Sie kommen aus gutem Hause und treffen sich jeden Abend zu ihrer einzigen Freizeitbeschäftigung: Marihuana rauchen. Eine Momentaufnahme.

Hamburg. Gibst du mir den Crusher?", fragt der Jugendliche den neben sich. Es ist ein Wochenendabend, beide sitzen auf einer Parkbank irgendwo in Harburg. "Klar, Andreas", antwortet der andere und reicht ihm eine im Licht der untergehenden Sonne rot und silbern glänzende Aluminiumbuchse. Rund fünf Zentimeter ist sie im Durchmesser. Andreas (Namen der Jugendlichen geändert) dreht den oberen Teil der Buchse ab und fingert aus einer alten Tabakschachtel grüne, moosartige Blüten und Stängel, die er in dem Crusher drapiert. "Den Crusher benutzen wir, um das Gras zu zerkleinern", erklärt er. Auf seinen wuscheligen Haaren sitzt schief ein Baseballcap, an seinem linken Ohrläppchen funkelt ein Ohrring. Andreas hat sich an diesem Abend mit Robin und neun weiteren Freunden zum "Dümpfen" verabredet. "Dümpfen", "Dimpfen", "Buffen": So nennen die Harburger Jugendlichen es, wenn sie Marihuana rauchen.

Andreas verdreht Ober- und Unterteil des Crushers mehrere Male gegeneinander und verteilt das fein zerkleinerte Marihuana gleichmäßig auf ein Zigaretten-Papier. Zu dem Marihuana gibt er gut dieselbe Menge Tabak und dreht das Ganze. Fertig ist der Joint. Zum Schluss zückt er ein Feuerzeug und steckt die Spitze des Joints an. Genüsslich inhaliert er den jungfräulichen Rauch und gibt den Joint an Robin weiter. Versprengte grau melierte Wolken ziehen derweil am Himmel vorbei. Argwöhnisch blicken Robin und Andreas in den Himmel. Doch das Wetter lässt sich nicht beeindrucken - es beginnt, leise zu nieseln.

+++ Ausstieg in drei Schritten +++

Der gesamte Freundeskreis der Jungen besteht aus Jugendlichen, die regelmäßig Marihuana konsumieren. Ihre gesamte Freizeit verbringen sie Marihuana rauchend. Ihr gesamtes Geld investieren sie in Marihuana. "Natürlich könnten wir unsere Freizeit auch ohne Gras gestalten. Aber mit wird man lockerer, lustiger. Es gibt deinem Leben einen Bonus", meint Andreas.

Während er erzählt, nähert sich im Nieselregen ein weiterer Jugendlicher, gebräunt und mit hochgestylten blonden Haaren. Auf seinem schwarzen T-Shirt prangt ein grünes Adidas-Trefoil, unter dem der Schriftzug "Adihash" zu lesen ist. Er setzt sich zu Andreas und Robin und stellt seinen prall gefüllten Rucksack zwischen die Beine. Dann holt der Jugendliche ein Tütchen mit flauschigem Inhalt hervor. Für einen Fünfer übergibt er es an Andreas.

+++ "Cannabis wird komplett unterschätzt" +++

Der Junge mit dem Namen Patrick ist kein "großer Fisch" im Marihuana-Geschäft. Aber er kennt die richtigen Leute und beschafft von Zeit zu Zeit Gras für seine Freunde. Ungefähr 1000 Euro verdient er damit monatlich - und gibt den Großteil davon wiederum für Drogen aus. Auf einer Geburtstagsfeier vor zwei Jahren kam er zum ersten Mal mit Marihuana in Kontakt. Seitdem rauchte er es von Zeit zu Zeit, bei Gelegenheit. Bis er vor einem Jahr aus Geldnot begann, Marihuana zu verticken. "Ein wenig zwackt man sich natürlich ab. Seitdem rauche ich jeden Tag, im Schnitt zehn Joints." Zehn Joints pro Tag - das macht zwei Gramm Marihuana. Ungefähre Kosten: zehn Euro. Andreas und Robin nicken, geben an, etwa die selbe Menge Marihuana zu rauchen. Geld für andere Aktivitäten bleibt da nicht.

Hamburg gilt laut Professor Rainer Thomasius, Ärztlicher Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE), als Cannabis-Hauptstadt Deutschlands. In keiner anderen Stadt der Bundesrepublik werde so viel Cannabis geschmuggelt, verkauft und konsumiert. Besonders einfach sei der Konsum in den Randbezirken - wie in Harburg. Hier gibt es weniger stark belebte Plätze als in der Innenstadt.

Außerdem kämen Kinder südlich der Elbe nicht selten aus sozial schwachen Familien. "Sozialer Hintergrund, Schulform und mögliche Abhängigkeit der Eltern haben einen großen Einfluss auf die Anfälligkeit des Kindes für eine Cannabis-Abhängigkeit", sagt er.

