Innerhalb von zehn Jahren hat sich die Produktion fast verdoppelt. Nicht nur große Molkereien, auch kleinere Betriebe können sich behaupten.

Der Geruch sticht in der Nase, einen Augenblick lang fällt das Atmen schwer. "Ammoniak", sagt Klaus Tipke und knipst das Licht an. Da liegen sie, so weit das Auge reicht, sind in Holzregalen vom Boden bis zur Decke aufgeschichtet, gelb, rund, groß wie Wagenräder: Käse. Tipke, 51, hat jeden einzelnen Laib selbst hergestellt. Fertig sind sie trotzdem noch nicht, doch nun ist einer seiner wichtigsten Mitarbeiter am Zug: die Zeit. Käse bekommt erst in der Reifekammer die richtige Würze. Es ist kalt. Aus einem Luftbefeuchter an der Decke fällt Nebel nieder. "Der Geruch", sagt Klaus Tipke, "der kommt von den Rotschmierebakterien." Damit streicht er die Käse ein, wendet sie zweimal pro Woche. Eines Tages, in drei Monaten oder auch in sechs, wird aus der Rotschmiere eine natürliche Rinde geworden sein, aus dem Geruch nach Ammoniak ein aromatischer Duft. Und aus dem Ganzen ein Jithofer Bergkäse.

Auf dem Jithof bei Bargstedt im Landkreis Stade bringen Klaus Tipke und seine Frau Annette Alpers-Tipke, 49, ein altes Handwerk zu neuer Blüte. Beide sind gewissermaßen Trendsetter, denn die Käseproduktion erfährt in Niedersachsen gerade einen regelrechten Aufschwung. Beim Landvolk, dem Landesbauernverband, ist gar von einem "Siegeszug" die Rede. Jüngst von der Landesvereinigung der Milchwirtschaft Niedersachsen (LVN) veröffentlichte Zahlen belegen das: Demnach ist 2010 mehr als eine halbe Million Tonnen Käse produziert worden. Beinahe doppelt so viel wie zehn Jahre zuvor.

Während unter dem Dach der LVN eher die industriellen Milchverarbeiter erfasst werden, sind Betriebe wie die Jithofer Käserei im Verband für handwerkliche Milchverarbeitung (VHM) organisiert. Auch dessen Geschäftsführer Marc Albrecht-Seidel spricht von einer schwunghaften Entwicklung der Branche. Verdoppelt habe sich die Produktion binnen Zehnjahresfrist bestimmt, meint auch er. Und sagt: "Vielleicht ist die Entwicklung bei uns sogar noch drastischer. Die kleineren Hofkäsereien sind ja ein Zweig, der relativ neu im Entstehen ist." Und der Boom halte unverändert an.

Die Jithofer Käserei spiegelt diese Entwicklung ziemlich genau wider. Klaus Tipke, Landwirt in der zwölften Generation, beschloss vor 13 Jahren, die Milch aus den eigenen Kuhställen selbst zu verarbeiten. "Das hat unseren Hof auch unabhängiger von der EU-Agrarpolitik gemacht", sagt seine Frau. Und von den Milchpreisen. Aktuell zahlen die Molkereien den Landwirten 36 Cent pro Kilogramm Milch. "Das ist ziemlich gut", sagt Klaus Tipke. Aber noch vor drei Jahren gab es nur die Hälfte - für Landwirte unrentabel.

Klaus Tipke blickt zur Armbanduhr. Sein Tag ist in Minuten getaktet, Milch duldet keine Verspätung, soll guter Käse aus ihr werden. Direkt neben der Reifekammer, in einem gefliesten Raum mit zwei großen Kesseln, wartet neuer Rohstoff auf seine Weiterverarbeitung. Tipke hat die Milch darin bereits thermisiert, also für zehn Sekunden auf 65 Grad Celsius erhitzt und dann auf 32 Grad Celsius abgekühlt. Er hat sie mit gefriergetrockneten Milchsäurebakterien und später mit einem Enzym namens Lab - es wird aus Kälbermägen gewonnen - versetzt. Er hat das Ganze eine Stunde stehengelassen, Fachleute sprechen von "dicklegen". Nun muss er die schon relativ feste Masse - die Gallerte - mit einer sogenannten Käseharfe, einem Messer mit ganz vielen Klingen, schneiden.

"Später fülle ich sie in Formen, in denen sie einen Tag lang bleibt", sagt er. Sein Mitarbeiter Norbert Corleis, 36, streut im Nebenzimmer aus vollen Händen Salz über Käselaibe. Das ist der letzte Arbeitsschritt, bevor das Produkt in die Reifekammer kommt, um ein echter Hartkäse zu werden.

Klaus Tipke hat das Handwerk von einem Molkeristen-Sohn aus dem schleswig-holsteinischen Kappeln gelernt, einem Unternehmensberater und Händler für Käsereibedarf. Tipke erzählt heute gern von seiner Arbeit, das ist eine Art Mission. "Früher, als wir noch an die Molkerei lieferten, hatten wir keine Resonanz vom Endverbraucher", sagt er. "Heute können wir dem Verbraucher zeigen, wie Käse gemacht wird." Heute geht es ihm und seiner Frau vor allem auch um Genuss.

Um Genuss, den immer mehr Menschen wieder zu schätzen wüssten. Tipkes sprechen von einem Trend und davon, dass sie sich weiterhin gute Wachstumschancen ausmalten. Im Hofladen und auf Märkten verkaufen sie 70 Prozent ihrer mittlerweile 20 Sorten. Der Rest geht an den Großhandel und an Supermarktketten, die neuerdings verstärkt auf Regionales setzen. VHM-Geschäftsführer Albrecht-Seidel: "Viele sehen den Handel als Dämon, der die Preise diktiert. Dabei entdecken Ketten wie Rewe und Edeka die Regionalität und sind durchaus faire Partner."

Das Wachstum bringt Umstrukturierungen mit sich. Tipkes halten keine Kühe mehr vor Ort. Sie haben mit einem Partner ein neues Unternehmen gegründet. In dessen Stall stehen 300 Tiere. Annette Alpers-Tipke: "Das hat etwas mit der Verteilung der Arbeit zu tun. Ein Betriebszweig melkt die Kühe, der andere produziert Käse." 1800 Liter Milch verarbeitet Klaus Tipke am Tag zu 180 Kilogramm Käse. Verglichen mit den Großen in der Branche ist die Jithofer Käserei immer noch eine der ganz kleinen. Marc Albrecht-Seidel: "In den größten Betrieben werden um die zwei Millionen Liter pro Tag verarbeitet."

Klaus Tipke weiß, wie es in solchen Firmen aussieht, und er kann kein schlechtes Wort darüber verlieren. "Auch dort", sagt er, "wird super Arbeit geleistet." Was es allerdings nicht gibt, das ist Zeit, der wertvollste Mitarbeiter in der Jithofer Käserei. "In der Reifephase wird der Fabrikkäse verhunzt", sagt Tipke. Er blickt zur Armbanduhr. Es ist an der Zeit, einige Käselaibe zu wenden. Er öffnet die Tür zur Reifekammer. Und da ist er wieder: Ein Geruch, der in der Nase sticht.