Zwischen Naivität und Professionalität: Der Landeschef der neuen politischen Kraft will auf einer Erfolgswelle ins Landeshaus segeln.

Kreis Pinneberg. Die Internetgemeinde kennt ihn unter dem Namen "Darkstar", übersetzt "Finsterer Stern". Hinter dem ominösen Pseudonym steckt ein Mann, der nicht weniger als die politischen Verhältnisse in Schleswig-Holstein verändern will - Hans- Heinrich Piepgras, Vorsitzender der Piratenpartei. Darkstar ist der Name eines Raumschiffs in einer Science-Fiction-Parodie, das den Auftrag hat, instabile Planeten zu sprengen. So weit will Piepgras natürlich nicht gehen. Eine gewisse Schlagkraft ist dem Piratenchef allerdings nicht abzusprechen. "Ich fand den Namen einfach so wunderbar verrückt", sagt er.

+++ Anker lichten und ab nach Kiel +++

Symbolik kommt bei dieser Partei nicht von ungefähr. Und so kann man in Piepgras' Faible fürs Weltall vielleicht die Fortschrittlichkeit oder zumindest die Leichtigkeit eines Mannes und seiner Partei ablesen, auf die in ein paar Monaten viele blicken werden. Denn die Landtagswahl im Norden ist die einzige bundesweit im Jahr 2012. Jede Partei will dann mit ihrem Ergebnis ein Zeichen für die kommenden Bundestagswahlen setzen. Auch deshalb werden Piepgras' Piraten dieses Mal besonders argwöhnisch betrachtet. Ihr Einzug ins Kieler Landeshaus ist nach der Berlin-Wahl wahrscheinlicher geworden. Es wäre nach dem urbanen Berlin der erste Sieg in einem konservativen Flächenland.

Im Norden der Republik wirken die politischen Newcomer auffallend langweilig, nordisch gefestigt. Keine Augenklappen, kein Kopftuch - dafür trägt der Landeschef aus Klein Offenseth-Sparrieshoop Brille und Karohemd.

Er sitzt in einem Hamburger Café und will eigentlich nicht so viel über das reden, was die Piraten werden können, sondern über das sprechen, was sie sind. Doch wer ist er?

1961 geboren, begann Piepgras das Studium der Mineralogie mit Nebenfach Mathematik. Nach dem Abbruch machte er eine Umschulung zum Programmierer, war selbstständig, ist seit 2001 angestellt als Projektleiter und beschäftigt sich mit Software fürs Online-Banking. Ein ehemaliger Arbeitskollege bezeichnet ihn als unbequem, als Querdenker mit Ambitionen. Man müsse ihm nur eine Bühne geben, heißt es. Dann könne er sich entfalten. Ganz so wie seine Partei. Sie sei eine Kraft, die erstens anders ist als die anderen und zweitens die Bedenken der Menschen tatsächlich versteht. Sie biete die Bühne der Wirklichkeit, die das Lebensgefühl einer neuen Generation reflektiert. Er stilisiert die Andersartigkeit zum politischen Selbstverständnis.

Piepgras erzählt gern seine ganz eigene Geschichte, wie er 2007 zu den Freibeutern gekommen ist. "Über ein Forum im Netz fand er ein Link zu den Forderungen." Bei jeder Partei fand er bis dato Punkte, der er nicht mittragen konnte. Dieses Mal nicht. "Ich konnte jedem Punkt zustimmen." Er war nicht nur ein Befürworter, er wollte mitmachen und initiierte auch die Piratenstammtische.

Der Programmierer, der in seiner Jugend die Entstehung der Grünen aufmerksam verfolgte, hatte endlich eine politische Heimat gefunden. Vielleicht geht es vielen so wie Piepgras. Mehr und mehr Menschen strömen in die Partei, die allein in Piepgras' Heimatkreis Pinneberg in diesem Jahr so viele Mitglieder gewinnen konnte wie die Linkspartei über Jahre. Doch der Zulauf wird nun zum Problem. "Die Integration der vielen Neumitglieder lähmt uns im Moment ein wenig", gibt Piepgras zu. Man müsse erst einmal Strukturen schaffen, um die Neumitglieder in die Partei-Prozesse einzubinden. Ein modernes Management müsse her. Die Zeit bis zur Wahl sei knapp, die Aufgabe aber machbar. Bis dahin prägen zum Teil auch "schräge Typen" die Außendarstellung. Auch Meldungen über NPD-Mitglieder in Landesverbänden sorgten für Wirbel. "In unserem Verband kein Thema - und falls sie sich doch eingeschlichen haben, setze ich auf die Selbstreinigungskräfte der Partei." Politik-Rhetorik wie aus dem Bilderbuch - und doch verlieren die Piraten durch ihren eigenen Erfolg auch ihre Naivität.

Es sei nicht so, als ob sich ein Haufen Verrückter gefunden habe. Im Verband seien Mitglieder aller politischer Strömungen, sagt Piepgras, auch bisher nicht politisch engagierte Menschen. Im Netz geben sie sich Namen wie "Hoogi" oder "Blooty", veröffentlichen Protokolle von Sitzungen im Netz, proklamieren Transparenz. Der Kern der Bewegung ist und bleibt die Internetaffinität. "Ich glaube, dass die Einführung des Internets später einmal die gleiche Bedeutung haben wird wie die des Buchdrucks", sagt Piepgras. Nur dass die etablierten Parteien dies noch nicht erkannt hätten. Und so positionieren sich die Nordpiraten bewusst rund um die Themen Innere Sicherheit und Bürgerrechte, eröffnen dabei auch Grundsatzdebatten über das unendliche Wachstum des Kapitalismus. Dass sie dabei keine Antworten haben, stört sie nicht. "Die haben andere auch nicht", sagt Piepgras.

Darunter mischen sich auch Positionen wie ein Verbot von mit Uran belastetem Dünger oder die Forderung nach Laptops für alle Schüler. Solche Politik-Exotik gehöre am Anfang dazu, meint er. Ernsthafter kommt da das Wahlprogramm daher, das sich für ein Ende der Vorratsdatenspeicherung und der Fehmarnbelt-Querung ausspricht. Und Piepgras, der eher zufällig Parteichef wurde, macht sich schon Gedanken über einen beruflichen Ausklang im politischen Etablissement. "Ich könnte mir eine Arbeit in der Fraktion bis zur Rente gut vorstellen", sagt er und erwähnt fast nebenbei, dass sie erst einmal gar nicht regieren wollen. "Wir sind halt anders." Wie lange das den Wählern genügt, wird sich sehen, solange ist Darkstar im Anflug auf Kiel.