Psychische Erkrankungen nehmen zu. Neue Selbsthilfegruppe „Hand in Hand” unterstützt zusätzlich zu Ärzten und Beratungsstellen.

Kreis Pinneberg. Immer mehr Menschen leiden an Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen wie Burn-out und Angstzuständen. Seelische Leiden sind das am schnellsten wachsende Krankheitsbild unserer Gesellschaft, heißt es in der aktuellen Studie der DAK.

Depressionserkrankungen haben innerhalb eines Jahres um fast ein Drittel im Kreis Pinneberg zugenommen. Sie sind bereits die vierthäufigste Ursache für Krankmeldungen. Tendenz steigend. Auch bei den Beratungs- und Begegnungsstätten Die Brücke in Elmshorn und dem Schiff der Awo in Pinneberg nimmt die Zahl der Hilfesuchenden rapide zu.

Nun gründet sich auch auf dem Land die erste Selbsthilfegruppe für Depressionskranke. Hand in Hand nennt sich diese Initiative, mit der André Albrecht und Tobias Kujadt in Westerhorn Betroffenen helfen wollen.

"Ich bin selbst vor fünf Jahren an einer schweren Depression erkrankt", sagt Albrecht über die Beweggründe. Durch den plötzlichen Verlust seiner Arbeit als Kellner geriet das Leben des damals 23-Jährigen völlig aus der Bahn. "Ich litt unter Schlaflosigkeit, hatte Tagträume, weinte nur noch und griff zur Flasche", sagt der gebürtige Flensburger, der über Kiel und Sylt Anfang des Jahres mit seinem Freund und Lebensgefährten Kujadt nach Westerhorn umzog.

Vor allem die Antriebslosigkeit machte Albrecht zu schaffen. "Ich habe mich nur noch zurückgezogen, wollten keinen mehr sehen und auch gar nicht mehr aufstehen." Nur mit Hilfe eines sehr guten Therapeuten und Medikamenten, die er immer noch nehmen muss, sei er aus diesem Loch herausgekommen.

Nun wollen er und Kujadt zusammen mit anderen Betroffenen Erfahrungen austauschen, sich gegenseitig Mut machen und Anregungen zur Selbsthilfe geben. Gesprächsrunden, Treffen und Beratungen gehören ebenso dazu wie vor allem auch gemeinsame Aktionen, um die durch die Depression verursachte Antriebslosigkeit zu durchbrechen. "Wir wollen Spaziergänge und Ausflüge organisieren", kündigt André Albrecht an. Auch gemeinsame Koch- und Back-Aktionen seien angedacht, die zum Beispiel zum Kuchenverkauf auf dem Barmstedter Weihnachtsmarkt führen könnten. Beratung und Unterstützung bei Behördengängen wollen die beiden anbieten. So sei Kujadt ein Experte beim Ausfüllen von Hartz-IV-Anträgen. "Unser Ziel ist es, anderen Betroffenen eine Perspektive aufzuzeigen, wie sie ihr Leben wieder in den Griff kriegen können."

Das versuchen die Begegnungsstätten der Brücke in Elmshorn und vom Schiff der Awo in Pinneberg seit Jahren. Sie bieten bereits zahlreiche Selbsthilfegruppen an. So kommen im Fahltskamp 30 in der Kreisstadt jeden Montag, Mittwoch (jeweils von 16 bis 18 Uhr) und Sonntag von 15.30 bis 17.30 Uhr Depressionskranke zum Gespräch zusammen, berichtet Leiterin Ingrid Homburg.

Ganz neu ist ein Angebot für die Ehe- und Lebenspartner von psychisch Erkrankten, die sich einmal im Monat, immer am vierten Donnerstag um 19 Uhr treffen sollen, erstmals am 27. September. Bei der Brücke in der Neuen Straße 7 in Elmshorn trifft sich die Selbsthilfegruppe jeden ersten und dritten Montag von 19.30 bis 21 Uhr im Brückenhof, berichtet Fachleiterin Petra Wiethölter.

Dort kommen Menschen zusammen, die oft ihre Krise noch nicht überwunden haben, die in einer psychiatrischen Klinik behandelt wurden und nun auf einen Therapieplatz warten, was mindestens ein halbes Jahr und länger dauert. Wie bei André Albrecht aus Westerhorn sei es vor allem die krankhafte Antriebslosigkeit, die diesen Menschen zu schaffen mache, sagt Psychologin Wiethölter.

"Oft handelt es sich bei diesen Erkrankten um Menschen, die einen hohen Anspruch an sich selbst haben, die sehr ehrgeizig und streng mit sich selbst sind." Wenn Leute mit dieser Einstellung plötzlich erfahren müssen, dass sie fast nichts mehr alleine auf die Reihe kriegen, nagt das sehr an ihrem Selbstwertgefühl. Sie trauen sich nichts mehr zu. Ein Teufelskreis entsteht, der sie in eine tiefe Depression zieht. "Ich rate diesen Menschen dann, sich nur eine Aufgabe am Tag vorzunehmen." Beispielsweise den Rasen zu mähen. "Das reicht. Sie müssen ganz langsam, Schritt für Schritt wieder die innere Ruhe finden."

Oft sei es auch ein einschneidendes Erlebnis, das die Menschen aus der Bahn wirft, sagt Psychologin Ingrid Homburg von der Awo. "Die Depression ist eine Reaktion auf unsere Lebensumstände, die wir bewältigen müssen." Weil Existenzangst, Sorge um den Arbeitsplatz, Insolvenz und Wohnungslosigkeit, überhaupt Stress zunehmen, steige die Zahl der Betroffenen, sagt sie. "Es gibt in unserer Gesellschaft zu wenige Möglichkeiten zur Entspannung."

Auch die Regio-Kliniken haben auf diese Entwicklung reagiert und im April dieses Jahres eine neue Tagesklinik mit 15 Plätzen für psychisch kranke Patienten am Klinikum Pinneberg eröffnet. "Wir helfen den Menschen dabei, wieder im Leben und in der Arbeitswelt Fuß zu fassen", sagt Klinikleiterin Dr. Diana Filler.

Zentraler Bestandteil sei dabei die Bewegung. "Bewegung verschafft den Patienten einen Ausgleich, beseitigt ihre Aggressionen und Anspannungen." André Albrecht kann das nur bestätigen. "Spaziergänge und Entspannungsübungen haben mir geholfen. Nun möchte ich anderen dabei helfen, wieder Mut zu fassen und Lebenslust zu finden."

Kontakte: Selbsthilfegruppe Hand in Hand, Telefon: 04127/868 99 08; Awo-Schiff: 04101/20 87 78; Die Brücke: 04121/701 77 02