Freibeuter-Familie: Sohn, Mutter und Stiefvater könnten bei der Wahl am 6. Mai für die Piraten in den schleswig-holsteinischen Landtag einziehen.

Kiel/Hannover. Die Piraten in Schleswig-Holstein fordern allerorts mehr Transparenz, hüten in eigener Sache aber ein brisantes Familiengeheimnis. Der Spitzenkandidat Torge Schmidt, 23, könnte im Fall eines Kantersiegs bei der Wahl am 6. Mai zusammen mit seinen Eltern in den Kieler Landtag einziehen. Sein Stiefvater Hans-Heinrich Piepgras, 50, kandidiert auf Platz sieben der Landesliste, seine Mutter Birgitt Piepgras, 54, auf Platz neun. Die Freibeuter-Familie hätte im Parlament damit fast Fraktionsstatus.

"Ich sehe da eigentlich kein Problem", sagt Schmidt im Gespräch mit dem Abendblatt. Die Landesliste sei im Oktober "basisdemokratisch" aufgestellt worden. Damals habe allerdings niemand damit gerechnet, dass die Piraten deutlich mehr als fünf Prozent (vier bis fünf Sitze) erhalten könnten. Inzwischen sitzen die politischen Senkrechtsstarter den Grünen im Nacken. Die jüngste Umfrage sieht die Piraten bei elf Prozent. Das könnte selbst ohne Überhang- und Ausgleichsmandate für neun Landtagsabgeordnete (je 7000 Euro brutto im Monat) reichen.

Schmidt räumt ein, dass die Piraten die familiären Beziehungen in ihrer Spitzencrew nicht offensiv darstellen. "Bei den Piraten ist das aber kein Geheimnis", versichert er und erinnert an andere Familien, die Macht und Einfluss haben, etwa an das CDU-Ehepaar Kristina und Ole Schröder in Berlin, sie Bundesfamilienministerin, er Parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium. "Da sagt auch keiner was."

Schmidt fällt noch ein Grund ein, warum seine Familie im Landtag erfolgreich Politik machen könnte. "Jeder hat seine persönlichen Schwerpunkte, bearbeitet unterschiedliche Themen." Sein Stiefvater, der Landesvorsitzende der Piraten, streitet als Software-Entwickler für ein freies Internet. Seine Mutter, die zeitweise für einen Wrestlingklub die Pressearbeit machte und jetzt als Lepidopterologin (Expertin für Schmetterlinge) arbeitet, kümmert sich um Natur- und Umweltschutz. Schmidt selbst, ein gelernter Kaufmann mit einem Faible für Computer und American Football, hat sich den Kampf für Bürgerrechte auf die Fahne geschrieben.

Gewöhnen müssen sich Schmidt und seine Mitstreiter noch daran, dass mit dem Erfolg ihrer Kaperfahrt auch der Gegenwind wächst. Vor Kurzem wies ein Kieler Internetjournalist (landesblog.de) den Piraten nach, dass sie fast die Hälfte ihres Wahlprogramms bei anderen Freibeutern abgekupfert haben. Dabei wurden auch landesspezifische Forderungen aus Baden-Württemberg übernommen, die in Schleswig-Holstein keinen Sinn machen. "Das kann schon mal passieren", so Schmidt. Den Plagiatsvorwurf kann er nicht nachvollziehen. Es sei doch richtig, "gute Ideen" zu kopieren.

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Schwerer wiegt, dass die Protestpartei im Pleiteland Schleswig-Holstein das Blaue vom Himmel verspricht. Auf der Wunschliste stehen mehr Lehrerstellen, Gratis-Kitas und eine kostenlose Schülerbeförderung, wobei keines der Projekte gegenfinanziert ist. "Wir haben noch kein Finanzkonzept aufgestellt", gibt Schmidt zu. Immerhin ziehen die Piraten an einer anderen Stelle des Wahlprogramms die Reißleine. Demnach stehen alle Projekte unter einem "Finanzierungsvorbehalt", sind also angesichts der Kassenlage des Landes derzeit nicht bezahlbar. In den knapp drei Wochen bis zur Wahl wollen die Piraten (800 Mitglieder) einen fulminanten Schlussspurt hinlegen, und zwar mithilfe von mehreren Hundert Helfern aus anderen Landesverbänden. Sie werden vor und nach dem Bundesparteitag der Freibeuter am letzten April-Wochenende Straßenwahlkampf machen. Geschlafen wird bei Parteifreunden in Schleswig-Holstein. Rückenwind erhofft sich Schmidt auch vom Parteitag in Neumünster selbst. Erwartet werden bis zu 2000 Freibeuter, darunter der schwedische Piratengründer Rickard Falkvinge.

In Niedersachsen ist mit einer ähnlich starken Position einer Piraten-Familie nicht zu rechnen. Nur ein Ehepaar aus Osnabrück bewirbt sich um Plätze auf der Landesliste für die Landtagswahl am 20. Januar 2013 - Ausgang offen. Die Zahl der Piraten hat sich seit der Kommunalwahl im vergangenen September auf 2345 mehr als verdoppelt. Noch aber gibt es nach Auskunft eines Sprechers noch einzelne freie Direktwahlkreise.

Und auch den ersten kleinen Skandal haben die Piraten in Niedersachsen bereits: Der Landesvorstand hat einen bereits gewählten Direktkandidaten in Hannover aus dem Rennen genommen. Der Mann hatte sich dafür ausgesprochen, das Verbot von Hitlers "Mein Kampf" aufzuheben. Das verstand er als Beitrag zur Meinungsfreiheit, aber der Landesvorstand stellte fest: "Keine Stimme und kein Fußbreit den Nazis".