Die Awo-Einrichtung zog vom Haidkamp zur Aschhooptwiete. Das pädagogische Konzept galt als fahrlässig, weil es zu Gewalttätigkeit der Jugendlichen untereinander führte.

Pinneberg. Er nennt sich "Alter Mann". Seinen Namen gibt er nicht öffentlich preis. Im Internetforum "Kinderqualen" hat er die Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend beschrieben. Sechs Jahre lebte der "Alte Mann" im Pinneberger Kinderheim. 1966 kam er ins von Heimkindern so getaufte "Haus der toten Seelen" - das Awo-Heim am Haidkamp. Im Juni 1969 zog er um in das neu gebaute und damals als pädagogische Modelleinrichtung gepriesene Heim an der Aschhooptwiete, 1972 verließ er nach Abschluss seiner Lehre das Haus. Der "Alte Mann" hat der Pinneberger Zeitung gestattet, Auszüge aus seinen Erinnerungen zu veröffentlichen.

Er beschreibt den Heimleiter Horst Hager, der von 1961 bis 1993 die Heime leitete, aus seiner kindlichen Sicht als "hart und kaltherzig". "Eine nette Frau und nette Kinder hatte er. Und eine Schäferhündin. Cora - es war wohl Liebe auf den ersten Blick zwischen dem Hund und mir. Oft habe ich mich zu ihr in den Zwinger gesetzt und mit ihr geschmust. Cora ließ mich sogar mit in ihre Hütte kriechen. Wenn die großen Jungs mich mal wieder auf dem Zettel hatten, war das immer ein sicheres Versteck. Alles in allem eine nette Zeit, anfangs im Awo-Heim Pinneberg. Bis der Heimleiter doch mal Zeit für das Heim hatte, und sich meine Akte des Jugendamtes zur Brust nahm. Ich kletterte mal wieder aus dem Zwinger von Cora raus, als der Heimleiter gerade in sein Haus wollte. Er hatte nichts Besseres zu tun, als mich erst mal zusammen zu prügeln. Warum? Na, ich war doch ein Tierquäler. Das stand doch so in meiner Akte vom Jugendamt. Dass ich schon lange hier war, und dass ich hier noch nie auffällig gewesen war - das tat nichts zur Sache."

Der "Alte Mann" ist nach eigenen Angaben seit seiner Kindheit psychisch krank, leidet unter schizophrenen Schüben.

Unter anderem aufgrund sexueller Erfahrungen mit einem Erzieher, den der "Alte Mann" in seinen Erinnerungen "Rolfie" nennt und als "Vater und Mutterersatz" beschreibt, sei in seinem Kopf eine Idee entstanden. Er habe mit anderen Jungen geplant, einen Skandal anzuzetteln, um die Öffentlichkeit auf die Missstände im Heim aufmerksam zu machen. Sie hätten sich am Hamburger Hauptbahnhof prostituiert, um homosexuelle Kunden an den Pinneberger Wollny-See zu locken. "Wenn alles rund lief, und die Routine eingekehrt wäre, dann wären rein zufällig die Bullen am See aufgetaucht, und hätten uns mitsamt den 'Schwulen' eingepackt. Das hätte ein Aufschrei in der Gesellschaft gegeben". Die Jungen ließen den Plan fallen. "Dass ich dadurch selber zum Täter wurde, das begriff ich erst Jahre später."

Einmal sei er in Hamburg von der Polizei in der homosexuellen Szene aufgegriffen worden. "Dass ich bei den 'Schwulen' nichts zu suchen hatte, dass war zu offensichtlich. Die vom Heim kamen mich abholen. Runter in den Keller, Arsch voll, ab in die Knastzelle." Am nächsten Abend habe sich der Heimleiter nicht nehmen lassen, ihm auch noch mal "ordentlich in die Fresse zu hauen", und für die nächsten Tage in die Zelle zu sperren.

Der "Alte Mann" zog 1969 als Lehrling ins Heim an der Aschhooptwiete, das laut einem Zeitungsartikel vom August 1969 Platz für hundert "verhaltensgestörte Kinder und Lehrlinge" bot. "Diese brutalen Übergriffe, speziell durch den Heimleiter, fanden nicht mehr statt", erzählt der "Alte Mann". Ins neue Heim sei auch der Geist der "anti-autoritären Erziehung" eingezogen. Mit dem neuen pädagogischen Konzept seien sich die Kinder mehr oder weniger selbst überlassen gewesen. Sönke B. (42), der bis 1987 im Awo-Heim Aschhooptwiete lebte, beschreibt diese Form der Betreuung im Rückblick als fahrlässig, "weil sie zu schweren Gewalttätigkeiten der Jugendlichen untereinander führte", von denen Außenstehende nichts wissen durften. "Das hätte ja dem Ruf des Heimleiters, der gleichzeitig Landespolitiker war, geschadet. So haben wir es empfunden." Es habe übrigens auch im neuen Heim "Knastzellen" gegeben. "Ohne Gitter vor den Fenstern, aber mit Panzerglas."