Bei Robin, Andreas und ihren Freunden ist das anders. Sie besuchen das Gymnasium. Aus sozial schwachen Familien kommen sie nicht. Sie konsumieren Marihuana auch nicht, um ihre Probleme zu verdrängen. Sie tun es, weil sie sonst nichts haben, mit dem sie sich beschäftigen könnten. "Harburg muss man sich schön dümpfen", meint Noel, der mit dem Fahrrad zur Parkbank gekommen ist.

Laut Professor Thomasius ist es zudem in den Randbezirken Hamburgs besonders einfach, an Marihuana zu kommen. Patrick kann das bestätigen. "Für Jugendliche unter 18 ist es in Harburg einfacher, an Gras zu kommen, als an Alkohol." Er selbst ist ebenfalls minderjährig. "Die Szene ist extrem groß und wächst weiter. Man kann da schon von einem Trend sprechen", meint er.

Auch aus der Kriminalstatistik der Polizei Hamburg geht hervor, dass die registrierten Rauschgiftdelikte im Bezirk Harburg von 417 im Vorjahr auf 494 gestiegen sind - erstmals seit 2007. Dieser Anstieg müsse nicht zwangsläufig auf mehr Konsumenten hindeuten, sagt Sigrid Stuff, 58, Leiterin der Rauschgiftbekämpfungsdienststelle "Straßendeal" der Polizei Hamburg. "Das Bekanntwerden von Rauschgiftdelikten hängt vor allem davon ab, wie viele Polizisten sich speziell um den Bereich kümmern", sagt sie. "Deren Zahl wurde in den letzten Jahren leider verringert", sagt sie. Bis sich immer mehr Bürger über die Drogenkonsumenten beschwerten.

"Der Anteil von Marihuana am Drogenkonsum wächst seit Jahrzehnten stetig. Durch neue Züchtungen erzielen die Anbauer einen höheren THC-Gehalt", sagt Stuff. So verlange der Konsument nicht schon bald nach härteren Drogen. "Daher muss Marihuana heute selbst als harte Droge gelten", warnt Stuff. Professor Rainer Thomasius beobachtet sorgenvoll eine weitere Entwicklung. Die Zahl reiner Cannabiskonsumenten sinke, die Mischung aus Alkohol- und Cannabisabhängigkeit entwickele sich zu einem Problem. Außerdem griffen immer mehr Mädchen zum Joint.

Inzwischen ist die Sonne untergegangen. Der Regen hat nachgelassen, es riecht jetzt nach anderem, nämlich nach nassem Gras. Außer drei Jungen und zwei Mädchen sind auch Andreas' und Robins feste Freundinnen gekommen. "Ich habe vorher schon manchmal gekifft, aber seit ich mit Andreas zusammen bin, mache ich das auch regelmäßig", sagt Lea, Andreas' brünette Freundin. Die übrigen Jugendlichen lehnen währenddessen an der Bank, drehen mit geübten Fingern Joints oder kicken ein wenig mit dem Fußball hin und her.

Über den Boden verteilt liegen halb gefüllte Wasserflaschen und Packungen von Pizzabrötchen. Die Jugendlichen haben sich die Parkbank zum Wohnzimmer unter freiem Himmel umfunktioniert. Eine einsame Katze tapst derweil über die Wiese vor der Parkbank.

"Ängstlichkeit bei Mädchen, dissoziale Entwicklungen bei Jungen, in jedem Fall Motivationsstörungen und Verlust der Tagesstruktur bei beiden Geschlechtern", zählt Professor Thomasius die Auswirkungen regelmäßigen Cannabis-Konsums auf. "Die mentalen Entwicklungsstörungen wiegen besonders schwer. Ein 17-Jähriger, der seit drei Jahren regelmäßig Cannabis konsumiert, ist psychisch auf dem Stand eines 14-Jährigen."

Die Jugendlichen sind sich der Auswirkungen wohl bewusst. Robins Freundin Marie meint: "Sicher, die Noten werden schlechter. Aber man schafft die Schule schon. Und mit einem bestimmten Alter hört man ja automatisch mit dem Dümpfen auf. Dann wird alles besser." Sie erzählt gern und hat große Träume. Später möchte sie einmal ihr eigenes Unternehmen führen.

Mit ihrem Cannabis-Konsum wird das schwierig zu vereinbaren sein. Denn "automatisch" hört so gut wie niemand auf. "Um aufzuhören, müsste er seinen gesamten Freundeskreis ändern." Aus eigenem Antrieb sei bis jetzt noch kein Jugendlicher in das Jugendsuchtzentrum am UKE gekommen. Doch Hamburg will die Mittel für das DZSKJ bis 2015 von 288 000 auf 100 000 Euro kürzen.

Es ist nun kurz vor Mitternacht. Die Gruppe Harburger Jugendlicher hat sich inzwischen verstreut. Neun Joints haben sie zusammen an diesem Abend verraucht - vergleichsweise wenig. Am nächsten Abend werden sie sich erneut treffen. Und sich Harburg schön dümpfen.