Nirgendwo im Land werden mehr Räder gestohlen als im Landkreis. Kaum ein Rad taucht wieder auf - und die Kriminellen werden immer dreister.

Kreis Pinneberg. Ingrid B. wollte nur schnell etwas in der Rathauspassage einkaufen. Am Sonnabend, bei gemütlichem Einkaufswetter, schloss die Seniorin ihr Rad ab. Die Fahrradständer waren alle belegt, also sicherte sie ihr teures Elektrorad am Standort. Als sie vom Einkauf wiederkam, stand ihr Rad nicht mehr am Abstellplatz. Mitten am Tag, im belebten Pinneberger Stadtzentrum verschwindet ein Rad. Eine Anzeige gab Ingrid B. zwar auf, doch wirklich Hoffnung, dass es gefunden wird, hat sie nicht mehr.

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Mehr als 2000 Menschen geht es jedes Jahr so wie ihr. Der Kreis Pinneberg ist neben den Universitätsstädten Kiel und Lübeck mit großem Abstand die Hochburg beim Fahrraddiebstahl in Schleswig-Holstein.

Dabei ging viele Jahre die Zahl der gemeldeten Fahrraddiebstähle im Land und im Kreis zurück. Nun steigt die Zahl erstmals wieder an, in den Monaten Januar bis Mai dieses Jahres wurden laut Landeskriminalamt 4,5 Prozent mehr Fahrraddiebstähle angezeigt als im Vorjahreszeitraum.

Ist das nur die Spitze des Eisbergs? Tatsächlich sei die Zahl der Diebstähle deutlich höher, glaubt Ulf Brüggmann vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) in Pinneberg. "Schließlich zeigen immer weniger Menschen den Diebstahl auch wirklich an", sagt er. Nur wer sich ein bis zwei Stunden für die Anzeige auf dem Polizeirevier nimmt, taucht in der amtlichen Statistik auf. Selbst bei der Polizei glaubt man deshalb nicht so recht an der Aussagekraft des Zahlenwerks, offiziell sagen will das aber niemand. "Es gibt natürlich wie bei anderen Straftaten auch ein Dunkelfeld", sagt Matthias Wieske, stellvertretender Revierleiter in Pinneberg.

Seitdem viele Versicherungen den Ersatz von Rädern Stück für Stück aus dem Leistungskatalog gestrichen haben, ist das Interesse an der Anzeige deutlich gesunken. Doch das ist anscheinend für viele Opfer nicht der einzige Anlass, auf den Gang zum Polizeirevier zu verzichten. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihr Rad nämlich wirklich wieder gefunden wird, tendiert gegen null. In Schleswig-Holstein wurden 2011 weniger Fälle aufgeklärt als je zuvor. Seit 2006 sinkt diese Zahl kontinuierlich von 7,4 auf jetzt 6,7 Prozent aller Fälle. Regional ist es noch dramatischer, hier schneidet der Kreis Pinneberg besonders schlecht ab. Die Ermittlungsbehörden im Kreis konnten von 2064 Fällen nur 101 aufklären: Eine Quote weit unter dem Landesdurchschnitt von 4,9 Prozent. Allein in Elmshorn, der Diebstahlshochburg in der Region, konnten die Behörden nur einen Bruchteil der Straftaten aufklären. Von 573 geklauten Rädern konnten die Beamten lediglich 26 ausfindig machen.

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Auch in anderen Städten sieht es nicht besser aus. Von 324 Fällen gestohlener Räder in Pinneberg wurden nur 18 aufgeklärt, in Wedel waren es 9, in Tornesch 8, in Uetersen nur 5.

Ist der Kreis Pinneberg also ein Paradies für Kriminelle? "Ja", sagt Ulf Brüggmann vom ADFC. Hier gibt es besonders viele Bahnhöfe, eine hohe Einwohnerdichte und viele Pendler. "Die haben oft keine andere Möglichkeit, als die Räder an den Bahnhöfen abzustellen", sagt er. Praktisch an jedem Bahnhof fehlt es an vernünftigen Sicherungsmöglichkeiten, etwa abschließbaren Parkhäusern. Dramatisch sei die Situation am Pinneberger Bahnhof, hier wurde der sichere Abstellplatz, betrieben von Mitarbeitern eines sozialen Projekts, wieder abgeschafft. Ein absolut falsches Signal meint der ADFC.

Einige Autoknackerbanden schwenken laut Experten mittlerweile auf Zweiräder um. Kein Wunder, kosten die Räder zum Teil mehrere tausend Euro. Ob Elektroräder oder edle Rahmen, ob Karbonfelgen oder Ledersattel: "Räder werden wertiger, teurer", sagt Brüggmann. Deshalb schrecken Täter selbst vor größeren Hürden nicht zurück. So gehen Fahrraddiebe seit einiger Zeit besonders gern in Hausfluren von Mehrfamilienhäusern auf Beutezug. "In meinem Haus ist das zum Problem geworden", sagt Brüggmann, der gleichzeitig Miteigentümer ist.

Nun wurden dort spezielle Fahrradständer angeschafft. Das half. Die Polizei selbst steht diesem Problem relativ hilflos gegenüber: "Ohne Rahmennummern und Hinweisen aus der Bevölkerung ist die Aufklärung nur schwerlich möglich", sagt Matthias Wieske und appelliert: "Registrieren sie ihr Rad bei der Polizei".