Norderstedt. Für die anstehende Regionalliga-Saison hat der HSV ein klares Ziel. Der Kader wurde durch Transfers noch einmal verstärkt.

Der Blick zurück schmerzt Lewe Timm (46) längst nicht mehr. „Emotional habe ich zwei Tage gebraucht, um unseren verpassten Aufstieg zu verarbeiten. Danach habe ich sofort wieder nach vorne geschaut“, sagt der Trainer der Frauenfußballerinnen des Hamburger SV. Am 19. Juni hatte sein Team nach überragender Spielzeit seine einzige Saisonniederlage im Relegationsrückspiel zur 2. Bundesliga mit 0:4 beim 1. FFC Turbine Potsdam II aus der Regionalliga Nordost hinnehmen müssen.

Die Bedingungen für Mädchen- und Frauenfußball sind bereits professionell

Der 1:0-Erfolg aus dem Hinspiel erwies sich als zu dünn, der Aufstiegstraum war trotz Double aus Lotto-Pokalsieg und Meisterschaft in der Regionalliga Nord Makulatur. „Unser Anspruch ist es, über kurz oder lang in die 2. Bundesliga aufzusteigen. Die Qualität unserer Spielerinnen ist sehr gut und die strukturellen Bedingungen für den Mädchen- und Frauenfußball sind beim HSV sehr professionell“, sagt Timm. Die Frage lautet nur: Wann schaffen seine Fußballerinnen den Sprung ins Profilager, welches bei den Frauen ab der 2. Bundesliga beginnt?

Geht es nach Timm, soll diese Saison nachgeholt werden, was vergangene Spielzeit verpasst wurde. „Unser Kader ist stärker als in der letzten Saison. Die Neuzugänge sind eine Mischung aus gestandenen Persönlichkeiten, viel fußballerischer Klasse und einer Menge Talent. Die Spielerinnen, die geblieben sind, sind durch die vergangene Saison ein weiteres Jahr gereift. Wir greifen wieder mit denselben Zielen an“, erklärt Timm.

Neu begrüßen darf Timm im 25er-Kader Nina Brüggemann (Bayer Leverkusen), Jaqueline Dönges (VfL Wolfsburg II), Lisa Baum, Nele Karovski, Irma Schittek, Melina Brünning, Amira Dahl (alle eigene Jugend), Lisa Behneke und Alina Witt (beide SV Henstedt-Ulzburg). Alle Akteurinnen können gleich mehrere Positionen spielen, erhöhen die Variabilität des Kaders ungemein.

Die Verpflichtung von Alina Witt ist ein besonderer Transfer

Ins Auge sticht aus zwei Gründen der Transfer von Alina Witt. Neun Jahre knipste die 26 Jahre alte Angreiferin fleißig Treffer für den SV Henstedt-Ulzburg, war so etwas wie eine Institution in der Damenmannschaft des schleswig-holsteinischen Clubs und mehrfach Fußballerin des Jahres. Nun personifiziert ihr Wechsel auch die neue Rivalität zwischen dem HSV und dem SVHU. Schließlich kündigten die Verantwortlichen der Henstedt-Ulzburgerinnen nach dem Abstieg aus der 2. Bundesliga in die Regionalliga Nord bereits an, den HSV im Aufstiegskampf mächtig ärgern zu wollen.

Dieses SVHU-Vorhaben wiederum begrüßt Coach Timm sogar recht entspannt. „Ich hoffe doch sehr, dass der SVHU und alle anderen Teams uns ärgern wollen. Schließlich bestreiten wir alle einen sportlichen Wettkampf und wollen alle gewinnen. Ich meinerseits brauche keine Kampfansage zu tätigen. Ich glaube an die Stärke meiner Spielerinnen.“

Zweitens steht hinter dem Transfer von Alina Witt ein persönliches Schicksal. Die Angreiferin hat erst vor kurzer Zeit eine Krebserkrankung überwunden. Wann sie zu hundert Prozent einsatzfähig ist, ist noch offen. „Wir wollen Alina natürlich helfen, bald wieder die Knipserin zu sein, die sie war. Oder gar noch besser zu werden“, so Timm.

Sophie Nachtigall ist zu Eintracht Frankfurt gewechselt

Was nicht verschwiegen werden darf: Der HSV muss durch seine acht Abgänge auch einen beachtlichen Qualitätsverlust verkraften. So beendete Anne van Bonn ihre große Karriere. Das 0:4 bei Potsdam II wurde zur tränenreichen Abschiedspartie für die Ex-Führungsspielerin des Kaders. In der Saison hatte van Bonn auf dem Platz jedoch kaum eingreifen können. Daher dürfte der Abgang von Sophie Nachtigall fußballerisch schmerzlicher sein. Die 18 Jahre alte Mittelfeldspielerin schoss 22 Treffer, dazu kamen etliche Vorlagen. Ihr Profitraum hat sich nun erfüllt, Nachtigall spielt nun bei Eintracht Frankfurt II und damit da, wo der HSV hinwill: in der 2. Bundesliga.

Das letzte Testspiel verlor der HSV gegen Bundesligist Werder Bremen mit 0:5. Am Sonnabend, 13 Uhr, steht die erste Runde im DFB-Pokal auf dem Programm – es geht auswärts zum Regionalliga-Konkurrenten ATS Buntentor.

Trainer Lewe Timm lebt den Spielerinnen des Hamburger SV das Selbstbewusstsein vor.
Trainer Lewe Timm lebt den Spielerinnen des Hamburger SV das Selbstbewusstsein vor. © Thomas Maibom | Thomas Maibom

Unabhängig von tabellarischen und persönlichen Zielen steht in dieser Saison noch eine weitere große Unbekannte im Raum: sie heißt „EM-Boom“ und führt hinter ihrer Bezeichnung ein Fragezeichen. Wird die fantastische Europameisterschaft mit dem Vize-EM-Titel für die deutsche Frauennationalmannschaft, mit der beim unglücklich verlorenen 1:2 nach Verlängerung im Endspiel gegen England knapp 18 Millionen Menschen am TV-Gerät fieberten, die Zuschauerzahlen endlich erhöhen? Einen verstärkten Zulauf von jungen Spielerinnen auslösen?

HSV-Frauentrainer Lewe Timm hat dazu eine klare Meinung. „Die Europameisterschaft der Frauen bot großartigen Sport. Das Auftreten der deutschen Frauen war natürlich große Klasse. Durch diese jetzige Generation haben die jungen Spielerinnen nun eine herausragende Reihe von großen Vorbildern. Es gibt nun keine Ausrede mehr für die Verbände oder für die TV-Sender, die Werthaltigkeit des Produkts Frauenfußball zu bezweifeln.“

Am Sonnabend spielt der HSV im DFB-Pokal bei ATS Buntentor

Seine Forderungen: „Es muss an der Basis investiert werden, damit überall sehr gute strukturellen Bedingungen für Mädchen- und Frauenfußball geschaffen werden. Verbände und politische Verantwortungsträger müssen die Vereine in die Lage versetzen, strukturelle Bedingungen wie beispielsweise Platzkapazitäten und Übungsleiter so anbieten zu können, dass alle Mädchen und Frauen Fußball spielen können, die es wollen. Nur dann wird es auch wirklich einen Boom geben können.“