Kreis Pinneberg. Städte und Gemeinden im Kreis Pinneberg fordern mehr Unterstützung vom Land – und üben scharfe Kritik an der Ministerin.

  • Kommunen im Kreis Pinneberg müssen mehr Geflüchtete unterbringen als alle anderen Landkreise.
  • Kitas, Schulen und Sprachkurse im Kreis Pinneberg seien völlig überfüllt, es fehle an Unterkünften, heißt es.
  • Städte und Gemeinden fordern mehr Unterstützung vom Land bei der Integration und Unterbringen von Geflüchteten.

Bei den Bürgermeisterinnen, Bürgermeistern und Leitungen der Amtsverwaltungen im Kreis Pinneberg ist die Stimmung schlecht. Die Kommunen fühlen sich nicht ernstgenommen, alleingelassen und „nicht so richtig wahrgenommen“, wie Rellingens Bürgermeister Marc Trampe sagt.

Grund für den Unmut in den Rathäusern sind Äußerungen von Schleswig-Holsteins Sozialministerin Aminata Touré, beziehungsweise ihres Ministerium. Das hatte auf eine Anfrage des FDP-Landtagsabgeordneten Bernd Buchholz mitgeteilt, mit den Kommunen habe es konstruktive Gespräche zu Lösungsansätzen für die Unterbringung von Geflüchteten gegeben.

Flüchtlinge: „Belastungsgrenze ist erreicht“ – Kommunen schlagen Alarm

Die stellt für die Kommunen im Kreis Pinneberg eine große Herausforderung dar. Denn von allen Landkreisen in Schleswig-Holstein muss der Kreis die meisten Geflüchteten unterbringen. 1515 Schutzsuchende wurden dem Kreis Pinneberg vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2023 zugewiesen, wie das Sozialministerium auf die Anfrage des Abgeordneten Buchholz mitteilt.

„Die Belastungsgrenze ist erreicht“, sagt Marc Trampe. Die Kommunen leisteten viel für die Unterbringung und Integration der Geflüchteten, „und das tun wir auch sehr gern.“ Doch die Auswirkungen auf Schulen, Kitas und Sprachkurse seien enorm. Trampe spricht von einem permanenten „Krisenmodus“.

Rellingens Bürgermeister Marc Trampe: Kommunen im permanenten „Krisenmodus“.
Rellingens Bürgermeister Marc Trampe: Kommunen im permanenten „Krisenmodus“. © Katja Engler

Geflüchtete im Kreis Pinneberg: Von Integration kann keine Rede sein

Über die Herausforderungen für die Kommunen, die durch die hohe Anzahl an Geflüchteten entstehen, hatten die Verwaltungschefinnen und- chefs der Sozialministerin Aminata Touré (Grüne) schon im Juni berichtet. Wedels Bürgermeister Gernot Kaser sagte damals: „Unsere Kapazitätsgrenze ist erreicht.“

Im Juli schlugen die Kommunen erneut Alarm, protestierten gegen die Flüchtlingspolitik des Landes. Städte und Gemeinden seien am Ende ihrer Möglichkeiten. Angesichts völlig überfüllter Kindergärten, Schulen und Deutschkurse könne von einer Integration keine Rede sein.

Kritik am Sozialministerium: Antworten „nicht lösungsorientiert“

Schon zu diesem Zeitpunkt kritisierte Landrätin Elfi Heesch: Die Antworten aus Kiel auf die Forderungen der Kommunen seien „nicht lösungsorientiert“. Mit Blick auf die Äußerungen des Ministeriums auf die Anfrage des Abgeordneten Buchholz von Anfang August herrscht nun Verwunderung in den Verwaltungsleitungen des Kreises.

Das Sozialministerium teilt auf die Frage, wie sich die Situation zur Unterbringung von Geflüchteten im Kreis Pinneberg darstelle, mit: Die Situation sei nicht maßgeblich anders als im Rest des Bundeslandes. Weiter heißt es, bei einem Treffen seien „die aktuellen Herausforderungen sowie bestehende und weitere Lösungsansätze erörtert“ worden.

Auf die Forderungen der Kommunen nicht eingegangen

Und genau diese Äußerung sorgt für Kritik und Verwunderung bei den Verwaltungschefs und -chefinnen. In einer Mitteilung der Kommunen heißt es, man sei dankbar, dass die Ministerin den Termin ermöglicht habe. Inhaltlich habe man sich allerdings mehr versprochen. Lösungsansätze des Landes seien entgegen der Aussagen der Ministerin nicht zu erkennen gewesen.

Auf die Forderungen der Kommunen, die bereits vor mehr als zwei Monaten einen Zwölf-Punkte-Plan erarbeitet und ans Land übermittelt hatten, sei nicht eingegangen worden, sagt Marc Trampe.

