Die Zahl der Fahrraddiebstähle ist drastisch gestiegen. Das Hamburger Abendblatt hat in Barmbek getestet, wie Augenzeugen reagieren.

Hamburg. Ausgeblichene Jeans, schmutzige Turnschuhe, Nylonjacke; dazu ungewaschenes Haar, das unter einer schwarzen "Schlaaand-Baseballkappe" hervorlugt, sowie ein unrasiertes Gesicht machen noch keinen potenziellen Fahrraddieb aus. Aber da wäre ja noch der Bolzenschneider: Mit gut fünf Kilogramm Gewicht und fast einem Meter Länge nicht gerade das typische Accessoire für einen Einkaufsbummel - auffälliger geht es nicht. Aber auch auffällig genug, um eine Reaktion bei den Hamburgern zu provozieren? Nach Angaben der Polizei sind im Vorjahr in 13 196 Fällen Fahrräder gestohlen worden, das sind 2247 Taten oder genau 20 Prozent mehr als 2010. Aber was passiert eigentlich, wenn ein Mann irgendwo in Hamburg - in aller Öffentlichkeit - ein Fahrradschloss knackt? In Barmbek hat das Abendblatt gestern den Test gemacht. Der Tatortbericht:

Das Objekt meiner vorgetäuschten Begierde ist ein selten genutztes Fahrrad. Mein Trek-Tourenrad mit 21 Gängen. Normalerweise sichere ich es mit einem Stahlbügelschloss der Härte zwölf, für unseren Test habe ich im Baumarkt ein paar billige Fahrradschlösser gekauft, die sich auch ohne Kraftanstrengung knacken lassen. Ich bin ja kein Profi.

+++ Fahrraddiebstähle nehmen dramatisch zu +++

+++ Warum ich mein Rad zurückstehlen musste +++

+++ Fahrradcodierungen +++

Die Versuchsanordnung des fingierten Fahrradklaus ist simpel: Ich werde mein Fahrrad an einem belebten Ort abstellen, anschließen, kurz verschwinden und mir eine andere Jacke anziehen. Dann werde ich mit dem Bolzenschneider zurückkehren, um mein eigenes Rad nach einigen Minuten Beobachtungszeit so auffällig unauffällig wie möglich zu stehlen. Fotograf Michael Arning wird aus einiger Entfernung alles im Bild festhalten. Vielleicht wird sich unsere Hoffnung erfüllen, dass es einem oder mehreren Passanten komisch vorkommen könnte. Sollte ich angesprochen werden, werde ich behaupten, dass es sich um mein eigenes Fahrrad handelt - und dass ich den Schlüssel fürs Schloss verloren habe.

Zugegeben: Die Geschichte mit der versteckten Kamera hat einen Bart. Aber es ist vermutlich die einzige Möglichkeit, um zu dokumentieren, dass es nicht von ungefähr kommt, dass täglich so viele Fahrräder geklaut werden. Prophylaktisch haben wir die Polizei von unserem Selbstversuch informiert. Um 9 Uhr morgens schließe ich mein Fahrrad an einem Verkehrsschild an der Hellbrookstraße in Barmbek an, rund 50 Meter Richtung Schwalbenstraße. Es ist das einzige Fahrrad weit und breit. Nur wenige Passanten eilen vorbei, die meisten von ihnen mit gesenktem Kopf, denn der Wind pfeift durch die Straße, dazu nieselt es. Eine halbe Stunde lang würdigt mich niemand eines Blickes, auch als ich beginne, mein Schloss mit einer Eisensäge zu bearbeiten. Der Bolzenschneider lehnt am Fahrrad. Was denken die Leute bloß? Offenbar: nichts.

Um 10 Uhr schließe ich mein Fahrrad vorm Outdoor-Kaufhaus Globetrotter an einen umgeknickten Begrenzungspfahl an, unweit der Bushaltestelle gegenüber vom S-Bahnhof Barmbek. Auf dem Bert-Kaempfert-Platz ist Wochenmarkt, der Fahrradparkplatz vorm Kaufhaus überfüllt.

Nach zehn Minuten fällt die Wahl auf mein Fahrrad, und ich setze den Bolzenschneider an, während wenige Passanten den einen oder anderen misstrauischen Blick auf mich werfen. Doch niemand spricht mich an.

Als ich einige Zeit mit dem widerspenstigen Draht gekämpft habe, sagt plötzlich eine Stimme: "Sagen Sie mal, ist das normal, was Sie da machen?" Natürlich ist es das nicht, und so fasele ich was von "Schlüssel verloren" - was mir der ältere Herr jedoch nicht abkauft. Also offenbare ich mich dem aufmerksamen und couragierten Rentner Hermann L., der seinen vollen Namen nicht veröffentlicht sehen möchte. Er sei 72 Jahre alt, wohne in Barmbek, und er habe schon mehrere Räder durch Diebstähle eingebüßt, sagt er.

Herr L. ist der erste Bürger, der sich eingemischt hat - nachdem ich ein zweites Mal rund eine Viertelstunde lang herumgelungert hatte, den Bolzenschneider in der Hand. "Ich habe schon im Vorbeigehen gesehen, was Sie da tun", sagt Herr L., "doch es hat mich Überwindung gekostet, mich noch mal umzudrehen und Sie anzusprechen. Denn Sie sind ja ein ziemlich massiger Mensch ..." Stimmt schon. Leider. Aber dafür bin ich friedliebend. Dennoch empfiehlt die Polizei, besser sofort die "110" anzurufen, anstatt sich selbst in Gefahr zu begeben.

+++ So sichern Sie Ihr Rad richtig +++

Und wie gut das funktionieren kann, müssen wir eine halbe Stunde später vor der Filiale des Hansebäckers Junge an der Fuhlsbüttler Straße erleben: Schon als ich mich mit dem Bolzenschneider in der Hand meinem Fahrrad bloß nähere, das ich an den Ständer der Elefanten-Apotheke angeschlossen habe, werden die Mittagsgäste der Bäckerei hinter der Panoramascheibe aufmerksam. Als ich entschlossen den Bolzenschneider ansetze, tritt eine ältere Frau aus der Bäckerei und schreit mich an: "Ey, lassen Sie das!" Und ihre Begleiterin fügt hinzu: "Die Polizei ist schon unterwegs!" Nein, auch der dreisteste Dieb hätte keine Chance gegen die resolute Annegret Bartels gehabt. "Ich pass immer auf", sagt die 68 Jahre alte Rentnerin später. "Das ist doch auch eine Riesenschweinerei mit diesen Diebstählen: Meinem Mann und mir haben sie vor Kurzem gleich beide Räder geklaut. Von vor der Tür! Dabei waren das bloß schäbige alte Dinger."

Unser Gespräch wird einen Augenblick später von zwei Hamburger Polizeibeamten unterbrochen, die aus ihrem Streifenwagen springen. Unsere Personalien werden aufgenommen, denn es hatte sich um eine Sonderrechte-Fahrt gehandelt - mit Blaulicht eben. Schließlich hätte es sich auch um einen richtigen Dieb handeln können.