Der Schriftsteller Nevfel Cumart bringt Schülern die Liebe zur Lyrik bei. Für sein Engagement wurde er jetzt geehrt

Stade. Ruhig geht er von einem Tisch zum nächsten und redet. Auch seine Stimme ist ruhig, bedächtig. "Ihr habt alle Freiheiten", sagt er. "Ihr könnt einen Brief, einen Tagebucheintrag, ein Gedicht, alles was ihr wollt, schreiben. Ihr seid jetzt die Künstler", sagt Nevfel Cumart. Seine dunklen Augen schauen gütig auf die zwölf Schüler, die mit ihm ein einem Raum sitzen - freiwillig. Niemand hat diese zwölf Kinder gezwungen, eine Schreibwerkstatt zu besuchen und sich als Literaten zu versuchen. Aus freien Stücken haben sie sich in der Hauptschule in der Thuner Straße in Stade zu dem Kursus mit Cumart gemeldet. Zwölf Jugendliche, die Spaß am schreiben gefunden haben.

Die Schüler haben großen Respekt vor dem Schriftsteller

Dabei hatten einige von ihnen zunächst großen Respekt vor dem heutzutage mit seiner Familie in Bamberg lebenden Lyriker. "Der ist ja ein bekannter Schriftsteller, da dachten wir, dass der ganz streng ist", sagt die 16-jährige Nesibe Kara. Die Furcht vor dem strengen Lehrmeister wich innerhalb kürzester Zeit. "Der kam dann in den Klassenraum herein, hat sofort gelacht und war ganz locker", sagt Nesibe. Cumarts Stärke, das sagen alle Schüler, ist seine Fähigkeit, auf die Kinder einzugehen, sie ernst zu nehmen. Die Schüler fühlen sich bei ihm nicht entblößt, wenn sie mit Worten ihre Wünsche, Träume und Ängste auf Papier bringen und später vor den anderen vortragen. Seine Tipps zum besseren Schreiben, für mehr Kreativität in der Sprache, für genauere Sprache, nehmen die Schüler wohlwollend auf. Wie ein Lehrer wirkt der Lehrmeister auf sie nicht. Eher wie ein guter Freund, der ihnen einen wertvollen Ratschlag gibt.

"Dass wir mit unseren Gedichten nachher ein richtiges Buch machen, ist natürlich toll", sagt Derya Düzgün. "Das hat uns richtig motiviert", sagt die 16-Jährige. Die eigene Arbeit in den Händen halten zu können und Freunden und Bekannten zeigen zu können, diese Vorstellung wirkt wie eine Wunderdroge auf die Schüler, auch wenn sie deshalb noch nicht den Berufswunsch hegen, Schriftsteller zu werden. "Nevfel hat uns erzählt, wie viel Geld er pro Buch verdient", sagt Jens Lehmann, 15, der einzige Junge in dem Kursus. Berauschend sei das nicht. Und als Schriftsteller Millionär werden, das sei einfach zu schwer. "Es sei denn man schreibt so etwas wie Harry Potter", sagt Jens Lehmann. Aber das gelinge ja nun auch nicht jedem.

"Ich weiß nicht, warum Kinder mit diesem Talent auf der Hauptschule sind."

Nevfel Cumart, der in Stade aufwuchs, dort zur Schule ging und seine Schriftsteller-Karriere begann, ist zufrieden mit den Fortschritten, die er mit den Hauptschülern macht. "Die Kinder sind wirklich voller Elan dabei", sagt er. Von wegen, die Jugend hat kein Interesse an Literatur, an Lyrik. "Es gibt immer welche, in denen viel Fantasie, viel Kreativität und ein großer Wille zum Schreiben steckt", sagt Cumart. Allein in dieser Schreibwerkstatt sind zwei Mädchen dabei, die ihn beeindrucken, die tiefgründige Verse schreiben, Geschichten, die sofort unter die Haut gehen. "Ganz ehrlich, ich weiß nicht, warum die mit diesem Talent auf der Hauptschule sind", sagt er. Seine Stimme klingt traurig, als er das sagt. Immer wieder erlebt er es, dass da Kinder sind, in denen viel Potenzial steckt, das aber zu selten geweckt wird. Die Schüler grübeln, diskutieren. Die nächste Aufgabe steht bevor: Sie sollen einen glaubwürdigen literarischen Charakter, einen Protagonisten, erstellen.

