Rellingen. Die Selbsthilfegruppe sind relativ gut durch die Corona-Krise gekommen. Was die 140 Gruppen Hilfesuchenden im Kreis bieten.

Zweieinhalb Pandemiejahre gingen auch an den Selbsthilfegruppen im Kreis Pinneberg nicht spurlos vorüber: „Knapp zehn Prozent aller Selbsthilfegruppen im Kreis Pinneberg existieren heute nicht mehr“, bestätigt Kerstin Kreuzhage, Koordinatorin in der Zentralen Kontaktstelle für Selbsthilfe.

In ihrem Büro beim Deutschen Roten Kreuz in Rellingen berät die Diplompädagogin zusammen mit ihrer Kollegin Katinka Gabriel, wie Selbsthilfe gelingen kann. „Wir begleiten die Gründung von Gruppen, und darüber hinaus sind wir Ansprechpartner für alle Fragen“, so Kerstin Kreuzhage.

Selbsthilfegruppen im Kreis Pinneberg wieder aktiv

Allmählich starten die Selbsthilfegruppen im Kreis aber wieder durch, treffen sich, um einander zu stützen. Etwa 140 Selbsthilfegruppen werden aktuell von den beiden Frauen im Kreis unterstützt: durch gezielte Fortbildungen, Vermittlung geeigneter Räume oder ein persönliches Beratungsgespräch für Gründungswillige. Außerdem pflegen sie Kontakt zu Beratungsstellen auch über die Kreisgrenze hinaus.

„Zu Beginn der Pandemie wurde oft prophezeit, dass die Selbsthilfegruppen das nicht überleben“, sagt Kreuzhage. Diese Annahme war falsch. „Wie sich herausstellte, hat es vielen durch die schwere Zeit geholfen.“ Sie sei immer wieder beeindruckt von den Menschen in Selbsthilfegruppen, mit welchem Mut und Optimismus sie schwierige Situationen meistern würden.

Selbsthilfegruppen fanden in der Pandemie Alternativen zu Treffen

Selbsthilfe sei ein bewehrter Weg, Erkrankungen und schwierige Lebenslagen gut zu bewältigen. Menschen in ähnlichen Situationen ermutigen und unterstützen sich, sprechen über Ängste und Sorgen. Es werde auch viel gelacht, so Kreuzhage. Man unternehme auch mal etwas Schönes zusammen. „Die Menschen fühlen sich nicht mit der Diagnose und dem veränderten Leben allein gelassen.“

Während der Pandemie wichen Betroffene auf Online-Treffen aus, telefonierten regelmäßig, schrieben sich Mails oder fanden privat größere Räume, in denen sie ausreichend Abstand halten konnten. „Eine Gruppe traf sich in einer Fabrikhalle“, erinnert sich Katinka Gabriel, die seit 2012 in der Kontaktstelle arbeitet.

Rückgang der Selbsthilfegruppen fiel geringer aus als erwartet

Die Kontaktstelle selbst gibt es seit 2001. Das Deutsche Rote Kreuz fungiert als Träger. Finanziert wird die Kontaktstelle vor allem durch die Krankenkassen und das Land Schleswig-Holstein. Auch einzelne Kommunen beteiligen sich mit geringen Beträgen.

Insbesondere für Suchtkranke oder Menschen mit Depressionen und Angststörungen war es wichtig, Kontakt zu halten. Menschen mit chronischen Krankheiten vermieden Treffen eher, aus Angst, sich mit Corona anzustecken. Doch unterm Strich fiel der Rückgang der Gruppen deutlich geringer aus, als von den Expertinnen befürchtet.

Psychische Belastungen nehmen zu – wie Selbsthilfe helfen kann

„Der Halt, den sich die Betroffenen geben, war und ist ganz wichtig“, sagt Katinka Gabriel. Nach den Feiertagen stiegen die Anfragen von Menschen, die Gruppen suchen. Die Leiterin der Angstselbsthilfe in Wedel musste beispielsweise eine Warteliste eröffnen.

„Die psychischen Belastungen sind gestiegen, auch schon vor der Pandemie“, sagt Kerstin Kreuzhage. Corona und Ukrainekrieg und seine Folgen hätten diese Entwicklung noch einmal verstärkt. Aber auch der offenere Umgang in der Gesellschaft beispielsweise mit dem Thema Depressionen habe zu einem Zulauf geführt.

In dem Bereich psychische Erkrankungen gibt es mittlerweile 36 Selbsthilfegruppen. Das wird nur von der Gruppe der chronisch Erkrankten übertroffen mit 52. Den drittgrößten Bereich bildet die Sucht mit 28 Selbsthilfegruppen für Betroffene und Angehörige. „Sucht bildete sonst die zweitgrößte Gruppe“, so Kreuzhage, die die Kontaktstelle seit 2006 leitet.

Selbsthilfe-Wegweiser listet alle Gruppen im Kreis Pinneberg auf

Von Diabetes und Parkinson über Angststörungen und Suchtkrankheiten bis hin zu interkulturellen Treffs oder Trauer und Verlust – Gründe für Selbsthilfe gibt es viele. Einmal im Jahr erscheint der aktualisierte Selbsthilfe-Wegweiser, in dem alle Gruppen des Kreises gelistet sind. Das Heft kann kostenlos angefordert werden.

Sollte trotz des umfangreichen Angebots die passende Gruppe nicht dabei sein, kann sie auch von dem Suchenden gegründet werden. „Wir helfen dabei, einen Raum zu finden, bei den Anträgen auf Fördermittel bei den Krankenkassen oder bei der Öffentlichkeitsarbeit“, sagt Katinka Gabriel. Wenn es gewollt ist, gehen die beiden Frauen in der ersten Zeit auch mit in die Gruppen, um zu unterstützen.

Kreis Pinneberg: Von Trauer bis Sucht – Gründe für Selbsthilfe sind vielfältig

Grundsätzlich könne jeder eine Gruppe gründen. „Wir besprechen dann, was erreicht werden soll und wie das gelingen kann“, sagt sie. So müssten Gründungswillige zunächst damit rechnen, dass nicht sofort eine feste Gruppe entstehe, sondern es Zeit brauche, zu wachsen. „Es braucht eine gewisse Vorlaufzeit.“

Um die Gruppen im Umkreis bekannt zu machen, würden sich Arztpraxen oder Physiotherapeuten gut als Multiplikatoren eignen. Auch die Verbreitung über soziale Medien funktioniere. Soziale Institutionen, Kirchen oder Beratungsstellen würden häufig Räume für die Treffen zur Verfügung stellen.

Kontakt: Zentrale Kontaktstelle für Selbsthilfe in Rellingen, Oberer Ehmschen 53, 04101/500 34 90,