Sylt. Die Insel sucht händeringend nach Personal. Wie verfahren die Situation ist und was sich dagegen tun ließe, berichten Sylter Unternehmer.

Leben und arbeiten auf "der" Insel – davon mag so mancher passionierte Sylt-Urlauber träumen. Trotzdem hat die Insel von List bis Hörnum mit massivem Mitarbeitermangel zu kämpfen. Laut Sylt-Marketing-Geschäftsführer Moritz Luft gibt es derzeit 1000 offene Stellen und rund 100 unbesetzte Ausbildungsplätze.

Davon zeugen entsprechende Gesuche in Form von DIN-A4-Zetteln an den Schaufenstern zahlreicher Lokale und Geschäfte. Andere Unternehmer inserieren Jobs online und einige müssen ihren Betrieb gar wegen Personalmangels schließen. Der Grund: Ein Arbeitsplatz auf Sylt geht nicht nur mit schönen Stunden im Strandkorb bei Sonnenuntergang einher, sondern birgt auch einige Herausforderungen.

Sylt: Ohne Wohnraum kommt kaum Personal

Einer der Knackpunkte für bereits ansässige sowie willige Insel-Arbeitskräfte ist dabei der Wohnungsmarkt auf Sylt. Bezahlbarer Wohnraum lässt sich ohne Beziehungen – das vielbeschworene „Vitamin B“ – nämlich kaum finden. "Wenn ich mit Bewerbern rede, ist die erste Frage eigentlich immer: 'Gibt es eine Wohnung für mich?'", sagt zum Beispiel Alexander Wirth, Inhaber der AW Fashion Group in Keitum.

Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum ist ihm zufolge für die händeringend nach Fachkräften suchenden Betriebe fatal. Wie viele andere Unternehmer auf der Insel versucht Wirth daher, seinem Personal ein Zuhause zu vermitteln. Derzeit hat er fünf seiner Angestellten in einem "Mitarbeiterhaus" untergebracht. Gefunden hat er es selbst nur "durch Zufall", wie er sagt.

Die Urlaubsinsel ist angewiesen auf sein Personal. Irgendjemand muss die "Touristen-Maschinerie" Sylt doch am Laufen halten. Und dazu ist Wohnraum eben essenziell, denn die chronisch verspätete Bahn über den Hindenburgdamm möchte sich kaum eine Arbeitskraft dauerhaft antun.

Anja Johannsen, Personalverantwortliche im Keitumer Hotel Benen-Diken-Hof, bekundet, deshalb schon pendelnde Mitarbeiter verloren zu haben. Zwar übernehme der Benen-Diken-Hof die Fahrtkosten, doch stelle die Verbindung eine wahre Stressituation für ihre Angestellten dar. Unter den rund 85 Mitarbeitern des Hotels pendeln zwei Drittel täglich zwischen Festland und Insel, schätzt Johannsen.

Unternehmer fordert Subventionierung von Mitarbeiter-Wohnungen auf Sylt

"Die Politik muss Modelle finden, durch die Unternehmer auf Sylt in der Lage sind, Subventionen für Mitarbeiter-Wohnungen zu bekommen", sagt AW-Fashion-Inhaber Wirth deshalb. Schließlich würden Einzelpersonen in den wenigsten Fällen fündig auf dem Sylter Wohnungsmarkt.

Mithilfe von Zuschüssen könnte die hochpreisige Kostenstruktur auf der Insel für die dringend benötigten Mitarbeiter zudem etwas abgefedert werden. Es sei an der Zeit, bezahlbaren Wohnraum für Personal zu schaffen, statt weitere Ferienvermietungen, die außerhalb der Saison wochenlang leerstehen, meint Wirth.

"Ich warne davor, immer nur externe Faktoren für das fehlende Personal verantwortlich zu machen", so Sylt-Marketing-Chef Moritz Luft. Sprich: Allein am Wohnungsmarkt liegt es nicht, dass immer mehr ansässige Betriebe weniger Mitarbeiter als nötig beschäftigen. Neben klarer Aussagen auf betrieblicher Ebene zur jeweiligen Unternehmenskultur und Ausrichtung bedarf es ihm zufolge auch einer Insel-Willkommenskultur, die neue Arbeitskräfte stärker wertschätzt und den Start auf Sylt erleichtert.

Moritz Luft ist Geschäftsführer der Sylt Marketing GmbH.
Moritz Luft ist Geschäftsführer der Sylt Marketing GmbH. © Nicole Mai

Ein Mitarbeiter müsse – nicht nur angesichts der dramatischen Situation auf dem Personalmarkt – für jeden Arbeitgeber genau so viel wert sein, wie ein Gast oder Kunde. Das gelte vor allem für die Gastronomiebranche, in der Angestellte häufig unter prekären Arbeitsbedingungen sowie Nacht- und Schichtarbeit leiden.

