast 175 Jahre Buchtradition. Die Dielen knarzen bei jedem Schritt, im vorderen Teil des Ladens befindet sich sogar noch die aus der Gründungszeit stammende Regalwand. Für dieses Ambiente wurde "Schaumburg" bereits als eine der schönsten Buchhandlungen Europas ausgezeichnet.

Buchhandlung Schaumburg sieht Trends gelassen entgegen

Doch wie überall im Leben ist Aussehen nicht alles, auch die inneren Werte müssen stimmen. "Wir veranstalten viele Lesungen und haben dafür extra unseren Laden vor einigen Jahren erweitert. Außerdem stellen wir kleine Verlage aus dem deutschsprachigen Ausland vor oder organisieren ein regelmäßiges Literaturfrühstück, bei dem wir den Menschen einen Blick hinter die Kulisse des Literaturbetriebs gewähren", erzählt Koller-Duwe. Auch im Angebot legen sie Wert auf Nische und Qualität. "Wir orientieren uns nicht so stark an den Bestseller-Listen."

+++Drei Seiten des Stadtteils Eimsbüttel+++

Ein weiteres Standbein des Ehepaares ist das Antiquariat. Ausgerechnet hier zeigt sich übrigens der digitale Wandel am meisten. Knapp die Hälfte des Umsatzes machen Onlinebestellungen aus. Grund genug, die Vorteile des Internets zu schätzen: "Das Internet macht unsere Arbeit leichter. Wir können schneller recherchieren und gleichzeitig die Ware auch dort anbieten." Eine Erkenntnis, die auch Michael Menard vom Börsenverein des Buchhandels Nord nur bestätigen kann: "Der Anteil der Umsätze im Internet nimmt auch bei kleinen Buchhandlungen immer mehr zu. Es gibt sogar vereinzelte Erfolgsgeschichten, wo kleine Buchhandlungen zu florierenden Onlineshops wurden." Allerdings bestehe hier noch großer Handlungsbedarf, so Menard. Derzeit würden knapp 60 Prozent der Händler ihre Potenziale im Netz nicht nutzen. Ein klares Profil, ein gutes Rahmenprogramm und vielleicht noch eine angemessene Onlinestrategie - das sind Erfolgsfaktoren. Bleibt eigentlich nur noch eine Frage zu klären: Kaufen nur noch ältere Menschen beim kleinen Buchladen um die Ecke ein? "Die klassische Kundenbindung wird schwächer, vielleicht kaufen einige unserer Stammkunden auch bei Ketten oder bestellen im Internet", lacht Monika Külper in Buchholz. "Aber zu uns kommen nicht nur ältere Kunden. Wir haben viele junge Leute zwischen 16 und 30 Jahren, die Bücher schätzen."

In Stade hat man zusätzlich noch den Zustrom von Touristen, wie Sebastian Duwe erzählt. "Unsere Stadt zieht gerade im Sommer viele Urlauber an und davon profitieren wir. Die demographische Mischung von Menschen, die in unseren Laden kommen, zeigt, dass wir uns um eine lesende Bevölkerung keine Sorgen machen müssen."