Der Schauspieler und Ex-Junkie Karl Maslo berichtet Patienten der Entzugsklinik Bokholt aus seinem bewegten Leben. Ein Bibel-Vers half ihm.

Bokholt-Hanredder. Karl Maslo zielt mit der Wasserpistole auf das Publikum. „Da ist nur Wasser drin, kein Methadon“, sagt der 60-Jährige. „Sonst würden wir alle mit aufgerissenem Mund hier sitzen.“ Alle lachen. Die meisten sind auf Entzug. Karl Maslo weiß, dass es ihnen schwer fällt, sich zu konzentrieren. Der Schauspieler blickt selbst auf 30 Jahre Suchtkarriere zurück. Alkohol, Heroin, Koks, Crack.

14 Entgiftungen, vier Therapien und 20 Wochen im Kloster später liest er in der Fachklinik Bokholt in Bokholt- Hanredder aus seiner Biografie „Mein Pech war, dass ich so viel Glück hatte“, die heute im Buchhandel erscheint. Zwei Jahre hat er jeden Tag fünf Stunden daran geschrieben. Dann musste es durchs juristische Lektorat. Das dauerte – zu viele Namen bekannter Schauspielerinnen tauchten auf und auch seine kriminellen Energien hatte Maslo nicht ausgespart. „Aber keine Sorge, euch lese ich die unzensierte dreckige Fassung vor“, sagt er und lacht.

Karl Maslo war als Patient in der Fachklinik, später, als er clean war, kam er zurück, um das Theaterstück „Süchtig“ aufzuführen. Der Ort weckt Erinnerungen in ihm. Den Raum, in dem er in Decken gehüllt fünf Tage und Nächte einen kalten Entzug unter starken Schmerzen durchlitten hatte, will er bei seinem Besuch nicht betreten. „Da kommen zu viele Emotionen hoch“, sagt Karl Maslo, der lange Zeit in Hamburg lebte und nun in Berlin wohnt.

Sein weitgehend von Zufällen bestimmtes Zigeunerleben führten ihn und seine Eltern von der Bundesrepublik in die DDR und zurück. „Mein Vater hatte Hummeln im Arsch“, sagt Maslo. Vater Heini war Pferdepfleger und Zureiter im Zirkus. „Und er hatte immer Durst.“ Als Maslo mit Freunden in eine Villa einstieg, war sein Vater dabei.

Später fing Maslo als Croupier in einem nicht ganz legalen Kasino an. „Eines Tages tauchte mein Vater sturzbesoffen auf, ich habe mich so geschämt.“ Maslo stahl 500 Mark aus der Kasse und lief von zu Hause davon. „Sonst hätte ich ihn wohl geschlagen“, sagt Maslo. Einige Zuhörer nicken nachdenklich. Sie wissen zu gut wovon er spricht.

Vom kleinkriminellen Elternhaus führte Maslos Weg in die akademische Welt der Philosophen und der Hippieszenen der 70er-Jahre. Er arbeitete als Techniker bei einer Konzertagentur, später beim Theater in Berlin. Dort bleibt sein parodistisches Talent nicht lange unentdeckt. Ein Talent, das er als Kind bei seiner Oma beobachtete, wenn diese mit ihrer Freundin nachmittags eine Flasche Korn leerte.

In seiner ersten Rolle als Schauspieler mimte Maslo einen betrunkenen Soldaten, der jemanden zusammenschlägt. Das Publikum war empört. Jemand schrie „Kommunistenschwein“. Maslo pöbelte zurück. „Der Intendant hielt zu mir“, sagt Maslo, „riet mir aber zum Urlaub.“ Beziehungen zur Fassbinder-Clique in München brachten weitere Engagements, Drehs mit Stellan Skarsgård, Claude Chabrol und Dominik Graf, Theater unter Jerome Savarie, Erwin Axa, Boleslaw Barlog und Harry Buckwitz. Frankfurt, München, Berlin – andere Szene, andere Drogen, nur die Arbeitssucht blieb, erzählt Maslo. Regisseur Dieter Wedel feuerte ihn, nachdem er morgens sternhagelvoll zur Probe erschienen war.

Maslo kokste, dealte, soff, verprasste sein Geld beim Glücksspiel. Um sich seine Drogen kaufen zu können, zockte er gutgläubige Menschen ab. Maslo sah gepflegt aus, seine Sucht war ihm nicht anzusehen. An Flughäfen erzählte er, er habe seinen Flug verpasst. Die Menschen liehen ihm gegen einen wertlosen Pfand Geld, mit dem er türmte. Einmal schnorrte er bei einer älteren Dame zwölf Euro. Sie hatte es nicht passend, gab ihm 20 Euro. Hin und wieder meldete sich sein Gewissen. „Ich bin noch mal zu ihr zurück, um ihr acht Euro wieder zu geben“, sagt er. „Den Rest hatte ich schon für die erste Nase ausgegeben.“ Irgendwann fand er sich vor einem Richter wieder. Maslo zahlte alles zurück und entschuldigte sich.

Der totale Absturz endete in einer Entzugsklinik bei Schwerin. „Ich hatte gegen Klinikregeln verstoßen und befand mich in Klausur“, sagt Maslo. Die bedeutete harte Auflagen wie Besuchsverbot. Maslo war am Ende. Alles erschien ihm trostlos, selbst der Blick aus dem Fenster hatte nur Einöde zu bieten. „Ich warf die Bibel auf den Boden“, liest Maslo. Die Seite, die aufschlug, sollte ihm den Weg weisen. Es war der Vers über Hiob, den reichen Kauffmann, der alles verlor und weiter an seinem Glauben festhielt. Maslos Blick schweift aus dem Fenster.

„Dort stand ein schwarzer kahler Baum, dessen Äste wie meine Arme hilflos in den Himmel ragten“, liest Karl Maslo mit brüchiger Stimme. Die Gefühle übermannen ihn. „Das war die Kapitulation, von der ich bis dahin nur gelesen hatte. Danach habe ich nie wieder den Suchtdruck empfunden.“ Es heißt, man muss erst aufhören, gegen die Windmühlen zu kämpfen und den Widerstand aufgeben, um die Sucht zu besiegen.

Seit zehn Jahren ist er clean, gibt als „Vorzeigesüchtiger“ Workshops, bringt in Gefängnissen, Therapieeinrichtungen und im Theater die Zuschauer zum Lachen und Nachdenken. Das hat Maslo auch diesmal wieder geschafft.