Warmer Platz in kalter Nacht: Winter-Notprogramm der Diakonie Rantzau-Münsterdorf in Elmshorn bewahrt Wohnungslose vor dem Erfrieren.

Elmshorn. 39 Jahre lebte Siegfried Denk auf der Straße. "Ich bin mit 16 Jahren von zu Hause weg", sagt der 62-Jährige. "Mein Stiefvater wollte mich nicht mehr." Mit Rucksack und Schlafsack lief er von Nürnberg quer durch Deutschland. Überlebt hat er, weil er sich stets im Verborgenen hielt. "Und ich hatte einen guten Schlafsack", sagt Denk. In eiskalten Winternächten hat er sich den mit Zeitungspapier isoliert. Seit vier Jahren hat Siegfried Denk eine kleine Wohnung in Elmshorn.

Die erste Nacht in den eigenen vier Wänden war hart für den Mann, der fast sein Leben lang unter freiem Himmel geschlafen hat. Eine Bleibe bedeutet auch Verpflichtungen einzugehen und ein Stück Freiheit aufzugeben. Siegfried Denk ist froh, dass er nicht gleich hingeschmissen hat. Die erste Zeit lenkte er sich mit Fernsehen ab. Mittlerweile ist er froh, von der Straße weg zu sein. "Jetzt muss ich mich nicht mehr verstecken." Zu verdanken hat er das den Mitarbeitern der Diakonie Rantzau-Münsterdorf in Elmshorn. Sie bieten Wohnungslosen mit dem Winternotquartier in der Gärtnerstraße einen warmen Schlafplatz und helfen bei der Suche nach einer dauerhaften Bleibe.

Im gesamten Kreis Pinneberg sind 300 Wohnungslose in Obdächern untergebracht. Im vergangenen Jahr beherbergte die kirchliche Einrichtung in Elmshorn 20 in Not geratende Menschen während des Winters. Fünf Betten stehen bereit. Zwei stehen im Frauenzimmer, das mit einem separaten Bad ausgestattet ist. Das Herrenzimmer gegenüber ist mit drei Schlafplätzen ausgestattet. Das sechste Bett ging kaputt und soll ersetzt werden. Die kleine Küche, in der auch eine Waschmaschine steht, wird gemeinsam genutzt.

+++Winternotprogramm hilft Obdachlosen in Harburg+++

Reinhard Schlothauer, 57, und Marianne Färber, 65, schließen die Unterkunft abends um 18 Uhr auf. Wenn es sehr kalt ist, auch schon mal früher. Morgens um 9 Uhr wird sie wieder geschlossen. Die beiden wechseln sich wochenweise mit den anderen vier Ehrenamtlichen ab. Sie beobachten, dass immer mehr junge Menschen hierher kommen. Die Gründe für den sozialen Absturz sind vielfältig: Scheidung, Arbeitslosigkeit, Alkohol.

Reinhard Schlothauer hat in den zwölf Jahren, die er sich für die Diakonie Rantzau-Münsterdorf engagiert, schon alles gehört oder gesehen. Der Pensionär gehört mittlerweile zum Urgestein. "Manche Wohnungslose sind froh, wenn sie mit jemanden reden können, andere verschließen sich", sagt er. Auch seine Kollegin Marianne Färber ist schon lange auf dem "Sozialtrip", wie sie es nennt. Erst half sie als Krankenschwester, später leitete sie 20 Jahre lang ein eigenes Pflegeheim im Hamburger Stadtteil Groß Flottbek. Vor drei Jahren zog sie nach Elmshorn, wo sie zunächst Anschluss bei den Sozialdemokraten fand und dort von Reinhard Schlothauer für die Diakonie "angeworben" wurde.

"Wir brauchen dringend mehr Menschen, die sich ehrenamtlich einbringen", sagt Geschäftsführer Thorsten Sielk. Es sei nicht einfach, Helfer und Spenden für die Wohnungslosen einzuwerben. "Die sind doch selbst schuld", "Das Geld wird doch nur versoffen" oder "Niemand muss im Sozialstaat auf der Straße leben" sind häufige Sätze, die er zu hören bekommt. Das Mitleid für "stinkende Penner" hält sich bei vielen in Grenzen.

Dass man manchmal ganz schnell in den Teufelskreis aus Arbeits- und Obdachlosigkeit geraten kann, das hat Jens-Uwe Uhlemann, 47, erleben müssen. Seit einer Woche leben er und seine Lebensgefährtin Sigrid Moll, 52, im Winternotquartier. 22 Jahre hat er auf Sylt in der Gastronomie gearbeitet. Dann wurde ihm eine andere Stelle plus Wohnung in Quickborn versprochen. Das entpuppte sich jedoch als Seifenblase. Plötzlich stand das Paar vor dem nichts. "Ich habe keine Familie mehr. Und bei der Tochter meiner Freundin konnten wir nicht unterkommen", sagt Jens-Uwe Uhlemann.

+++Ein warmer Platz in kalter Nacht für Obdachlose+++

Nie sei er arbeitslos gewesen. Und auf einmal findet er sich auf der Straße wieder. "Wir sind nachts auf den Friedhof, um uns bei Minus sieben Grad mit dem Wasserschlauch kalt zu waschen", sagt er und weint. Sie übernachten im Parkhaus, werden drei Mal ausgeraubt. "Handtasche, Handy, alles weg." Und immer die Angst im Nacken, Opfer von Gewalt zu werden. "Da waren Jugendliche, die sich zulaufen ließen, pöbelten und aggressiv wurden. Manche dealten", sagt der gelernte Fliesenleger.

Ständig friert man, weil die Klamotten ganz klamm sind. Seine asthmakranke Freundin hatte sogar Arbeit gefunden. Doch dass sie auf der Straße lebte, konnte sie nur kurz verbergen. Dann wurde sie wieder rausgeschmissen. Sie erfuhren aber auch Hilfe. "Die, die selber nichts haben, spendieren dir Tee oder eine Dusche", sagt Uhlemann. Jeden Tag sucht er nun nach einem Job. Wenn er endlich wieder eine eigene Wohnung hat, wird es vermutlich einfacher. Die Mitarbeiter der Diakonie helfen ihm dabei. Das Notquartier kann nur eine Übergangslösung sein.

Siegfried Denk wird in zwei Wochen seinen Geburtstag in den eigenen vier Wänden feiern. Er hat seine Mutter, Brüder und Schwestern zu sich nach Hause eingeladen.