Pinneberg/Itzehoe. Justin W. war der Meinung, zu krank für eine Aussage zu sein. Der Richter sah das anders – das sind die Konsequenzen.

Neun Prozesstage, vier Zeugen: Die Wahrheitsfindung im Fall der Messerattacke vom BahnhofPinneberg verläuft weiter im Schneckentempo. Inzwischen hat die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Itzehoe zusätzliche Prozesstage angesetzt – bis zum 2. Juni.

Das Verfahren gegen Jamal H. (21) aus Hamburg, dem versuchter Totschlag vorgeworfen wird, hat am 3. Januar begonnen – mit einem schweigenden Angeklagten. Als Erstes kam das lebensgefährlich verletzte Opfer der Attacke vom 6. Juli 2022 zu Wort – und blieb ebenfalls stumm.

Pinneberg: Messerstich nach Videodreh – Gericht lässt Zeugen vorführen

Die Verteidiger des Angeklagten hatten durchgesetzt, dass dem ebenfalls aus Hamburg stammenden Mohmen A. auch ein Aussageverweigerungsrecht zusteht, weil dieser sich wegen Drogendelikten möglicherweise selbst hätte belasten müssen.

Seitdem versucht das Gericht, die acht weiteren Zeugen zu vernehmen, die gemeinsam mit Täter und Opfer nach einem Rap-Musikvideodreh am Bahnhof der Kreisstadt auf die S-Bahn warteten.

Pinneberg: Hauptzeuge der Messerattacke dreimal vorgeladen

Andy T. (26), ein Hamburger Musikproduzent und Hauptzeuge der Anklage, musste dreimal stundenlang Rede und Antwort stehen, ehe alle Prozessbeteiligte zufrieden waren.

Auch Marvin S. hat vollständig ausgesagt – und sich auf Erinnerungslücken berufen. Am Freitag hatte das Gericht mit Justin W. und Louis N. zwei Zeugen geladen, die bereits einmal mehrere Stunden auf der Zeugenbank saßen. Aufgrund der vielen Fragen konnten ihre Vernehmungen nicht abgeschlossen werden.

Verteidiger Lino Peters spricht von „Micky-Maus-Attest“

Justin W., der zur Tatzeit ein enger Freund des Angeklagten war, wollte sich jedoch einer zweiten langwierigen Vernehmung nicht stellen. Er reichte im Vorfeld einen maschinengeschriebenen Zettel ein, an dessen Beginn handschriftlich das Wort Attest eingefügt war.

Der Tenor: Dem Zeugen sei ein Auftritt vor Gericht nicht zuzumuten. Richter Johann Lohmann sah das anders – und Verteidiger Lino Peters sprach gar von einem „Micky-Maus-Attest“. Weil der Zeuge trotz Ankündigung des Gerichtes, diese Entschuldigung nicht zu akzeptieren, der Verhandlung fernblieb, setzten die Richter die Polizei in Marsch.

Nicht erschienener Zeuge muss 150 Euro zahlen oder drei Tage in Haft

Außerdem muss der „Schwänzer“ ein Ordnungsgeld von 150 Euro zahlen oder ersatzweise drei Tage in Haft. Auch die dem Gericht entstandenen Kosten für sein Fernbleiben muss er übernehmen.

Die uniformierten Kollegen trieben Justin W. in Pinneberg auf und brachten ihn gegen Mittag in das Gericht. Dort hatte inzwischen Louis N. auf der Zeugenbank Platz genommen. Der hatte vor seinem ersten Auftritt ebenfalls ein Attest eingereicht, was die Kammer auch nicht akzeptierte.

Pinneberg: Zeuge schildert Streit, der dem Messerstich vorausging

Louis N. und Justin W. hatten sich kurz vor dem Messerstich in die Haare bekommen. Laut Anklage wollte das Opfer Mohmen A., genannt Mo, den Streit schlichten, war dann selbst mit dem Angeklagten aneinandergeraten und von diesem mit einem Messer attackiert worden.

Den Messerstich, so gab Louis N. jetzt an, habe er nicht gesehen. Mitbekommen habe er ihn aber sehr wohl. Das gelte auch für alle anderen Beteiligten. „Es wurde was gerufen, was genau, weiß ich nicht mehr.“ Sinngemäß könne es „Mo ist angestochen“ gewesen sein. Er habe diesen („Vorher hatte ich ihn vielleicht ein- oder zweimal getroffen“) auf der Treppe liegen sehen, die Hand vor dem Bauch gepresst. „Da war Blut.“

Zeuge will Details zu seinen eigenen Vorstrafen nicht preisgeben

Kurz zuvor, so Louis N., habe er sich mit Justin W. noch „prügeln wollen“. Dies habe jedoch um die Ecke stattfinden sollen, nicht vor dem Auge der Überwachungskamera. Den Grund dafür nannte Louis N. auf Nachbohren der Verteidiger: Er stand unter einer laufenden Bewährung. Die Frage, weswegen er verurteilt worden war, wollte der Zeuge nicht beantworten.

Justin W. habe im Anschluss an die Tat noch versucht, mehreren Mitgliedern der Gruppe einen „Maulkorb“ zu verpassen, so Louis N., der nach dem Messerstich mit zwei Freunden davongelaufen war. Er selbst habe sich mit dem Kontrahenten versöhnt, sich mit ihm auf dem Kiez bei einigen Getränken ausgesprochen.

Pinneberg: Gericht hat nach Messerattacke 18 Prozesstage anberaumt

Neun Verhandlungstage hat die Schwurgerichtskammer bereits in der Sache verhandelt, einer davon war außerplanmäßig dazugekommen. Drei reguläre Termine stehen noch bis Ende März an. Für April, Mai und Juni haben die Richter nun sechs weitere Prozesstage angesetzt. Ob die dann 18 Prozesstage ausreichen werden, bleibt abzuwarten.