"Was ihr jetzt macht, ist die Königsdisziplin in der Literatur", sagt Cumart ruhig. Die 24 Augen sind auf ihn gebannt. Dann sprudeln die Ideen. "Vergesst die Rechtschreibung. Schriftsteller dürfen alles, was sie schreiben, durchstreichen, korrigieren und auch zerreißen", sagt Cumart. Alles, was den kreativen Fluss hemmen könnte, wird ausgeblendet.

Wenig später werden die ersten Ergebnisse von den Schülern vorgestellt und dann auf einen Computer übertragen. Alle Geschichten, die auf dem Computer landen, werden für das spätere Buch von Cumart gesammelt, korrigiert und redigiert, bis alles druckfertig ist.

Nevfel Cumarts ständiges Engagement für Schüler ist nicht unbemerkt geblieben. Dass der mehrfach preisgekrönte Schriftsteller der Stadt seiner Jugend immer wieder einen Besuch abstattet und die Gymnasien, Realschulen und Hauptschulen besucht, ist ebenfalls nicht unbemerkt geblieben. Daher ist es auch wenig verwunderlich, dass ihm kürzlich eine besondere Ehre zuteil wurde: Er durfte sich in das Goldene Buch der Stadt Stade eintragen.

Bürgermeister Andreas Rieckhof zählt Cumart zu den Großen der Stadt Stade

Für Stades Bürgermeister Andreas Rieckhof ist dies eine logische Konsequenz des sozialen Engagements des in Stade aufgewachsenen Lyrikers mit türkischen Wurzeln. "Nevfel Cumart zählt zweifellos zu den Großen dieser Stadt", sagt Rieckhof. Der Schriftsteller, der erst nach einer langen Anlaufphase die deutsche Staatsbürgerschaft erhielt, gilt für die Verantwortlichen der Stadt als ein Paradebeispiel einer gelungenen Integration. Cumarts Leben zeige beispielhaft, wie Menschen aus einfachen Verhältnissen den Sprung in die akademische Welt schaffen können und dabei ihre Wurzeln, ihre Identität und ihre Kultur zu bewahren wissen. "Es wäre schön, wenn er uns und anderen auch weiterhin als Vorbild dienen kann", sagt der Bürgermeister.

Auch für Cumart hat der Eintrag in das Goldene Buch einen besonderen Stellenwert. "Mich dort eintragen zu dürfen ist für mich schon mehr wert als ein Literaturpreis", sagt der Literat und fügt sogleich schelmisch hinzu: "Okay, es kommt natürlich auf den Preis an."

Die Schreibwerkstatt soll den Kindern Orientierung geben

Als ein Vorbild für die Jugend dient er gerne, das gibt Cumart ungeniert zu. Er mag es, wenn die Kinder ein Glühen in den Augen bekommen, wenn sie sehen, dass es "einer von ihnen" nach ganz Oben geschafft hat - und dabei sympathisch bleibt.. Dass seine Jugend- und Sozialarbeit Früchte trägt, davon ist Cumart überzeugt.

"Die Welt wird ja immer schnelllebiger, da ist morgen das, was heute wichtig war, unbedeutend. Da können Kinder auch einmal die Orientierung verlieren", sagt er. Und dann helfe eine Schreibwerkstatt, wie die in der Hauptschule an der Thuner Straße. Hier wird die Geschwindigkeit aus der Gesellschaft herausgenommen, wird die Außenwelt für eine Zeit lang sogar eingefroren. Das einzige, was zählt, ist das Hier und Jetzt, das Nachdenken über sich und die Umwelt. "Schreiben hilft den Schülern ungemein, sich über Dinge klar zu werden, ihre Gedanken zu ordnen und gezielt darüber nachzudenken, was man will und wohin man will", sagt Cumart. Daher sieht er es auch als seine Verpflichtung an, die Kunst des Schreibens zu bewahren und die Freude daran in den Schreibwerkstätten, die er in ganz Deutschland anbietet, weiter zu vermitteln.

Dass diese Lektion bei den Schülern ankommt, beweisen unter anderem Derya, Jens und Nesibe. "Wir haben endlich Zeit, über alles nachzudenken", sagt Nesibe. "Es ist auf einmal alles nicht so stressig, und das Schreiben bringt jetzt auch Spaß", sagt Derya. Deutlich mehr Spaß als im normalen Schulunterricht. Das eine oder andere Gedicht wollen die Schüler künftig schreiben - nur für sich und ihre Freunde. Und Bücher, so sagen sie, werden sie jetzt wohl auch öfter lesen, und zwar nicht nur die von Nevfel Cumart.