In der Nähe der Wulfsmühle graben Peter Pries, Hartmut Boller und Joachim Schlick die Überreste einer mittelalterlichen Burg aus.

Die Vermutung, dass sich Rentner am liebsten mit alten Zeiten beschäftigen, ist, je nach Sichtweise, eine Binsenweisheit oder ein Vorurteil. Auf Peter Pries trifft diese Einschätzung in jedem Falle zu. Der Rellinger hat seit Jahren nichts Besseres zu tun, als im Ruhestand nach den Spuren alter Zeiten zu forschen. Genauer gesagt: zu buddeln. Denn Pries ist als Hobby-Archäologe seit 2007 dabei, die Überreste einer mittelalterlichen Burg bei Tangstedt auszugraben.

Die Leidenschaft des Altertumsforschers darf nun allerdings nicht mehr flapsig als Hobby bezeichnet werden. Denn Pries studierte nebenbei Vor- und Frühgeschichte an der Hamburger Universität. Nach zwölf Semestern schloss er nun im reifen Alter von 72 Jahren sein Studium im Fachbereich Kulturgeschichte und Kulturkunde erfolgreich ab. Die Prüfungen bestand Pries mit der Gesamtnote „gut”. Nun darf er seinem Namen die Abkürzung M.A. als Bezeichnung für den akademischen Grad Magister Artium (Meister der Künste) anfügen. Und Pries freut sich wie ein Schneekönig, dass er nun als studierter Archäologe auch wissenschaftliche Arbeiten veröffentlichen kann.

Apropos Schneekönig: Zur Magisterprüfung gehörte auch eine wissenschaftliche Hausarbeit. In dieser befasste sich der Rellinger mit dem Jahrhundertfund des Ötztaler Eismanns aus geografischer Sicht. Der frühere Postmanager ist schon ein bisschen stolz darauf, dass er trotz einiger gesundheitlicher Beschwernisse sein Studium erfolgreich abgeschlossen hat. „Vielleicht ist das ja auch ein Anreiz für meine sechs Enkelkinder, wenn sie einmal ihre Prüfungen absolvieren müssen”, meint Peter Pries.

Erfreut über den nunmehr akademischen Vorarbeiter ist auch Hartmut Boller. Der 71 Jahre alte frühere Lebensmittelchemiker und Heimatkundler aus Tangstedt ist seit Jahren engster Mitarbeiter von Pries auf den Ausgrabungsfeldern im Umkreis der Tangstedter Wulfsmühle. Die genaue Lage des gut gesicherten Areals halten Boller und Pries weiterhin geheim, um nicht unerwünschte Besucher zu bekommen.

Neu im Team ist Joachim Schlick, 70, aus Tornesch. Der Dentaltechniker im Ruhestand stieß zu den Burgforschern, nachdem er in der Pinneberger Regionalausgabe des Abendblatts über deren Aktivitäten gelesen hatte.

Im Laufe der Jahre haben die Archäologen, zeitweise unter Beteiligung von Dozenten und Studenten der Uni Hamburg, schon hunderte Artefakte aus dem Boden geklaubt. „Als Artefakte bezeichnen wir Fundstücke, die von Menschenhand geformt wurden”, erläutert Pries. Zu diesen Hinterlassenschaften der einstigen Burgbewohner gehören Holzreste ebenso wie bearbeitete Steine und Eisennägel.

Die Altersbestimmung der Fundstücke deutet darauf hin, dass die auch als Wulfsburg oder Burghorst bezeichnete Anlage im Gebiet der heutigen Pinnau- Niederung aus dem 11.Jahrhundert stammt. Deshalb zieht Pries auch eine Parallele zu den späteren Schauenburger Grafen, die unter anderem 1382 in einer Aufzeichnung erwähnt werden.

Bei den Bewohnern der Burg, die nicht mit den prächtigen Ritterburgen im Rheinland zu vergleichen ist, handelte es sich möglicherweise um Vorfahren der Schauenburger: eine Adelsfamilie, die mit Personal in der Umgebung der jetzigen Wulfsmühle lebte. Pries schätzt die Gruppe auf etwa 20 bis 30 Bewohner. Die frühmittelalterliche WG lebte auf dem mit einem Erdwall geschützten Gelände. Der Durchmesser des Areals dürfte 70 bis 80 Meter betragen haben. „Zur Anlage gehörte wohl auch ein Turm als Ausguck”, vermutet der Rellinger Archäologe.

Den Verlauf des Schutzwalls können Pries und seine Helfer inzwischen genau bezeichnen. Die Einfriedung wurde mit Steinpackungen beschwert, die ebenfalls von den Altertumsforschern entdeckt worden sind. Pries und Boller glauben, dass bei der Errichtung der Burg Baumaterial mit kleinen Booten auf dem Flüsschen, das Vorläufer der Pinnau war, transportiert wurde.

„Wir sind quasi auf den Spuren der ersten Tangstedter”, scherzt Boller.

Die gab es allerdings schon weit früher als die Burg. Die Archäologen stießen auf Fundstücke, die bis in die vorrömische Eisenzeit (etwa 0 bis 600 vor Christus) zurückreichen. Dazu zählen Scherben, die Bestandteil eines aus Lehm geformten Schmelzofens gewesen sind. Dass die Ureinwohner des Gebiets schon die Kunst der Eisenverhüttung beherrschten, ergibt sich aus den aufgefundenen Schlackeresten. Weitere Funde einer Feuerstelle werden sogar der mittleren Steinzeit (4000 bis 8000 vor Christus) zugeordnet.

Bei der Suche nach Relikten aus der Vergangenheit arbeiten Pries, Boller und Schlick mit Spachteln, Kellen, Löffeln und Handfegern, um beim behutsamen Abtragen der Bodenschicht, nicht etwaige Fundstücke zu beschädigen. Um solche Scherben, Steine oder Absplitterungen von Speerspitzen zu entdecken, wird der Aushub vorsichtig durch ein Sieb geschüttet. Die Artefakte werden gesäubert, katalogisiert und sicher verwahrt. Pries arbeitet mit Genehmigung des Archäologischen Landesamts Schleswig-Holstein. Der Rellinger ist auch Vertrauensmann der Behörde für die Region. „Mit unseren Ausgrabungen haben wir nachgewiesen, dass die Tangstedter Umgebung seit der Mittelsteinzeit bis heute Menschen als Siedlungsraum diente”, sagt Pries.