Zukunftsforscher prognostiziert: Die Beratungsgebühr im Einzelhandel wird kommen. Zu häufig kaufen Kunden im Internet.

Verkäufer im TV-Facheinzelhandel erleben solche Szenen immer öfter: Sie zeigen dem Kunden verschiedene Fernsehgeräte, erklären die Kniffe einer jeden Fernbedienung und wie man die Sender programmiert. Der Kunde notiert sich die Modellnummern, verabschiedet sich - und kauft später bei einem Internethandel. Der freundliche Berater geht leer aus.

Geht es nach dem Hamburger Zukunftsforscher Prof. Dr. Ulrich Reinhardt, wird es im Jahr 2020 mit solchen für den Facheinzelhandel ärgerlichen Szenen vorbei sein. "Beratung wird Geld kosten", sagt der Wissenschaftler voraus. Er hält es für wahrscheinlich, dass übermorgen eine Beratungspauschale Wirklichkeit wird. Der Gedanke, dass Service etwas Wert sei, werde sich durchsetzen.

Als Gastredner in der Reihe "Treffpunkt Innovation" der Wirtschaftsförderungsgesellschaft im Landkreis Harburg (WLH) hat der Zukunftsforscher in Buchholz die Konsumwelt im Jahr 2020 beschrieben. Der renommierte Augur der Stiftung für Zukunftsfragen zog das Publikum an: 70 Gäste, überwiegend aus der regionalen Wirtschaft, wollten hören, wie wir uns übermorgen zwischen Schnäppchenmentalität und Serviceoffensive shoppen werden.

Dass Beratung in der Shoppingwelt der Zukunft Geld kosten wird, nimmt heute schon schleichend Gestalt an. Laut Ulrich Reinhardt rate die Unterhaltungselektronikkette Media Markt ihren Angestellten, nur noch zu beraten, wenn der Verkäufer beim Kunden eine Kaufabsicht erkennen könne.

Müssen wir im Jahr 2020 beim Shoppen für Beratung bezahlen? Ähnlich wie schon heute die Praxisgebühr beim Arzt? Das Abendblatt fragte Einzelhändler und Wirtschaftsexperten aus dem Landkreis Harburg, was sie von dieser Idee halten.

Birte Bellmann, Geschäftsführerin des Elektronik-Fachmarktes EP Bellmann in Buchholz, kennt das Szenario: Menschen löchern ihrem Fachpersonal Fragen in den Bauch, um dann die Ware im Internet zu kaufen. Sie bezahlt das Personal, den Gewinn streichen andere ein. "Das kommt immer häufiger vor", sagt sie. Dennoch: Beratung gegen Bezahlung, diese Idee hält Birte Bellmann "im Moment" nicht für durchsetzbar. Mit Sicht auf das Jahr 2020 will sie aber nicht ausschließen, dass der Zukunftsforscher recht behalten könnte.

Der SPD-Politiker Tobias Handtke gehört dem Neu Wulmstorfer Gemeinderat und dem Harburger Kreistag an. Er hat sich genau angehört, was der Zukunftswissenschaftler zu sagen hat. "Als Kommunalpolitiker habe ich ja ständig damit zu tun, wie wir Ortszentren weiterentwickeln wollen", sagt er. Der 36 Jahre alte Teamleiter beim Handelskonzern Karstadt zeigt sich skeptisch, dass sich in Zukunft eine Beratung gegen Bezahlung durchsetzen wird. "Ich dachte spontan", so Tobias Handtke, "dann müsste das Einkaufszentrum Phoenix Center in Harburg ja Eintritt nehmen und nach einem Kauf erstatten."

Der SPD-Politiker räumt einer Beratungspauschale im Einzelhandel eher keine Zukunft ein. Allenfalls in einigen speziellen Branchen, im "Technikbereich", könne er sich so etwas vorstellen. "Wahrscheinlich würde der Einzelhandel die Kunden nur abschrecken und die Käufer erst recht ins Internet treiben", gibt Handtke zu bedenken. Der Handel würde eine Hürde aufbauen und die Produkte damit teurer machen.

Die Preisfrage, sagt Zukunftsforscher Reinhardt voraus, werde an Bedeutung verlieren. Die heutige Tugend Geiz, in der Bibel noch eine Todsünde, erhält Konkurrenz: Der Zeitfaktor werde in Zukunft entscheidend sein, nicht der Kostenfaktor. Für die meisten Käufer von übermorgen werde es nicht am wichtigsten sein, ob das Produkt 20 Euro teurer sei als anderswo, sondern wie schnell er es bekommen könne.

Wenn gewonnene Zeit das Gut der Zukunft wird, ist dann der Weg frei für eine Beratungspauschale im Einzelhandel? Nein, sagt WLH-Geschäftsführer Wilfried Seyer. Er hofft, dass sich der Zukunftsforscher hier irrt. "Für mich ist es eine erschreckende Vorstellung", so der Wirtschaftsexperte, "wenn ich in einem Geschäft oder Einkaufszentrum erst einmal fünf Euro Eintritt bezahle und dafür einen Button erhalte, auf dem steht: Darf beraten werden!" Eine Beratungspauschale werde seiner Ansicht nach den Tod einer jeden Innenstadt mit Einzelhandel bedeuten.

Produktberatung, sagt Wilfried Seyer, werde für den Kunden der Zukunft nicht das Wichtigste sein. Testergebnisse gebe es schon heute gratis im Internet. 75 Prozent der Deutschen, das hat die Stiftung für Zukunftsfragen herausgefunden, fühlen sich in Geschäften unfreundlich behandelt. "Der Kunde braucht Freundlichkeit", so der Wirtschaftsförderer, "er möchte umworben werden."

Welche Zukunft Wirklichkeit wird, wird erst das Jahr 2020 selbst zeigen. Der renommierte Zukunftsforscher Ulrich Reinhardt jedenfalls hat in der Vergangenheit mit seinen Aussagen eine hohe Trefferquote erreicht. Er gehörte dem Planungsstab von Angela Merkel im Bundeskanzleramt an, wird pro Jahr in rund 6000 Zeitungsartikeln zitiert und gibt im Durchschnitt jede Woche ein Interview im Fernsehen. Wilfried Seyer plant, Prof. Reinhardt jedes Jahr, immer zum Abschluss der Vortragsreihe "Treffpunkt Innovation", als Redner zu gewinnen. Der Zukunftswissenschaftler scheint nicht abgeneigt.