Damit Arbeitgeber ihre Kräfte halten können, müssen diese laut Luft nicht nur angemessen entlohnt werden, sondern auch von einem angenehmen Arbeitsumfeld und wertschätzenden Benefits profitieren können. "Die Hotel- und Gastronomiebranche leidet bundesweit unter einem Imageproblem. Daher müssen wir unsere wichtigste Branche auf der Insel wieder attraktiver ausrichten", sagt der Marketingchef.

Personalsituation in der Gastronomie und Hotellerie "sehr schwierig bis dramatisch"

Dass die Hotel- und Gastronomiebranche bisher nämlich nicht attraktiv genug ist, spiegelt sich konkret in der Personalsituation auf Sylt wider. Die beschreibt Anja Johannsen aus dem Keitumer Hotel Benen-Diken-Hof als "sehr schwierig bis dramatisch – vor allem für den Service- und Küchenbereich. Corona hat das Problem noch intensiviert und die Azubis auf der Insel verunsichert oder sogar verschreckt. Das ist für die Unternehmer natürlich eine große Belastung", sagt die Personalverantwortliche.

Der Benen-Diken-Hof bildet derzeit 15 Mitarbeiter aus, zudem bietet das Hotel bereits seit rund zehn Jahren Interessierten eine ganz besondere Möglichkeit, beruflich auf Sylt Fuß zu fassen: das duale Studium des Hotel- und Gastronomiemanagements.

Eine der derzeit dual Studierenden ist die 21-jährige Leoni Visser, eine gebürtige Sylterin, die es aufgrund der einmaligen Chance zurück auf die Insel verschlagen hat. Das Gros ihrer Klassenkameraden habe es nach dem Abitur sofort aufs Festland verschlagen, viele nach Hamburg, zum Studieren eben. Visser ist zurückgekehrt – und konnte die akademische Laufbahn ebenso einschlagen.

Drei Jahre lang wechselt sie halbjährlich zwischen den Vorlesungssälen an der Ravensburger Universität und dem Benen-Diken-Hof. Hier bekommt sie einen umfassenden Einblick in das Hotelgeschehen, ob hinter dem Rezeptionstresen, in der Küche oder Buchhaltung.

Das Leben und Arbeiten auf Sylt genießt sie als Inselkind – mit Einschränkungen. Schließlich sind Freizeitangebote für Jugendliche und junge Erwachsene erstens ziemlich rar und zweitens, wie die meisten Lebenshaltungskosten auf der Nordseeinsel, oft zu teuer.

Da hat Visser einen Punkt, dem auch Sylt-Marketing-Chef Moritz Luft zustimmt. "Landschaftlich ist es hier super-schön, aber auch ein attraktives Partyleben gehört in die Anforderung vieler Bewohner", sagt er. Dabei sei es beispielsweise für Azubis von hoher Relevanz, andere junge Leute kennenzulernen. Zumal "Sauregurkenzeit" herrsche wenn sich erstmal der touristenarme Winter auf Sylt einstellt, der so einigen jungen Menschen den Inselkoller lehrt.

Der Sylt-Marketing-Chef hat sich dem Thema höchstpersönlich angenommen und vor zwei Jahren die Azubi-Crew gegründet. Dieser "Begegnungsraum", so Luft, soll junge, gerade auf der Insel und im Arbeitsleben angekommene Menschen branchenübergreifend vernetzen. Etwa bei Sportveranstaltungen, Online-Kochevents während der Coronazeit, beim Strandsegeln auf der Nachbarinsel Rømø oder einer Azubi-Party zum Surf-Worldcup. Ungefähr 20 bis 30 Azubis besuchen die jeweiligen Events, sagt Luft, die Organisation übernehmen vier auf Sylt Auszubildende ehrenamtlich.

Kann Sylt das Ruder in Sachen Personalmangel noch herumreißen?

Die Auswüchse des Personalmangels, der Wohnungsnot und dessen, wie sich diese beiden Krisen beeinflussen, wird auf Sylt überdeutlich. Es wirkt, als seien Probleme, die auch auf dem Festland an Fahrt aufnehmen, auf der Nordseeinsel bereits wie unter dem Brennglas zu beobachten. Die Entwicklungen können Unternehmern in den Ruin treiben, insbesondere in der Gastronomiebranche.

Allerdings: Es macht den Eindruck, als habe ein Umdenken eingesetzt. Diverse Unternehmer versuchen, ihren Mitarbeitern aktiv ein Zuhause zu vermitteln und Angebote wie das duale Studium auf der Insel oder die Azubi-Crew sollen dafür sorgen, dass junge Fachkräfte nachhaltig auf Sylt Fuß fassen.

Schafft die Insel es, das Ruder rechtzeitig herumzureißen, Jobs attraktiver zu machen, den Angestellten die Pendelei durch niedrigere Lebenshaltungskosten und bezahlbare Wohnungen zu ersparen sowie jungen Menschen adäquate Freizeitaktivitäten zu ermöglichen, wird das Leben und Arbeiten auf Sylt wieder erstrebenswerter.

Dann müssten die Bewerber in Scharen anreisen – denn eigentlich ist Sylt der Sehnsuchtsort schlechthin. Auf einen Feierabend im Strandkorb bei Sonnenuntergang können sich schließlich alle einigen.