Kommunen fordern kurzfristige Unterstützung vom Land

Beim Treffen mit der Ministerin seien die Beschreibungen der Situation von Touré zwar zur Kenntnis genommen worden, konkrete Lösungen seien nicht besprochen worden, heißt es. Vielmehr seien die geschilderten Zustände in den Kommunen teilweise als Einzelfall abgetan worden.

Die Vertreterinnen und Vertreter der Kommunen hätten eindringlich geschildert, dass es neben der Unterbringung der Geflüchteten insbesondere in den Bereichen Kitas, Schulen und Sprachkurse massive Herausforderungen gebe. Man benötige und erwarte kurzfristige Unterstützung vom Land.

Kreis Pinneberg: Kommunen schicken Zwölf-Punkte-Plan ans Land

Es herrsche eine hohe Unzufriedenheit und Enttäuschung über das Ergebnis des Treffens mit der Ministerin. Auch, weil die Kommunen im Juli jenes Zwölf-Punkte-Papier ans Land schickten und darauf keine zufriedenstellende Antwort erhielten.

Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sowie die Amts- und Verwaltungsleitungen haben sich nun erneut mit dem Kreis Pinneberg abgestimmt. Es soll kurzfristig ein umfassendes Lagebild für die verschiedenen Sektoren erstellt werden.

Kommunen klagen über fehlende Unterkünfte für geflüchtete Menschen: Jan Krohn (Halstenbek, vorne von links), Marc Trampe (Rellingen), Landrätin Elfi Heesch. Dahinter von links: Frank Wulff (Amt Geest und Marsch), Dirk Woschei (Uetersen) und Sabine Kählert (Tornesch). Hintere Reihe: Detlev Brüggemann (Amt Pinnau), Dirk Moritz (Elmshorn), Thomas Beckmann (Quickborn), Matthias Bagger (Amt Rantzau) und Gernot Kaser (Wedel).
Kommunen klagen über fehlende Unterkünfte für geflüchtete Menschen: Jan Krohn (Halstenbek, vorne von links), Marc Trampe (Rellingen), Landrätin Elfi Heesch. Dahinter von links: Frank Wulff (Amt Geest und Marsch), Dirk Woschei (Uetersen) und Sabine Kählert (Tornesch). Hintere Reihe: Detlev Brüggemann (Amt Pinnau), Dirk Moritz (Elmshorn), Thomas Beckmann (Quickborn), Matthias Bagger (Amt Rantzau) und Gernot Kaser (Wedel). © Burkhard Fuchs

Städte und Gemeinden drängen auf zielgerichtete Lösungen

Diese Sektoren sind Unterbringen, Kitas, Schulen, Sprachkurse sowie die Personalsituation in den Kommunalverwaltungen. Dieses Lagebild soll noch einmal die Verschärfung des Problems der Unterbringung und der Überlastung der Infrastruktur darstellen.

Außerdem soll es als Grundlage für weitere Gespräche mit den Landtagsabgeordneten dienen. So wollen die Kommunen auf die Situation vor Ort aufmerksam machen und „endlich zielgerichtete Lösungen finden“.

Personen ohne Bleibeperspektive sollten in Landesunterkünften bleiben

Denn die Herausforderungen, die durch die große Anzahl von Geflüchteten auf die Kommunen zukommen, seien alleine, ohne Unterstützung des Landes, nicht zu stemmen. Rellingens Bürgermeister Marc Trampe hatte daher schon im Juli gesagt: Das Land müsse dringend den Verteilungsschlüssel ändern.

Diese Forderung wiederholt er nun: Menschen, die keine Bleibeperspektive hätten, sollten in den Landesunterkünften belassen und gar nicht erst den Kreisen zugeteilt werden. „Das würde uns kurzfristig Entlastung bringen. Die Kommunen sind an ihre Belastungsgrenze gekommen.“

Landesregierung plant keine Änderung des Verteilungsschlüssels

Die Verteilung der Geflüchteten erfolgt auf Grundlage der Einwohnerzahl. Und die ist in Schleswig-Holstein mit Ausnahme der kreisfreien Städte im Kreis Pinneberg am größten. „Die Landesregierung plant derzeit keine Änderung des Verteilungsschlüssels“, so das Sozialministerium in der Antwort auf die kleine Anfrage von Bernd Buchholz.

Grundsätzlich sei die Landesregierung jedoch offen für Vorschläge, die zwischen Kreisen und kreisfreien Städten abgestimmt seien. Dies habe man bereits im Zuge regelmäßiger Gespräche thematisiert. Eine Änderung ist aber wohl vorerst nicht in Sicht. Die Herausforderungen werden also dieselben bleiben.

