Vor 100 Jahren wurde die Insel mit Beginn des Ersten Weltkrieges evakuiert, da Kaiser Wilhelm den Roten Felsen zur Seefestung ausbaute

Es ist uns ein Herzensbedürfnis, diesen Tag als Festtag zu gestalten.“ Diese Worte richteten Helgolands Bürgermeister Friederichs und die Gemeindevertretung im Sommer 1915 an die Insulaner. Anlass dafür war, dass sich der Zeitpunkt, „an dem unsere Heimatinsel durch Sr. Majestät, unseren geliebten Kaiser, dem deutschen Vaterlande einverleibt wurde“, zum 25. Mal jähren sollte. Das Problem: Die Helgoländerinnen und Helgoländer waren gar nicht mehr auf ihrer Insel. Sie erreichte der Aufruf der Insel-Oberen in Altona, Hamburg, Wedel, Finkenwerder und anderen Elbgemeinden, wo sie seit einem Jahr lebten. Mehr als drei weitere Jahre sollten die Menschen auf dem Festland ausharren müssen. Das nächste Fest daheim fand erst zu Weihnachten 1918 wieder statt.

Es ist ein Freitagnachmittag, an dem ein Dünenboot Ende Juli 1914 rote Plakate mit schwarzer Schrift auf die Insel bringt: Das Deutsche Reich verkündet durch den Festungskommandanten den Kriegszustand für den Bezirk Helgoland. Während viele Badegäste Sommerfreuden auf Helgoland genossen, war der Erste Weltkrieg ausgebrochen. Sie müssen innerhalb von 24 Stunden die Insel verlassen. Gegen 18 Uhr verlässt das Bäderschiff „Cobra“ die Reede gen Festland, überfüllt mit Urlaubern. Bange Stunden brechen für die Inselbewohner an: Was wird aus uns? Müssen wir unsere Heimat verlassen? Lange brennen die Lichter in ihren Häusern. An einen ruhigen Schlaf ist nicht mehr zu denken.

Am nächsten Morgen nimmt ein anderes Bäderschiff, der „Bubendey“, die letzten Gäste auf und fährt gegen Mittag nach Cuxhaven. Am Abend herrscht traurige Gewissheit für die Helgoländer: Auch sie müssen am folgenden Tag ihre Häuser, Pensionen, Gaststätten und Geschäfte verlassen. Helgoland wird mit Mann und Maus evakuiert!

Gegen halb fünf Uhr nachmittags wird eingebootet. Die HAPAG-Schiffe „Rugia“ und „Cobra“ stehen zur Aufnahme der Inselbevölkerung und ihrer Habe bereit. Kurz nach 20 Uhr werden die Anker gelichtet. Um 1 Uhr nachts erreicht die „Cobra“ die Altonaer Landungsbrücken, um 8 Uhr morgens die „Rugia“. Wohin nun? Wer – wie wenige – nicht bei Verwandten unterkommen kann, muss den ganzen Tag über quälend warten. Auf die Folgen der Inselräumung ist man in Altona und Hamburg nicht vorbereitet. Es sind Alte, Kranke, Eltern, Kinder, die da gestrandet sind. Schließlich werden etwa 1000 Personen durch die Fürsorge der HAPAG in den Auswandererhallen der Gesellschaft notdürftig für einige Tage untergebracht.

Es ist Krieg. Das ist schlimm genug. Und dann noch alles verloren und nicht wissen, was wird! Die Helgoländer sind die ersten Verlierer des Krieges. Nur allmählich bessert sich die Lage und wird für dauerhafte Unterkunft in Gemeinden des Kreises Pinneberg gesorgt. Aber all das bleibt ein Provisorium. Wenigstens ist für den Zusammenhalt ein wenig gesorgt: Die Helgoländer Gemeindevertretung bemüht sich redlich.

Eine freudiges Jubiläum wird es nicht, das letztlich in der Ottensener Kreuzkirche begangen wird, nur ein stilles Gedenken. Der Aufruf Bürgermeister Friederichs enthält die Bitte, „unsere zeitigen Wohnstätten durch Flaggen, Blumen und Grün zu schmücken“. Bestimmt ist der Bitte Folge geleistet worden. Die Helgoländer sind ein stolzes Völkchen. Aber wer so heimatverbunden ist, leidet in der Fremde doppelt.

Nach der Evakuierung wird Helgoland eine waffenstarrende Seefestung mit 4000 Mann Besatzung und einer der Haupthäfen der deutschen U-Boote. Von hier aus startet Anfang September 1914 ein erstes Boot zur Feindfahrt und wenig später Otto Weddigen mit „U 9“. Ihm gelingt es, drei englische Kreuzer mit Torpedos zu versenken – ein Alptraum für die britische Admiralität und der Beginn des Siegeszuges der U-Boot-Waffe in der maritimen Kriegsführung generell. Aber das ist eine andere Geschichte.

Nach dem Ende des Krieges kehren die Helgoländer im Dezember 1918 mit den Dampfern „Prinzessin Heinrich“ und „Adler“ von Hamburg aus zurück. „Einwohner“, so heißt es in einer Mitteilung des Gemeindevorstehers, „die nachweisen können, dass sie nicht imstande sind, für die erste Nacht ein warmes Obdach zu finden, haben dies im hiesigen Büro bei Empfang der Fahrkarten zu melden“. Es werden nicht wenige gewesen sein. Die Jahre der Besetzung durch Soldaten hatten erhebliche Schäden in den Häusern verursacht.

Wulf Brocke, ehemaliger Redakteur der Zeitung „Die Welt“, ist Pressesprecher des Internationalen Maritimen Museums Hamburg (IMMH) und hat für diesen Beitrag auf Dokumente des Museums Helgoland und der Webseite „alt-borkum“ zurückgreifen können.