Elmshorn hat rund 2500 Geflüchtete aufgenommen

Auch Elmshorn, die größte Stadt des Kreises, steht vor massiven Herausforderungen. „So geht es nicht weiter“, sagte Elmshorns Erster Stadtrat Dirk Moritz. Die Stadt sei mit 2500 Geflüchteten am Ende ihrer Unterbringungsmöglichkeiten.

Vielerorts müssen Containerunterkünfte aufgestellt werden, um die Menschen unterbringen zu können, der Wohnungsmarkt im Kreis Pinneberg ist ohnehin angespannt, die Preise hoch und die Leerstandsquote gering. Auch in kleineren Gemeinden fehlt es an Häusern, die die Ämter anmieten können, um Geflüchtete unterzubringen.

Wohnraum für Flüchtlinge: Kommunen müssen in Vorleistung gehen

Meistens, so berichtet Marc Trampe, müssten die Gemeinden sogar in Vorleistung gehen, um Wohnraum anzumieten. „Die Finanzierung geht oftmals nicht schnell genug. Wir hangeln uns von Förderprogramm zu Förderprogramm. Das kann nicht sein“, so der Rellinger Bürgermeister.

Antragsverfahren seien zu kompliziert und langwierig, der Verwaltungsaufwand für die Beschaffung von Fördermitteln enorm. Und das zusätzlich zu der Arbeit, die die Kommunen ohnehin durch die Aufnahme der Geflüchteten haben.

Kreis Pinneberg: 1500 Geflüchtete seit Anfang des Jahres

Nach Angaben des Sozialministeriums sind etwa 60 Prozent der Geflüchteten im Land in individuellem Wohnraum untergebracht, etwa ein Drittel in Gemeinschaftsunterkünften und etwa fünf Prozent in anderen Unterbringungsformen – auch im Kreis Pinneberg gebe es eine ähnliche Verteilung.

Bei rund 1500 Geflüchteten, die dem Kreis seit Jahresbeginn zugewiesen wurden, bedeutet das, dass etwa 900 Menschen in individuellem Wohnraum untergebracht sind. Dabei ist die Unterbringung nur eine Facette.

Fast jedes vierte Kind weist unzureichende Sprachkompetenz auf

Wie Torneschs Bürgermeisterin Sabine Kählert bereits im Juli sagte, bräuchten die Menschen vor allem eine Zukunftsperspektive. Das bedeute neben Wohnraum auch ausreichend Sprachkurse, Kita-Plätze und Schulangebote. Das sei kaum noch möglich.

Der kürzlich veröffentlichte Fokusbericht Sozialplanung des Kreises zeigt dies sehr deutlich. Demnach wurde bei fast einem Viertel der Kinder im Kreis eine unzureichende Sprachkompetenz festgestellt. Die Betreuungsquote bei den Kita-Plätzen sinkt, obwohl zahlreiche neue Plätze geschaffen werden – die Zahl der Kinder steigt aber schneller.

Kreis Pinneberg: Soziale Infrastruktur ist unter Druck

Die soziale Infrastruktur im Kreis, ja im ganzen Land, gerät unter Druck. Aus Sicht der Kommunen auch, weil die Landesregierung eben keine Lösungsansätze für die Herausforderungen habe. Der Kreis Pinneberg sei als bevölkerungsstärkster und gleichzeitig flächenmäßig kleinster Landkreis in Schleswig-Holstein besonders betroffen, sagte Landrätin Elfi Heesch.

Klar ist: Ob mehr oder weniger Schutzsuchende im Norden ankommen, kann nicht vorhergesagt werden. Laut Ministerium bewegt sich das Fluchtgeschehen „auf sehr hohem Niveau“. Im Jahr 2022 wurden in Schleswig-Holstein 6496 Asylsuchende aufgenommen.

Kreis Pinneberg: Flüchtlingszahlen im Vergleich zu 2022 verdoppelt

Im Jahr 2023 waren es zum Stichtag 30. Juni bereits 4175. Laut Ministerium bedeutet das gegenüber dem Vorjahresvergleichszeitraum (also 1. Januar bis 30. Juni 2022) eine Steigerung von rund 98 Prozent. Es kamen also in diesem Jahr bislang fast doppelt so viele Schutzsuchende wie im ersten Halbjahr 2022.

Prognosen lassen sich zwar nicht treffen. Das Ministerium teilt aber mit: „Es ist nicht damit zu rechnen, dass sich diese Entwicklung im Jahresverlauf maßgeblich ändern wird.“ Damit dürften die Herausforderungen für die Kommunen nicht gerade weniger werden.